Kremlmauer mit Leninmausoleum, F: E.B.

Russlands Ablehnung der Gesellschaftsidee des Westens

Russland erscheint aggressiv, die militärischen Eingriffe im Osten der Ukraine, die jetzt auch das Azowsche Meer einbeziehen, zeigen den Anspruch, wieder dominierende Großmacht im Osten zu werden. Das ist mit einem Wiederaufleben des Nationalismus verbunden. Die Entwicklung der letzten Jahre und was Putin seit seiner Wahl 2003 verändert hat erklärt der Moskauer Korrespondent von explizit.net

Russland ist auch unter dem Kommunismus anders als der Westen geblieben

Der  Kommunismus hat viele Ideen, die im alten Russland noch vor der Oktober Revolution existierten, vereinnahmt und sie transformiert, u.a. die Idee des mächtigen Reiches, der Gemeinschaftlichkeit, des Nationalismus und hat auf sie neue, aus dem Westen stammende Ideen aufgepfropft. Jetzt versucht Russland an seine Tradition anzuknüpfen und behält von dem sowjetischen Erbe nur das, was der uralten russischen Tradition entspricht. Es gehört auch zur russischen Tradition, dass der heutige Staat in Russland viele Merkmale der totalitären Ordnung bewahrt: die Dominanz der Politik über die Wirtschaft, des Staates über die Gesellschaft und des politischen Willens über die ökonomischen Interessen.
Gleichzeitig ist es nicht zu übersehen, dass Russland mit dem Westen viel gemeinsam hat  – die Krise der Familie, die demographische Krise, die Krise der Werte und auch der Religion.  Der Versuch der russischen Elite, diese Probleme im Unterschied zu den meist liberalen Eliten im Westen durch die Stärkung der “Traditionellen Werte” der Familie, der Religion und  des Patriotismus zu überwinden, führt dazu, dass Russland sich als eine Art Gegenpol zu dem modernen westlichen Wertesystem positioniert.

Russland sucht seine Identität in der Gegenposition zum Westen

Russland widersetzt sich kulturellem Einfluss des postmodernen Westens und seine Werte nicht deshalb, weil es so unterschiedlich vom Westen wäre. Russland ist in vieler Hinsicht dem modernen Westen bzw. dem, was man in Russland darunter versteht, ähnlicher als es den politischen und religiösen Eliten im heutigen Russland lieb ist. Um sich trotzdem abzuheben, wird der Westen als dekadent dargestellt, dass im Westen alle Werte dem Verfall preisgegeben sind, dass Gesellschaften auseinanderbrechen. Dazu versteht sich Russland als Alternative. 
Russland hat die Moderne nie völlig angenommen. Auf die noch archaische Gesellschaft wurden bestimmte Schichten, die heutzutage als “Postmoderne” bezeichnet werden, gewaltsam zuerst von den Bolschewiken und dann in der Zeit der Perestroika durch die Politiker, die Russland nach dem westlichen Bild umformen wollten,  aufgepfropft. “Glasnost” war nichts anderes als “sozialistische Postmoderne, die “Dekonstruktion” des real-existierenden Sozialismus. Die Individualisierung und der Verlust der Identität in Russland ist dramatischer verlaufen als im Westen, weil dieser Prozess gewaltsam der Gesellschaft aufgezwungen wurde, die ihre Werte und Strukturen im Laufe der sozialen Experimente des 20. Jahrhundert verloren hat.

Die neunziger Jahre werden im Rückblick als Verfall und Zeit der Willkür gesehen

Nach dem Zerfall des kommunistischen Ideologie, die eine Art Versuch war, die durch die moderne Gesellschaft geschaffene Sinnlosigkeit zu ersetzen, ist Russland  überhaupt ohne einer tragenden Idee geblieben. Der Wahrzeichen der “Postmoderne, das Fehlen eines integrativen Wertesystems, ist Realität geworden. Die Folgen waren ein gesellschaftliches Chaos in dem jeder seinen Vorteil suchte. Schon in 90iger Jahren wurden Versuche unternommen, diesen Prozess aufzuhalten. Aber weder die orthodoxe Kirche noch patriotisch-nationalistische Bewegungen alleine waren dazu stark genug. Sie schufen aber eine Stimmung im Lande, die sowohl zum Wahlsieg Putins als auch zum Sieg der Partei “Einiges Russland” im Jahre 2003 führte. Die Partei hat sich als patriotisch und traditionell präsentiert. Nachdem Putin als Präsident auch mit dieser Partei eine starke Basis im Parlament gewonnen hatte, wurde eine Wende der Politik eingeleitet – von der westlichen Orientierung zu den traditionellen Werten hin. Das war nicht nur die Folge der politischen Spannungen mit dem Westen, sondern vor allem die bewusste Entscheidung, eine neue Ideologie zu schaffen, die sich mehr auf Patriotismus als auf individuelle Freiheiten, Liberalismus und Individualismus stützte. 

Abkehr von den westlichen Werten als Alternative

Am Ende dieses Jahrhunderts stand Russland vor dem Abgrund und es war nur der Selbsterhaltungsinstinkt, der die Gesellschaft davor bewahrte, den letzten Schritt in den Abgrund zu setzen. Es wurden Anstrengungen unternommen, den Prozess aufzuhalten und die alte Werte und Strukturen wie die der Familie, der Religion und Kirche, der gesellschaftlichen Solidarität widerherzustellen. Deswegen reagiert Russland allergisch auf jeden Versuch “die Werte der Postmoderne” zu propagieren – das zeigt sich in dem Streit um Homosexualität, um das Recht der Kirche, zumindest in ihrem Raum zu bestimmen, was passieren soll, erinnert sei an den Fall von “Pussy Riot”, der Souveränität des Staates gegen die Versuche, ihn unter den Einfluss überstaatlicher Strukturen zu stellen.

Die neue Staatsideologie besteht aus dem  Patriotismus und den  “traditionellen Werten”, die auch von der orthodoxen Kirche repräsentiert werden. Das muss berücksichtigt werden, wenn man Widersprüche in Russland selbst und in ihren Beziehungen zum Westen verstehen will.

Zustimmung zu Putin auch bei der jüngeren Generation


Kategorie: Politik

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