(explizit.net) Manche Tage erfahren eine historische Sondergeltung wie der jüngste Freitag durch vier Ereignisse. An dem 12. September traten Sanktionen gegen Wladimir W. Putins Regime durch Amerika und Europa in Kraft. Betroffen sind 24 Offizielle, die größte russische Bank Sberbank sowie Finanz-, Energie- und Militärbereiche. Putin kündigte Gegenschritte an und wie früher, den Gashahn abzudrehen. Stärker sind dann betroffen Baltenländer, Polen, Bulgarien und Deutschland, dessen Gasanteil ein Drittel beträgt. Ihnen droht ein Moskauer Winter. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat Recht: Mühsam, mit Erschrecken sehe er die Zerbrechlichkeit des Friedens in Europa am laufenden Konflikt in der Ukraine.
Laut Steinmeier verurteile keiner den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Krim und das Verhalten in der Ostukraine deutlicher als Deutschland. "Es kann nicht sein, dass wir sieben Jahrzehnte nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa wieder darangehen, Grenzen zu korrigieren!", sagte er vor dem Bundestag am 11. September. Ob aber seine Rede im Licht des heißkalten Globalkriegs noch realistisch ist, nicht den Kalten Krieg, erst recht nicht den heißen Krieg zu wollen, aber Europas Friedensordnung zu erhalten, steht dahin. In Osteuropa wütete ein falscher Krieg. Statt dass Putin alle Kräfte auf eine bessere Partizipation breiter russischer Schichten am Aufbau einer Demokratie richtet, belastet er alle Europäer. In Wirklichkeit hat auch er ein tiefes Problem mit Islamisten im Herzen und an den Rändern der Föderation. Dies wird ihn sicherlich rascher als angenommen einholen.
Wehrhaft
Vielleicht sollte Steinmeier vom „Vierklang der Berliner Außenpolitik“ reden: Druck auf Russland; Schutz der Bedrohten; Suche nach politischen Möglichkeiten zur Entschärfung des Ukraine-Konflikts und gemeinsame Aktionen gegen den globalen Islamismus, wie er sich nicht nur im islamistischen „Kalifat Syroirakistan“ austobt. Denn dort werden Grenzen der Ära seit 1918 verschoben. Putin agiert auf der falschen Seite der Geschichte, obwohl die russische Historie die einer Befreiung vom Islam war, letztlich von Kasans Tataren bis 1552. Hierbei einte Moskau und Berlin viel, wenn in den Kreml nur die Vernunft einzöge.
Klare Worte sprach indes Steinmeier. Die „radikalislamistische Terrormiliz Islamstaat“ im Nordirak und Syrien zu bekämpfen, dafür reiche nicht allein eine militärische Strategie. Auch eine politische Strategie sei geboten. Niemand sei so naiv zu glauben, dass ein paar Gewehre für die Peschmerga das Problem „Islamstaat“ lösen. Richtig, aber wo bleibt nun ein globaler Berliner Ansatz, um endlich eine Strategie und Taktik des Antiislamismus zu entfalten, die historische Erklärung, aktuelle Aktionsziele und neue Koalitionen offenbart?
Worten folgten viererlei Taten. Unter den 17 weltweiten Auslandseinsätzen Bundeswehr hört das Mandat in Afghanistan am Jahresende auf, geht aber in eine Fortbetreuung über. Bliebe die aus, könnte Kabul kippen und das Erreichte würde wie im Irak nach dem vollen Abzug der Amerikaner verspielt. Präsident George W. Bush hatte am 12. Juni 2007 für den Fall Massentötungen vorhergesagt. Das Webvideo mit seiner Rede geriet über Nacht zum Hit: 35 Millionen Klicks. Überdies verbot Berlin am 12. September, das erstmals seit 1969 einen Haushalt ohne Neuverschuldung hat, daheim die Tätigkeit des „Islamstaats Irak und Großsyrien“. Deutschland habe als wehrhafte Demokratie für diesen Terrorverein keinen Platz. Eltern, Geschwister, Freunde, Nachbarn müssten gegen Radikalisierungen angehen.
