Foto: explizit.net E.B.

Fürbitten sind kein Auftrag an Gott

... das gilt auch für den Kirchentag. Beim Abschlussgottesdienst in Frankfurt ist mir bei der Formulierung der Fürbitten aufgefallen, dass es anscheinend immer noch leichter fällt, Fürbitten als Auftrag an Gott zu formulieren, anstatt die Mitverantwortung der Bittenden einzubeziehen. Er soll es richten, er soll es machen, er soll Frieden stiften ...

Gott als Beistand

Wenn ich die Zusage Gottes an mein Leben ernst nehme, dass ich in Freiheit und Eigenverantwortung gestellt bin, dann muss sich das auch auf die Art meines Bittens auswirken. Denn mit der Freiheit, die ich für meine Lebensgestaltung und meine Entscheidungen habe, übernehme ich auch die Verantwortung für das Gelingen oder Scheitern. Das heißt nicht, dass Gott mich alleine lässt oder dass ich nicht mit seinem Beistand in meinen Handlungen rechne, aber es heißt auch nicht, dass er sich als Korrektiv in mein Leben einmischt und das, was mir misslingt wieder „gut“ macht. Würde er das tun, würde er nämlich meine freien Entscheidungen aushebeln und gleichzeitig seiner Zusage an meine Freiheit widersprechen. Wegen der Freiheit, die Gott uns verspricht, geht das Leben nicht, ohne dass wir mitwirken. Auch in den Gebeten und Bitten ist meine Mitarbeit gefordert. Ich muss es wirklich wollen, um was ich bitte und meinen Beitrag dazu leisten, damit der Geist Gottes mir Wegweiser sein kann. Der Beistand und die Kraft Gottes werden mich begleiten.  

Wie kann ich bei persönlichen Nöten bitten?

Albert steht kurz vor dem Abi und hat Fünfen in seinen Vornoten. Das ist fast hoffnungslos. Wenn er auf Gott setzt und ihn bittet „Lieber Gott, mach dass die Fünfen wegkommen, bitte lass mich nicht sitzen bleiben“ dann erwartet Albert von Gott, dass er das schon „macht“. Er ist dabei die Eigenverantwortung an Gott zu delegieren. Aber Gott kann es nicht richten, denn dann müsste Gott das Abi für Albert machen. Wenn Albert dann durch das Abi fällt, kann er wehklagen, dass Gott ihm nicht geholfen hat.
Wenn er das Abi schaffen will, muss er lernen, muss sich anstrengen und etwas dafür tun, dass er von den Fünfen wegkommt. Natürlich kann er Gott um Beistand bitten, er könnte bitten: „Lieber Gott, ich bitte dich, dass ich die entsprechende Ausdauer, die Kraft entwickle, meine Faulheit überwinde, mich auf den Hosenboden setze und für das Abi lerne.“ In dieser Bitte nimmt sich Albert selbst in die Pflicht mit der Hoffnung auf den geistigen Beistand Gottes.

Für andere bitten

Susanne liegt auf der Intensivstation wegen Corona. Sie wird künstlich beatmet. Wenn ich sie in meine Gebete einschließe, kann ich beten: „Lieber Gott, bitte mach sie gesund, lass sie nicht sterben“. Mit diesem Auftrag an Gott erwarte ich, dass er eingreift. Ich berücksichtige in meiner Bitte nicht die Kräfte, die Susanne entwickeln muss, damit sie die Krankheit überwindet. Greift Gott nicht ein und Susanne wird nicht gesund, kann ich mich mit Vorwürfen an Gott wenden und jammern: „Ich habe jeden Tag für sie gebetet, weshalb hast Du ihr nicht geholfen?“
Mit solchen Bitten und Klagen trage ich ein Bild von Gott in mir, der um Schlimmes abzuwenden, in mein Leben eingreift, der allmächtig über meine Freiheit hinweg agiert. Aber würde er das wirklich tun, müsste er überall eingreifen. Wir würden bei allem, was wir vorhaben, damit rechnen, dass Gott es schon richtet. Wir würden zögern zu handeln, Wichtiges erst gar nicht anpacken und mit der Zeit jedes Risiko an Gott abgeben. Wir wüssten dann auch nicht mehr, ob wir eigentlich frei sind oder letztlich von Gott gelenkt werden.
Damit meine Bitte für Susanne nicht nur auf Gott lastet, kann ich formulieren: “Lieber Gott, ich bitte, dass Susanne Kraft und Energie entwickelt um Corona zu überstehen.“ Diese Formulierung hat auch Aufforderungscharakter an Gott, aber die Verantwortung, ob meine Bitten zur Heilung beitragen, liegt nicht nur bei Gott, sondern auch im Überlebenswillen und der Kraft von Susanne.

Für den Frieden bitten

Wir beten ständig dafür, dass doch endlich Frieden herrscht. Wir können für den Frieden beten, indem wir Gott bitten, dass er endlich Schluss macht mit den unsäglichen Kriegen, dem Land Frieden bringt, dass er die Ungerechtigkeiten nicht zulässt, dass er die unschuldigen Kinder verschont. So sehen die Fürbitten auch oft aus. Aber solange die Menschen nicht selbst den Frieden wirklich wollen, kann auch Gott seinen Beistand nicht geltend machen. Eigentlich können wir nur bitten: „Lieber Gott, wir bitten darum, dass die Menschen, die in die Kriegshandlungen verwickelt sind, zur Vernunft kommen und erkennen welche Not und wie viel Elend und Ungerechtigkeit sie herstellen. Lass sie den Willen zum Frieden entwickeln, damit der Krieg aufhören kann. Damit Gottes Geist wirken kann, braucht es den Willen der Menschen. Gott kann den Frieden nicht machen, wenn wir selbst weiter daran glauben, der Sieg lohne weitere Tote. Gott braucht unser Zutun. Er wird den Friedenswillen mit seinem Geist unterstützen, aber nicht gegen den freien Willen der Menschen. Die von Gott erwartete Machtausübung erzeugt in den Menschen keinen Friedenswillen.

Es geht um den Geist, der in den Fürbitten mit uns gemeinsam zum Wohle beiträgt, denn Gott hat sein Reich mit uns Menschen entwickelt und er setzt auf uns.

Links:
Bittgebet, um die Welt und mich zu entwicke

Ein Schutzraum gegen das Leisten-müssen

Ein Gespräch über das Beten auf Instagramm

Walken zum Auge Gottes

ökologisch meditieren


Kategorie: Religion Monatsthema

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang