Lutherdenkmal Worms, Foto: explizit.net

Luther – Sprach- und Mediengenie

Am Ende der 10 Jahre Beschäftigung mit Luther ist er der Reformator des 16. Jahrhunderts geblieben. Das ist Vergangenheit. Ob Luther heute noch religiös wirkt, ist fraglich. Wirksam ist er heute als der große Sprachschöpfer weiter. Seine Medienstrategie macht ihn zum Zeitgenossen. Seine religiöse Sprachkraft sollte die Theologie wie die Predigt neu inspirieren.

Wenn die von Luther entfachte Dynamik einer von Medien geprägten Kultur spüren will, dann lokalisiert sich das auch konfessionell im Gegensatz von Nord und Süd. Die kritischen Fragen, die Aufdeckung von Skandalen, die Schärfe der Auseinandersetzung kommt aus dem Norden, konkret aus Hamburg. Der Spiegel wird eben nicht in München verlegt. Der Focus, bis vor kurzem noch in München beheimatet, hat die Dinge selten zugespitzt. Auseinandersetzung braucht die freie Stadtkultur.

Die Freien Reichsstädte

Warum aber, wenn schon Norden, nicht Berlin. Weil Hamburg keine Residenzstadt wie München oder Berlin war. Es waren diese Städte, die sich der Reformation anschlossen. Ob Nürnberg, Frankfurt, Leipzig oder Hamburg und die meisten anderen. Die Hinwendung der Städte zur Reformation entsprang, anders als die der Fürstentümer, dem Willen der Bewohner. Während in den meisten Regionen die Fürsten die Konfession der Untertanen bestimmten, wurden die Städte von den Bürgern selbst regiert. Bis zum Frieden von Münster und Osnabrück mussten die Untertanen der Fürsten, selten die Städte, mehrfach die Konfession wechseln, je nach dem religiösen Gusto des Fürsten. Deren Herrschaft über das Bekenntnis wurde mit dem Friedensschluss, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, außer Kraft gesetzt. Die Städte, die sich nicht um eine Fürstenresidenz entwickelt hatten, konnten nicht nur den Titel "Freie Reichsstadt" führen, sie waren auch unabhängig von den Fürsten. In der Hanse haben sie sich eine starke Organisation gegeben, die auch in der Lage war, Truppen oder Kriegsschiffe auszusenden. Da sich praktisch alle Freien Reichsstädte der Reformation anschlossen, hatte Luther die Stimmungslage und die spirituellen Fragen seiner Zeitgenossen getroffen.

Der Sprachgestalter

Mit der Reformation wurde auch die Karriere des Lateins gebrochen. Zwar hatten schon die Bettelmönche die Kanzel in die Mitte der Kirche gerückt und auch viele Menschen angezogen. Aber Luther muss sie in den Schatten gestellt haben. Er hat offensichtlich die religiösen Themen der Menschen ins Wort gebracht. Es war, religiös gesehen, eine andere Zeit als heute. Unter Historikern gilt das 16. Jahrhundert als von einer tiefen Religiosität durchzogen. Nicht ein Sozialreformer wie im 19. Jahrhundert, nicht ein Politiker wie im 20. Jahrhundert, sondern ein Theologe war gefragt. Luthers Sprachkraft ist immer noch so überzeugend, dass die Bibelausgabe zum Lutherjahr nach 500 Jahren auf seiner Textgestaltung beruht. Ein Nebeneinanderlegen von Einheitsübersetzung und Lutherbibel zeigt schnell, wo die größere Sprachkraft zu finden ist.

Themen setzen

Wie hat Luther aber die öffentliche Meinung auf seinen Weg gebracht? Luther und viele Bewegungen nach ihm forderten Reformen. Das Bestehende ist nicht gut genug. Es kann und muss verbessert werden. Lutherisch heißt, vor allem seit die katholische Kirche die Bibel entdeckt hat, nicht mehr so sehr "evangelisch", sondern protestantisch. Mit den Reformen bricht eine "Neue Zeit" an. Bis vor zwei Jahren konnte man einen Vorschlag damit Durchschlagskraft verleihen, indem man ihm das Adjektiv "modern" voranstellte". Jetzt scheint der Zeitgeist aus einer anderen Richtung zu wehen. Die Reformation konnte die ganz anders denkende und fühlende katholische Kirche auf Trab halten konnte. Man stellt Forderungen. So seit Jahrzehnten die Öffnung der Eucharistie für ökumenische Gottesdienste. Die katholische Seite gerät in eine Verteidigungsposition und die Katholiken gewinnen von ihrer Kirche erneut den Eindruck, sie verstehe es immer noch nicht, "modern" zu sein. Die Protagonistin für die Lutherdekade setzt das gleiche Kommunikationsmuster wie Luther ein. Wenn man dieses Kommunikationsmuster erkannt hat, dann ist auch verständlich, warum es in einer lutherisch geprägten Kirche kein Problem ist, das Frauenpriestertum durchzusetzen, in einer anglikanischen schon sehr viel schwerer, in der Römischen Kirche kaum, in der Orthodoxie auf keinen Fall.

