© Timothy W. Schwanitz

Mittelost im Weißen Haus und im Kanzleramt

(explizit.net) In all der westlichen Konfusion gegenüber mittelöstlichen Islamisten, deren Anschläge nun auch aus dem Innern von Demokratien wie Australien erfolgen, erscheint eben Schottlands Bürgerentscheid als Lichtblick. Doch sollte London den Schotten mehr Autonomie geben, so dass viel mehr bürgernah vor Ort entschieden werden kann. Das ist zudem ein Problem der Europäischen Union, wenn Nichtgewählte in Brüssel über die Steuermittel der Wähler entscheiden und ihnen, ohne persönlich zur Rechenschaft gezogen werden zu können, etwa die Länge der Thüringer Würstchen vorschreiben. Insofern zeigt das Referendum vom 18. September Lehren der Dezentralisierung. Zum Glück gab es keine Abspaltung. Inzwischen lernen Mann und Frau im Westen: Präsident Obama irrt, Kanzlerin Merkel profiliert sich.

(explizit.net) In all der westlichen Konfusion gegenüber mittelöstlichen Islamisten, deren Anschläge nun auch aus dem Innern von Demokratien wie Australien erfolgen, erscheint eben Schottlands Bürgerentscheid als Lichtblick. Doch sollte London den Schotten mehr Autonomie geben, so dass viel mehr bürgernah vor Ort entschieden werden kann. Das ist zudem ein Problem der Europäischen Union, wenn Nichtgewählte in Brüssel über die Steuermittel der Wähler entscheiden und ihnen, ohne persönlich zur Rechenschaft gezogen werden zu können, etwa die Länge der Thüringer Würstchen vorschreiben. Insofern zeigt das Referendum vom 18. September Lehren der Dezentralisierung. Zum Glück gab es keine Abspaltung. Inzwischen lernen Mann und Frau im Westen: Präsident Obama irrt, Kanzlerin Merkel profiliert sich.

Nachdem der Kongress am 18. September Barack H. Obama eine Finanzierung für seinen Plan bis zum Dezember gab, Truppen der syrischen Opposition auszubilden und gegen den „Islamstaat“, IS, zu richten, trat er vor die Nation, um zu erläutern, wie er den IS zerstören will. Denn seine Administration klingt wie ein Froschkonzert. Jeder ertönt anders, wie die brutalen Gesellen im „Kalifat Syroirakistan“ auszuschalten wären. Indes Obama abermals aus Politkalkülen vor den Wahlen am 4. November das Wort „Krieg“ scheute und betonte, keine Bodentruppen in Kampfmission zu senden, räumte dies sein Oberkommandierender Martin E. Dempsey ein. Obama gestand, dass Berater im Irak, bald 1.600, bewaffnet die lokalen Truppen begleiten. Damit schuf er mehr Unklarheit als Klarheit über diese Mission.

Risiken

Zwar schloss er wieder Bodentruppen aus, jedoch steigen die Zweifel. Gleicht dies einem zivilisatorischen Jahrhundertkonflikt, sollte er Klarheit schaffen. Bürger sind oft viel reifer, zumal Obama Chaos an der Grenze besorgte, wo täglich hunderte hereinfluten, unter denen man IS-Leute vermutet. Aber er benennt den Feind nicht voll, bestreitet ihm, Islamisten zu sein. Welche „Ideologie dahinter“ will Obama angehen? Offen ist, um welche Etappen und Ziele es geht. Drei Jahre, was passiert dann in Irak und Syrien, wer regiert dort wie? Glaubt jemand, die tief in Stämme und Konfessionen gespaltenen Länder würden durch den Krieg bürgerliche Nationen mit gesamtnationalen Loyalitäten werden? Eine Grundthese Obamas ist, Amerika könne dort nicht das für andere tun, was diese nicht für sich selbst tun wollen. Klingt prima, ist aber eine westliche Sicht, die wenig mit Mittelostgeschichte gemein hat. Dort fehlen nötige Konzepte von Nation, Bürgertum und Individualität. Im Gegenteil, dort dominieren religiöse Gruppenidentitäten aller Arten in Einheiten von Macht und Moschee.

Die Feinde der Koalition haben ein leichtes Spiel, diese zu sprengen. „Was denn, Ihr geht für die Ungläubigen ins Feuer, gegen Eure Glaubensgenossen?“, fragen Jihadisten, die sich als treue Ausleger der Islamlehren dartun. Sagte nicht Obama noch am 8. August, Syriens Opposition zu bewaffnen, das sei eine Illusion? Ihre 5.000 Kämpfer auszubilden, dauert in Saudi-Arabien ein Jahr. Jetzt zählen ihre IS-Opponenten 31.000 Mann, dann wohl 50.000. Syrer wollen lieber „gegen al-Asads Terror als gegen IS kämpfen“, wie einer der Führer, Taufiq Shahab ad-Din, im türkischen Raihanli betont. Bashshar al-Asad wird die Luftwaffe einsetzen. Warum bildet sein Regime kein alliiertes Ziel, wie lange darf dieser Tyrann noch morden? Und wer weiß, ob IS-Gegner nicht wie einige am Hindukusch die Waffe gegen Alliierte wenden? Obamas Idee eines alliierten Luftkriegs und Bodenkriegs durch Lokale bestärkt den IS - vorerst. Alle sahen doch jüngst, wie sich die Islamisten Gazas eingruben.

