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Karneval ökumenisch - auch Protestanten dürfen

Der Karneval scheint nicht zum Protestantismus zu passen. Das Katholische verträgt eher ein paar heidnische Einsprengsel. So scheint es. Jedoch kommt die Fastnacht, der Karneval vom Kirchenvater Augustinus her, nämlich aus seiner im "Gottesstaat" entwickelten Lehre von den zwei Reichen, dem des Bösen und dem von Jesus regierten. Auf Augustinus berufen sich die Reformatoren ausdrücklich. Ein Kommentar zu den närrischen Tagen.

Das Heerlager Luzifers

Auch heute noch stößt man nicht nur im Karneval auf die augustinische Konzeption. Wer Exerzitien nach den Anweisungen des Ignatius von Loyola macht, soll zuerst das Reich des Bösen betrachten. Ignatius lässt vor dem inneren Auge ein großes Feldlager entstehen, in Jerusalem das Heerlager Jesu, in Babylon das Luzifers: „Sich vorstellen, wie wenn der Anführer aller Feinde sich in jenem großen Feldlager von Babylon niederließe, wie auf einem großen Thron von Feuer und Rauch, in furchtbarer und schrecklicher Gestalt. Dann werden die Dämonen zusammengerufen. Der Teufel befiehlt in seiner Ansprache „Netze und Ketten auszuwerfen: daß sie zuerst mit der Begierde nach Reichtum in Versuchung führen sollen, wie dies in den meisten Fällen zu geschehen pflegt, damit man leichter zu eitler Ehre der Welt gelange und danach zu gesteigertem Hochmut.“  Das ist in der alemannischen Fasnet noch am besten zu beobachten. Die meisten Teilnehmer und Zuschauer des Rottweiler Narrensprungs werden allerdings die Bedeutung nicht realisieren, obwohl sie ja nicht in vornehmer Gewandung daherkommen, sondern im  großen Durcheinander und laut. Eine große Rolle spielt der Narr, im Mittealter die Figur, die aus der Schöpfung nicht den Schöpfer erkennen kann. Es geht also um die Bösen, um Dämonen, um die Laster, die dann im Brauchtum noch viel drastischer dargestellt werden. Die Tiermasken sollen ursprünglich die Laster darstellen, so der Fuchs den Geiz, der Ziegenbock und der Hahn die Unzucht, der Pfau die Hoffart.

Die Schattenseiten des Menschen kommen zur Darstellung

Die Fastnacht stellt diese Gegenwelt dar. Das gilt auch für den im 19. Jahrhundert wiederbelebten Rheinischen Karneval. Die Zahl 11, eine weiter als die 10 der Gebote, steht für Gesetzlosigkeit und spielt auf den Jakobinerrat der Französischen Revolution an, der in einem ehemaligen Dominikanerkloster zusammen kam, aber nicht mit dem zwölfköpfigen Apostelkollegium identifiziert werden wollte. Die Saalveranstaltungen der Karnevalssaison geben nicht nur den Garden, also den Bürgerwehren, eine Bühne, sie geben mit den Büttenreden ebenso die Schwächen der Menschen dem Gelächter preis.

Warum die Abstinenz der Protestanten?

Eigentlich hätten Luther und die anderen Reformatoren im Karneval die Zwei-Reiche-Lehre wiedererkennen müssen, die Augustinus in seinem Gottesstaat gegenüber dem Römischen Reich entfaltet. Dieses umfängliche Werk war allerdings nicht als Begründung des Karnevals entstanden. Vielmehr wurde nach der Eroberung Roms im Jahr 410 gegen die Christen argumentiert, ihretwegen hätten die Schutzgötter die Stadt der Eroberung durch die Barbaren stattgegeben. Augustinus zeigt in der ersten Hälfte seines breit angelegten Werkes, dass die Götter schon mehrfach die Stadt im Stich gelassen hatten und die römische Geschichte mit einem Brudermord anfängt. Romulus bringt seinen Bruder Remus wegen einer Kleinigkeit um. Augustinus erklärt das Römische Reich zum Gegenentwurf des von Christus verkündeten Gottesreiches. Dieses sieht er nicht in einem christlichen Königreich, sondern erst mit dem himmlischen Reich verwirklicht. Dieses Werk blieb über Jahrhunderte prägend und hat dann auch zur Herausbildung des Karnevals geführt. Die 40 Tage Fastenzeit waren bereits von der Urkirche übernommen. Jesus hatte nach der Taufe durch Johannes sich 40 Tage fastend in der Wüste aufgehalten. Der Karneval entspringt erst dem mittelalterlichen Denken.

Karneval, nicht germanisch, sondern christlich

Im der mittelalterlichen Vorstellungswelt gehört zu jedem Guten eine Gegenwelt des Bösen. Wenn es etwas Gutes gibt, entspricht ihm auch ein Böses. Die Gegenwelt zur guten Fastenzeit ist das Karnevalstreiben, in dem heute vor allem die Eitelkeiten der Menschen karikiert werden. