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Kirche in den Lebenswelten der Postmoderne

Die Kirche in den Diözesen der alten Bundesrepublik ist mit einem einschneidenden Rückgang der Kirchlichkeit konfrontiert. Nicht nur nimmt die Zahl der Gottesdienstbesucher weiter ab, jährlich gehen 10.000 Kinder weniger zur Erstkommunion, immer mehr Menschen lassen sich nicht mehr auf einem Friedhof mit kirchlichem Segen beerdigen.In den Diözesen des früheren kommunistischen Systems hat man sich schon lange an ein Umfeld von 80% der Bevölkerung gewöhnt, die religiös nicht angesprochen werden wollen. Die Katholiken waren dort, außer in kleinen Gebieten, seit der Reformation nie in der Mehrheit. Aber auch die Protestanten sind in eine Minderheitensituation geraten. Es gibt dafür soziologische Gründe. Es sind aber auch die bisherigen Seelsorgskonzepte, die der postmodernen Vielfalt nicht mehr gerecht werden. Das Staat-Kirche Verhältnis drängt zu wenig auf eine Differenzierung kirchlicher Kommunikationsmuster, Gebetsformen und Musikstile.

Die Kirche in den Diözesen der alten Bundesrepublik ist mit einem einschneidenden Rückgang der Kirchlichkeit konfrontiert. Nicht nur nimmt die Zahl der Gottesdienstbesucher weiter ab, jährlich gehen 10.000 Kinder weniger zur Erstkommunion, immer mehr Menschen lassen sich nicht mehr auf einem Friedhof mit kirchlichem Segen beerdigen.In den Diözesen des früheren kommunistischen Systems hat man sich schon lange an ein Umfeld von 80% der Bevölkerung gewöhnt, die religiös nicht angesprochen werden wollen. Die Katholiken waren dort, außer in kleinen Gebieten, seit der Reformation nie in der Mehrheit. Aber auch die Protestanten sind in eine Minderheitensituation geraten. Es gibt dafür soziologische Gründe. Es sind aber auch die bisherigen Seelsorgskonzepte, die der postmodernen Vielfalt nicht mehr gerecht werden. Das Staat-Kirche Verhältnis drängt zu wenig auf eine Differenzierung kirchlicher Kommunikationsmuster, Gebetsformen und Musikstile.

Die in viele Lebenswelten zersplitterte Gesellschaft

Bis in die achtziger Jahre konnten die Seelsorge, die Gestalt des Gottesdienstes wie auch das Kirchenlied, die Formen der Glaubensvermittlung noch auf eine große Gruppe, die sich als Mitte der Gesellschaft verstand, ausgerichtet werden. Für diese Personengruppe war die, zumindest formelle, Zugehörigkeit zu einer Kirche selbstverständlich. Diese Gruppe ist zahlenmäßig sehr viel kleiner geworden, weil seit der Studentenrevolte die jeweils folgenden Generationen nicht mehr den Lebensstil wie auch die Verhaltensmuster der Eltern übernommen haben. Nur einige Beispiele: Während die Elterngeneration Sitzungen für wichtig hält und sich in Gremien, Kindergartenbeiräte und Schulpflegschaften wählen lässt und gerne in Verbänden mit anderen zusammen ist, hat die leistungsorientierte Gruppe ihrer Kinder keine Zeit für lange Diskussionen und schon gar nicht für die Zelebration demokratischer Abstimmungsprozeduren. Eine andere Gruppe der Kinder engagierter Katholiken experimentiert lieber mit Formen und probiert auch Meditationstechniken anderer Religionen aus, trommelt und tanzt. Ohne dem Religiösen gegenüber Aversionen zu zeigen, wie noch die Studentengeneration vor ihnen, übernehmen sie nicht einfach tradierte Formen des religiösen Lebens, sondern probieren Verschiedenes aus, auch das, was die Elterngeneration abgeschafft hat. Das erklärt, warum Gregorianische Gesänge auf vordere Plätze in den Charts gelangen können.

