Drache am Freiburger Münster Foto: E.B.

Verschwörungstheorien rechtfertigen Antisemitismus

Systematische Menschenrechtsverletzungen werden regelmäßig durch Verschwörungsmythen vorbereitet. Zentraler Bestandteil dieser Mythen sind Feindbilder, um Verbrechen gegen die vermeintlichen „Feinde“ zur Akten der Verteidigung umzudeuten. Das gilt nicht zuletzt für die Diskriminierung und Verfolgung der Juden.

 

Durch Mythen werden treue Staatsbürger zu Kämpfern oder Vollstreckern im Dienste von Unrechtsregimen. Regierungen, die solche Mythen erschaffen oder übernehmen, diese pflegen und verbreiten, glauben letztlich an die Herrschaft des Bösen. Darin, nicht nur durch ihre unmenschlichen Taten, unterscheiden sie sich von Menschenrechtsverteidigern.
Wenn sich Letztere an den Grundsatz der Gewaltlosigkeit halten, beweisen sie unerschrocken ihren Glauben an die Herrschaft des Rechts, den Grundsatz der Universalität der Menschenrechte, und daran, dass dieser nur durch Beharrlichkeit verwirklicht werden kann. Die Erfahrung, die Teilung Europas überwunden zu haben, hat den Glauben an die Durchsetzbarkeit der Menschenrechtsidee bestärkt, auch wenn Unrechtsregime, wie zum Beispiel das der Mullahs in Teheran, zählebig sind.
Einer der ältesten Verschwörungsmythen ist der Antisemitismus. Anhänger der verfolgten Freikirche „Kirche des Iran“ etwa sind Opfer eines solchen Mythos. Auch dem in der Türkei verurteilten freikirchlichen Pastor Andrew Brunson, US-Staatsbürger, wurde der Glaube seiner Verfolger an eine Verschwörung zum Verhängnis. Seit Jahrzehnten kennt die Forschung zum Antisemitismus das Phänomen des „Antisemitismus ohne Juden“. Angebliche Mitverschwörer werden dabei als Sündenböcke verfolgt, ob es Christen sind oder Staatsbürger westlicher Länder.  

Mythen funktionieren auch losgelöst von der realen Kenntnis durch Begegnung

Der Religionswissenschaftler Michael Blume erklärte dies in einem Interview mit der Verfasserin dieses Beitrags: „Der Antisemitismus ist ein Verschwörungsglaube, wonach Juden mit Nichtjuden gemeinsam eine weltweite Verschwörung anführen. Blume ist auch bekannt als Leiter des „Sonderkontingents Nordirak“ im Staatsministerium Baden-Württemberg. Seit 2018 ist er für das Land Antisemitismusbeauftragter. Antisemiten glauben, so sagte Blume weiter, dass diese Verschwörer die gesamte Welt kontrollierten. „Im Irak hörte ich etwa, die Kurden seien mit den Juden im Bunde. Sehr häufig werden auch Juden einfach erfunden. So halten Reichsbürger Bundeskanzlerin Angela Merkel für eine Jüdin.“ Antisemiten brauchten gar keine Juden. „Daran sieht man, wie gefährlich dieser Hass ist, völlig losgelöst von der echten Begegnung“, betonte Blume.
Wie sich dieser Hass konkret auf Betroffene auswirkt, spüren wegen ihres Glaubens Gefangene wie Pastor Abdolreza Matthias Haghnejad von der „Kirche des Iran“, ebenso wie deren bekanntester Gemeindeleiter, Youcef Nadarkhani. Am 10. Februar vorigen Jahres drangen Soldaten der Iranischen Revolutionsgarden, auch Pasdaran genannt, in den Raum ein, wo er zusammen mit den anderen Gläubigen Gottesdienst feierte. Sie zogen ihn und acht weitere der Versammelten da heraus, die sämtlich vom Islam zum Christentum übergetreten (konvertiert) waren. Unter ihnen war auch Shahrooz Eslamdous, der mit Haghnejad in Haft blieb, während die anderen sieben Konvertiten im Monat darauf gegen Zahlung einer hohen Kaution das Gefängnis verlassen durften.