Migrantennachwuchs
Berlin fielen in Reisebewegungen radikalisierter junge Männer und Frauen (Jihadisten) aus Deutschland und aus Europa in Richtung Syrien und in den Irak auf. Von den aktuell rund 400 Ausgereisten habe sich ein Großteil auch in den Machtbereich der Terrororganisation begeben. Hinweise bezeugten 40 Tote, einige davon als gar Selbstmordattentäter im Irak.
Auch um der Werbung durch Jihadisten entgegen zu treten, erging am Vortag in Berlin die Initiative „Unser Land braucht viele Talente. Wir suchen Dich.“ Unter dem Motto wirbt die Regierung für Nachwuchs im öffentlichen Dienst. Gesucht werden aufgeschlossene und engagierte junge Leute. Im Angebot sind über 130 Ausbildungsberufe. Ein deutscher Pass sei nicht unbedingt nötig. Die Regierung spreche damit auch junge Leute an, die ihre Wurzeln nicht in Deutschland haben. Kulturelle Vielfalt in Deutschland soll sich dort auch in der Verwaltung besser reflektieren. Den Weg hat Berlin mit dem Nationalen Aktionsplan Integration begangen und setzt ihn nun mit einer Informationskampagne fort. Dazu folgen bis Oktober Anzeigen. Zielgruppen sind junge Leute, etwa Migranten von 14 bis 29 Jahren, und die Multiplikatoren wie Pädagogen, Eltern, Übungsleiter, Trainer und Sozialarbeiter.
Auch explizit.net verbreitete am 29. Juli ganz ähnliche Ideen unter dem Motto: „Nahost - Deutschland kann, Deutschland muss mehr tun“
Was sollte Deutschland tun:
- Nicht nur mit allen Konfliktpartnern im Gespräch stehen, um vermitteln zu können. Sondern gemeinsame Projekte der Politikberatung und Konfliktforschung entfalten.
- Junge Generationen nach Deutschland holen, sie hier ausbilden, und Zentren an den deutschen Universitäten und an Instituten in Nahost wie die in Kairo etablieren. Dafür muss die Bundesregierung Stipendien und Mittel bereitstellen, um dort Politikern und anderen Entscheidern von heute und morgen die historische Kompetenz vermitteln.
- Gezielt Multiplikatoren aus Krisengebieten an deutschen Universitäten weiterbilden und dabei Kurse der Versöhnung finden, die in Europa nach 1945 erfolgreich waren. Viele Europäer mit Migrationshintergrund können dabei ihre Erfahrungen einbringen (voller Wortlaut
<p>).</p> <p>Ein vierter Pluspunkt fiel auf der deutschen Seite ins Gewicht. Sonntag, am 14. September, sprach Angela Merkel vor dem Brandenburger Tor unter dem Thema "Steh auf! Nie wieder Judenhass!" Deutschland sei sich der stetigen Verantwortung nach dem Zivilisationsbruch der Shoah bewusst, entschieden gegen Antisemitismus vorzugehen - und besser noch - ihm vorzubeugen. Dessen perfide Absicht sei, sie zu Außenseitern zu machen. Aber sie seien hier zuhause. Sie verurteilte den Judenhass auf propalästinenischen Demonstrationen, der jüngst als eine vermeintliche Kritik an der Politik des Staates Israel daherkam. Geboten sei Respekt vor dem Glauben und der Kultur des jeweils anderen - Jude, Muslim oder Christ.</p> <h2>Kohäsion</h2> <p>Sozialer Zusammenhalt zählt zu den am meisten unterschätzten Faktoren. Berlin hat diese sichtlich bestärkt. Das ist nötig. Einerseits fordert der „Islamstaat“ alle heraus, vor allem mit einer weiteren brutalen Köpfung der britischen Geisel, des Entwicklungshelfers David C. Haines am 12. September. Andererseits legte Präsident Obama zwei Tage zuvor, am Vorabend des 13. Jahrestags von 9/11, seinen Plan vor, den „Islamstaat“ zu zerstören. Viele erwarten Jahre der größten Zerreisproben, tiefsten Neuordnung und blutigsten Anschläge.</p> <p><emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>
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