Flugblatt, Gesangbuch - Lieder

Luther standen neue Medien zur Verfügung. War die religiöse Kommunikation bis zu seinem Auftreten auf den Kirchenraum zentriert, konnte er mit dem Flugblatt die Diskussion außerhalb der Kirchen anfeuern. Zudem konnte man Gedrucktes leichter vervielfältigen und weitergeben. Wahrscheinlich sind die 95 Thesen zuerst gedruckt worden. Ob sie dann an die Kirchentür in Wittenberg geheftet wurden, lässt sich nicht eindeutig feststellen. Aber nachgedruckt wurden sie von den damaligen Copy-Shops, denen die Gutenberg-Technik für den Schnelldruck zur Verfügung stand. Es war also nicht zuerst die Übersetzung des Neuen Testaments, mit der Luther seine Themen setzte, sondern die Flugblätter brachten ihm die Publizität. Wegen seiner so gewonnen Bekanntheit wurde auch seine Übersetzung des Neuen Testaments zum Bestseller.
Die zweite Medieninnovation war das deutsche Kirchenlied. Es gab eine reiche Volksliedkultur. Die Weihnachtslieder kommen aus den Krippenfeiern. Das lässt sich an den meisten Texten direkt ablesen. Auch zu anderen Melodien wurden religiöse Texte gedichtet. So wird das Lied "O heilige Seelenspeise..." nach der Melodie "Innsbruck ich muss dich lassen" gesungen. Jedoch wurden diese Lieder nicht Bestandteil der katholischen Messfeiern, erst mit der Liturgischen Bewegung im 20. Jahrhundert. Da entwickelte sich zuerst in Deutschland der Brauch, zum Gloria, Credo, Sanctus ein deutsches Lied zu singen, währen der Priester Gloria, Credo und die anderen Gesänge in Latein weiter betete. Das katholische Gotteslob ist ein Vermächtnis Luthers, der ja selbst Liedtexte gedichtet hat. Man muss nur die Textdichter und die Entstehungszeit nachschauen, um im Gotteslob auf das reiche protestantische Erbe zu stoßen.

Luther war mit ungelösten Problemen des Mittelalters befasst

Forschungen eines Instituts der Evangelischen Fakultät in Tübingen haben ergeben, dass die Fragestellungen Luthers wie Calvins nicht erst im 16. Jahrhundert aufgetreten sind. Das Gottesbild hatte sich bereits im 14. Jahrhundert total gewandelt. Auslöser war wohl eine Klimaverschlechterung. Die Menschen waren geschwächt, so dass die Pest wüten könnte. Hinzu kam politische Instabilität sowohl in Deutschland wie auch mit dem Hundertjährigen Krieg in Frankreich. Von Osten drohten die Mongolen. In dieser Epoche kam es zu einer theologischen Krise. Während für das Jahrhundert des Thomas v. Aquin es eine Frage der Gerechtigkeit war, dass Gott aus sich selbst heraus die Menschheit erlösen musste, zeichneten Duns Scotus u.a. Theologen einen Gott, der nicht mehr "allmächtig" ist in Bezug auf die Befreiung des Sünders von seiner Schuld, sondern dessen Allmacht es verlangt, dass er frei ist, wen er für den Himmel auswählt und wen für die Hölle. Da man in der Zeit Luthers davon ausging, dass nur wenige Menschen überhaupt in den Himmel kommen, ist die Frage der Rechtfertigung für die religiös intensive Zeit entscheidend. Dass sie heute kaum jemand bewegt, liegt daran, dass sie umgekippt ist in die Theodizeefrage. Lutherisch wäre heute, dass man nicht zurückgeht auf die Situation Luthers. Die einseitige Darstellung Luther im Problemkreis des 16. Jahrhunderts hat dem Lutherjahr den Elan genommen. Wenn die evangelische Kirche die heutige Befindlichkeit aufgegriffen und wie Luther auf die Bibel bezogen hätte, dann wäre sie ihm mehr gerecht geworden als mit der Rekapitulation der Reformationszeit.   

Was aber machen die Katholiken: Sie haben damals eine Antwort im Barock gefunden. Auch für sie gilt, dass nicht die Restauration des Barock die heutige Problemlage gerecht wird, sondern wie der Barock eine große Synthese zu wagen, in die die Naturwissenschaften eingeschlossen sind. Dazu folgt ein eigener Beitrag

Links: Warum zündet Luther nicht mehr  
Franziskaner, Lutheraner, Ignatianer   
Kirchentag - Wo war Luther


Kategorie: Religion

Kommentare (2)

  1. Georg Müller am 31.10.2017
    Ich empfehle dem Autor, seinen Text End-Korrektur zu lesen oder lesen zu lassen. Wegen "Schusselfehlern" musste ich einige Sätze mehrmals lesen, und mich z.B. fragen, wo sind Subjekt, Prädikat und Objekt, um den Gedanken zu verstehen. Das empfehle ich besonders als Schreiber ebensolcher Fehler, die oft beim Überarbeiten eines Textes mit einem Editor -Programm erst hinein kommen. Ansonsten: Danke für Ihren Artikel!
  2. Joachim Waldemer am 31.10.2017
    Heute ist fuer mich ein Volkstrauertag der besonderen Art!Da kann man noch soviel lobend
    hervorheben,wie man will.Ebenso koennen wir
    die Kriege loben,denn danach ging es wieder
    aufwaerts!

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