Angebliche „Werbung für den Zionismus“

Im Juli 2019 kamen sie dann alle wegen angeblicher „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ - und der „Werbung für Zionismus“ vor Gericht, Vorwürfe, die ihnen aufgrund ihrer christlichen Aktivitäten zur Last gelegt werden. Während der Verhandlung bezeichnete Richter Mohammed Moghiseh die Bibel als Fälschung. Am 13. Oktober fällte er sein Urteil: Jeder der Christen muss für fünf Jahre hinter Gittern. Für Haghnejad ist dies schon die fünfte Haftzeit: Nach drei Inhaftierungen zwischen 2006 und 2011 wurde er im Oktober 2014 zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Zwei Monate später sprach ihn ein Berufungsgericht frei.
Nach intensivem internationalem Druck kam 2012 der bekannte Konvertitenpastor Youcef Nadarkhani frei, der 2010 sogar zum Tode durch den Strang verurteilt worden war. Nachdem er weiter als Pastor wirkte, wurde er erneut angeklagt, verurteilt und inhaftiert. Auch der 38-jährige Saheb Fadaei kam am 13. Mai 2016 für ein paar Wochen in Haft, dann wieder gegen Kautionszahlung frei. Nach einer Anhörung am 14. Juni 2017 erfolgte aber die Verurteilung durch das zuständige Teheraner Revolutionsgericht, zusammen mit Pastor Youcef Nadarkhani und zwei weitere christliche Konvertiten, Mohammad Reza Omidi und Yasser Mossayebzadeh zu zehn Jahren Gefängnis. Trotz Drohungen aus Reihen der Revolutionsgarden hatten sie an ihrem Entschluss festgehalten, über ihren Glauben zu sprechen und sitzen dafür nun seit Juli 2018 durchgehend im berüchtigten Evin-Gefängnis. Das Gericht hielt ihnen vor, die Gründung von Hauskirchen unterstützt und für ein angeblich „zionistisches Christentum“ geworben zu haben. Nadarkhani, Omidi und Fadaei teilen auch das Schicksal, nach ihren Haftaufenthalten noch zwei weitere Jahren in die Verbannung, weit ab von ihrer Heimat, gehen zu müssen.

Nichtmuslime werden im Iran als Feinde des Landes betrachtet

Christen und Juden sowie Zoroastrier werden von der Islamischen Republik Iran als „anerkannte Minderheiten“, die im „Parlament“ vertreten sind, klassifiziert. Diese Einordnung ist faktisch wertlos, weil sie im Widerspruch zur Staatsideologie steht. Einflussreiche Geistliche bestätigen diese Grundlagen regelmäßig, die auf den Führer der Islamischen Revolution von 1979, Ayatollah Chomeini, zurückgehen. Auf die Auslegung dieser Mullahs berufen sich wiederum staatliche Einrichtungen, wenn sie Ansinnen auf Gleichstellung in Straf- und Zivilrecht abschmettern, wo tatsächlich etwa beim Strafmaß oder der Höhe von Entschädigungen zwischen den Religionen unterschieden und Muslime über die „Schutzbefohlenen“ gestellt werden. Die Ungleichheit bildet die Grundlage für die harsche Verfolgung derer, die sogar mutig aus den Reihen der Schutzbefohlenen heraustreten und für ihren Glauben werben. Jede Verkündigung, auch privat gegenüber Muslimen, wird streng bestraft. Nie zuvor war die Verfolgung von Neuchristen so massiv wie seit einigen Jahren.