Die Katholiken müssen mit der neuen Vielgestaltigkeit umgehen lernen

Damit wurde das Muster der Kirchlichkeit, das sich im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Industrialisierung entwickelt und viele Katholiken für die engagierte Mitgliedschaft in Verbänden sowie am Leben der Pfarrei und sozialem Engagement gewonnen hatte, nur noch für einen kleinen Teil der Katholiken lebbar.

Da die Gesellschaft in mindestens 10 Lebenswelten und jede noch einmal mit Untergruppierungen aufgespalten ist, kann es kein allgemein gültiges Seelsorgskonzept mehr geben, mit dem die katholische Kirche wie die letzten 150 Jahre den überwiegenden Teil der Katholiken erreichen kann. Damit ist auch das bisherige Ausbildungskonzept für das Seelsorgspersonal hinfällig. Dieses setzte nur einen Typus von Pfarrei voraus, ob Landgemeinde oder Stadtpfarrei, in dem jeder Priester, Pastoralreferent, jede Gemeindereferentin eisetzbar sein sollen.

Soziologische Erhebungen zeigen, dass es immer noch in allen 10 Lebenswelten Katholiken gibt, jedoch lassen sich nur noch drei dieser „Milieus“ mit den bisherigen Gottesdienstformen, den Mustern des Gemeindelebens ansprechen lassen. Da die anderen 7 Lebenswelten nicht mehr angesprochen werden, ist leicht abzusehen, dass diese spätestens in der übernächsten Generation keinen Kontakt mehr mit einer katholisch geprägten Religiosität haben werden. Sie wählend dann, wie heute schon, zwischen asiatischen Meditationstechniken, Esoterik, christlichen Konfessionen oder der Rückkehr zu den germanischen Göttern aus. Diese erst einmal nur soziologische Beschreibung erklärt auch, warum die in der Kirche Aktiven immer älter werden. Denn es ist logisch abzuleiten, dass es die Älteren sind, die sich von den bereits für ihre Urgroßeltern entwickelten religiösen Formen ansprechen lassen. Warum fällt es aber den etablierten Kirchen so schwer, ihr Gottesdienstangebot wie auch die Kirchenmusik vielgestaltiger zu entwickeln.

Das Staat-Kirche-Verhältnis als Hemmschuh

Seit der Reformation gibt es, obwohl im protestantischen Bereich sich auch kleinere Bekenntnisgruppen konstituierten, nur zwei offizielle Kirchen. Als guter Staatsbürger gehört man zu einer dieser Kirchen. Dieses Prinzip hat die Aufklärung bereits infrage gestellt, jedoch kam es nach den napoleonischen Kriegen zu einer politischen Restauration, so dass die beiden Konfessionen ihre offizielle Stellung behielten. Die Katholiken mussten praktisch von Null wieder anfangen. Denn nach dem Verlust fast aller Abteien und Ordenshäuser und der Enteignung des gesamten Landbesitzes durch die Säkularisierung 1803 gingen sie fast ohne materielle und personelle Ressourcen in das neue Zeitalter. Die katholischen Verbände und die schnell wachsenden Ordensgemeinschaften gaben dem Katholizismus ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine neue Vitalität. Vieles, fast alles, hing vom, auch finanziellen Einsatz der Gläubigen ab. Erst als die Kirchensteuer mit dem Wirtschaftsboom nach dem Zweiten Weltkrieg viel Geld in die kirchlichen Kassen spülte, konnte die Hauptarbeitslast auf die Schultern der Hauptamtlichen gelegt werden. Die Kirche in der Bundesrepublik brauchte den intensiven Einsatz der Laien scheinbar nicht mehr. In den USA ist man einen ganz anderen Weg gegangen und findet dort, auch unter den Bedingungen einer Konsumgesellschaft, eine viel größere religiöse Lebendigkeit. Der Grund liegt darin, dass die Kirchenmitglieder wissen, dass ohne ihre aktive Beteiligung eine Gemeinde nicht überlebt. Anders in Deutschland: Man bezahlt mit der Kirchensteuer die Hauptamtlichen, von denen man erwartet, dass sie „den Laden am Laufen halten“. Ein amerikanischer Jesuit, der die deutsche Situation aus der Nähe kennt, stellte in einem Gespräch mit dem Autor fest, dass Gemeinden, die wie oft in Deutschland nur von wenigen Aktiven getragen werden, in den USA nicht überlebensfähig wären.