Wer weiß, ob sich manche Iraker und Syrer, wenn sie Gegner arretieren, nicht wie IS-Truppen verhalten? Wenn aus Mittelost ein Flächenbrand an der Welt zündelt, müssen da nicht alle Feuerwehren stark und arbeitsteilig mit zeitlich klar definierten Zielen und Ideen wirken, darunter was nach dem Löschen folgt? Warum plant die Nato nicht, wo sind ihre Bodentruppen? Das ist ein multikultureller Krieg mit Extras, die aufzuklären sind. Wo sind nationale Islamprojekte in Washington und Berlin, die auch die Moderne und Antimoderne der vorigen Jahrhunderte erkunden, darunter in Räumen der Globalära mit einer weltweiten Migration? Ohne ideellen Rückhalt, aber mit fraglichem Ansatz, stehen Desaster an. Papst Franziskus und Tony Blair warnten vor einer Perversion der Religion durch Extremisten.

Indessen ringt Obama mit seiner Partei, die einer halben Milliarde Dollar für Training der „moderaten“ Opposition zustimmte, jedoch ihm keine resolute Führung mehr zutraut. So ergeht es anderen Führern in dessen letzten beiden Amtsjahren. Außenminister Steinmeiers New Yorker Ruf nach einer Strategie für die anti-IS-Koalition mit jetzt 50 Staaten am 19. September muss erst in Washington und Berlin stimmen. Fehlt dort Klarheit, was mag er von Iraks Nachbarn erhoffen, die wie Iran und Katar Terrorvereine (Hamas/Muslimbrüder) bezahlten oder wie Saudi-Arabien noch den Islamismus globalisierten, darunter des IS? In der Koalition ist die Türkei, ein massiver Durchgangspunkt für Jihadisten des IS und deren Mittelmobilisierung durch den Erdölverkauf über den türkischen Markt. Welche Kraft hat dieses Bündnis, in dem nur François Hollandes Frankreich an Luftschlägen mitwirkt? Der Westen zahlt hart für Obamas Vollabzug aus Irak, Fehlkonzept und schwache Zivilberater.

Delegitimierung

Während über Obama eine Woge alter und neuer Fehler zusammen schlägt, hat sich Angela Merkel profiliert. Sie leitete die Berliner Demonstration gegen Judenhass. Zudem betonte sie, rechtsstaatlich antisemitische Straftaten zu verfolgen wie auch Angriffe auf Moscheen. Ihre Botschaft: Respekt vor dem Glauben und der Kultur des anderen, sei er Jude, Muslim oder Christ im friedlichen und gedeihlichen Miteinander. Aber Mischideologien führen zu neuen Fronten. Innenminister Thomas de Maizière setzte das „Betätigungsverbot für die Terrororganisation IS“ durch. Er fordert Schritte der Vorbeugung und Deradikalisierung. Alle mögen hierbei helfen - die Nachbarn, Freunde, Eltern sowie Muslime in Deutschland.

Gegen Extremismus veranstalten diese unter dem Motto „Muslime stehen auf gegen Hass und Unrecht“ am 19. September in über 2.000 Moscheen einen bundesweiten Aktionstag. Sie wählten sieben Städte aus, wo nach dem Freitagsgebet die Mahnwachen und Treffen abliefen. Laut de Maizière gab es ab 2012 knapp 80 Straftaten rund um die Moscheen, in den letzten Monaten fünf Brandanschläge. Religion möge Frieden stiften und nicht Hass säen. Doch steige die Zahl der radikalisierten Islamisten im Salafismus. Nur Echo des IS?

Angela Merkel aktiviert ihre Mittelostdiplomatie. Gegenüber dem Irak verfolge sie einen „umfassenden politischen Ansatz“: Stärkung der neuen Regierung, humanitäre Hilfe und Kontakt mit den Staaten der Region. Zum Ansatz gehöre die „Delegitimierung“, das heißt das Absprechen jeder Legitimation des IS, ein Stopp der IS-Finanzierung und die Hilfe für die kurdische Regionalregierung durch Waffenlieferung. Wird daraus Berlins Agenda des Antiislamismus? Katars Emir Tamim II. versicherte Merkel am 17. September, keine Terrorvereine zu fördern. Plötzlich sieht sich Katar in der Allianz gegen den „Islamstaat“.

<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>



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