Antisemitische Geschichte der Islamischen Revolution

 Vertreter des Staates erheben dabei regelmäßig den Vorwurf der „ausländischen Einflussnahme“, sogar Auslandsspionage. So werden Christen, deren Zahl zunimmt, zu Geiseln in den Konflikten mit westlichen Ländern. Es gibt keine offiziellen Zahlen von übergetretenen ehemaligen Muslimen, aber bereits vor zehn Jahren gingen vorsichtige Schätzungen von mehreren Zehntausenden aus. Gravierende innere politische Spannungen sind mit den heftigen Protesten im November 2019 offensichtlich geworden. In vier Jahrzehnten hat sich eine geistliche Krise des Islam im Iran (und anderswo) Experten zufolge entwickelt, zu der der Machtmissbrauch des Regimes im Namen der Religion geführt hat. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen möchten den Zwang zur Religion und den Glauben an einen strafenden Gott abschütteln. Die jungen Kirchen pflegen zudem verständlicherweise Kontakte zu kirchlichen Netzwerken in der freien Welt. Und so wird aus ihrem Erfolg und aus ihren Kontakten eine Verschwörung konstruiert, um letztlich Selbstkritik und Erneuerung auszuweichen.
In seinem Buch „Der islamistische Totalitarismus“ zeigt der Iran-Experte Wahied Wahdat-Hagh auf, dass der Antisemitismus ein Kernbestandteil der auf Ayatollah Khomeini zurückgehenden Ideologie ist. Dem Führer der Islamischen Revolution von 1979 zufolge wollten Israelis und Juden weltweit, zusammen mit den Bahai im Iran, den Islam vernichten. „Die Wurzeln der Verderbtheit bedrohten daher auch die islamischen Länder. In einer gemeinsamen Anstrengung der islamischen Staaten und großer muslimischer Völker müsse Israel entwurzelt werden“, so referiert Wahdat-Hagh aus den gesammelten Werken von Khomeini. Auch Christen nannte der Führer der Islamischen Revolution von 1979 „Feinde des Islam und der Muslime“, also quasi Mitverschwörer.

Antisemitismus ist weltweit seit Jahren auf dem Vormarsch, fortwährend durch extremistische gesellschaftliche Gruppen, als Export aus Diktaturen sowie durch terroristische Organisationen im Kampf gegen den Westen. „Wer behauptet, wir müssten Antisemitismus nur der Juden zuliebe zurückdrängen, hat die Dimension noch nicht begriffen“, warnte Michael Blume. Die Türkei war lange sogar militärstrategisch mit Israel verbündet, aber mit dem Putschversuch 2016 kippte die Stimmung, auch gegenüber den Juden weltweit. Blume nannte die Türkei ein „klassisches Beispiel“ für antisemitische, aber gleichfalls auch antiwestliche Mythen.

Antiwestliche Mythen befördern Christenverfolgung in der Türkei

„Der Putsch wird als Ergebnis einer internationalen Verschwörung gedeutet.“ Regierungsnahe Medien behaupteten, der islamische Prediger Fethullah Gülen sei insgeheim ein katholischer Kardinal und der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. paktiere mit ihm. Dabei werde auch stark Antisemitismus bedient, betonte Blume. Die türkische Regierung propagiere massiv, Demokratie und Rechtsstaat könnten gar nicht funktionieren, da sie stets von bösen Verschwörern ausgenutzt würden. Der aktuelle Antisemitismus in der Türkei werde von Regierungsseite massiv geschürt, etwa indem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Mythos andeute, die Terrororganisation IS sei eine Kreation des israelischen Geheimdienstes Mossad. „Erdogan weiß genau, was er seiner Basis damit vermittelt“.
Betroffen von Verschwörungsvorwürfen war der US-amerikanische Pastor Andrew Brunson. Der presbyterianische Pastor gründete 2010 eine Gemeinde in Izmir und wurde am 7. Oktober 2016 verhaftet. Im Laufe des Prozesses wurde ihm vorgeworfen, den Putschversuch vom 15. Juli desselben Jahres befördert, spioniert, die Kurden durch „Christianisierung“ zum Separatismus angehalten und sogar die PKK unterstützt zu haben. Das zuständige Gericht verurteilte ihn schließlich wegen „Unterstützung einer Terrororganisation“. Aufgrund massiven Drucks seiner Regierung in Washington, die damit auf die Lobbyarbeit zu Brunsons Gunsten reagierte, kam er am 12. Oktober 2018 frei. Bereits am 23. Juli war er in den Hausarrest entlassen worden.
Erschreckend war, wie sehr sich die Anklageschrift auf anonyme Zeugenaussagen und Geheimdokumente stützte. Das Unrecht im Justizwesen und die Anfälligkeit für Verschwörungsmythen legte diese damit offen. Auch wenn Brunson Christ und kein Jude ist: Historische Parallelen zur Dreyfus-Affäre im Frankreich des 19. Jahrhunderts drängen sich dem Beobachter auf, die das Land damals in eine tiefe politische und moralische Krise stürzte: „Der Antisemitismus zerstört diese Gesellschaften so, wie er zuvor auch Europa vergiftet hat“, befürchtet Blume. Hier kann nur ein deutliches Eintreten für Minderheiten und Menschenrechte Abhilfe schaffen.

 

 


Kategorie: Religion

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