Auch wenn aktive Teilhabe, das Engagement der Laien, eine von den Mitgliedern getragenes Gemeindeleben seit dem II. Vatikanischen Konzil zum Programm gehören, ist die katholische Kirche in Deutschland von den Hauptamtlichen her konzipiert. Was die Hauptamtlichen nicht leisten können, das sollen dann die Ehrenamtlichen übernehmen. Da die Hauptamtlichen zeitlich disponibel sind, werden ihnen neue Projekte, die auf die jüngere Generation und deren Lebensstile hin entwickelt werden, anvertraut. Aber da die Hauptamtlichen für ein anderes Kirchenmodell ausgebildet wurden, bleiben diese Planungen meist in den Strukturen "hängen". Nicht zuletzt deshalb, weil diese Strukturen für das staatskirchliche Modell konzipiert wurden, welches das Kirchensteueraufkommen voraussetzt und kirchliches Handeln bei den Hauptamtlichen ansetzen lässt.

Wo kommen neue Entwicklungen her

Die meisten Mitglieder kirchlicher Gremien wie auch die Mehrzahl der Hauptamtlichen sehen ihre Kirche von Auszehrung bedroht. Religiosität, so wird gesagt, verdunste in den westlichen Gesellschaften. Eine größere Gruppe, so die Mehrzahl der Theologieprofessoren wie auch das oberste Laiengremium der deutschen Katholiken, sehen in den nicht eingelösten Forderungen der siebziger Jahre, Aufhebung des Zölibat, kirchliche Anerkennung einer zweiten Heirat, kirchlicher Segen für homosexuelle Partnerschaften die Chance, dass sich mehr Menschen für die Kirche interessieren. Das mag für die Alterskohorte der über Fünfzigjährigen stimmen. Aber in Zeiten eines zerbrochenen Fortschrittsoptimismus, von Umwelt- und Bankenkrise verlangen die Jüngeren eine andere Tonlage des Katholischen. Die katholische Kirche wie ihre Verlage müssen auch prüfen, ob Gebet und Meditation weiterhin als Wohlfühlangebot vermittelt werden kann. Aber genau um Gebet und Meditation, um eine tiefer fundierte Einstellung zur Schöpfung, um Krankheit und Sterben und die von der Postmoderne bewusst offene gehalten Antwort auf die Sinnfrage geht es. Dafür haben das Evangelium, die Gottesdienste und Gebetspraxis wie das soziale Engagement des Christentums jeder Generation Ressourcen zur Verfügung gestellt, die jeweils in eine neue Synthese gebracht wurden. Benedikt von Nursia, Franz von Assisi, Ignatius von Loyola sind spirituelle Virtuosen, die jeweils eine neue Synthese der Elemente des Christlichen „gefunden“ haben. Diese spirituellen Virtuosen gibt es auch für die katholische Kirche in Deutschland, die die 150 Jahre erfolgreiche Pastoral hinter sich lassen muss, um einer neuen Vielgestaltigkeit Raum zu geben. Diese kann nicht geplant werden, sie entspringt auch nicht den Ausbildungsinstitutionen, sie wird in der jeweiligen Lebenswelt entstehen. Blickt man auf Franziskus und Ignatius wie auch auf Charles de Foucauld, so haben sie sich bewusst von ihrem vorherigen Lebensstil distanziert und gerade deshalb eine zukunftsfähige Spiritualität entwickeln können. Der Blick auf diese Personen zeigt deutlich, dass nicht in der Anpassung an die Gegenwart, sondern in ihrer Infragestellung die Kraft für eine neue Synthese gewonnen werden kann.

Eckhard Bieger S.J.



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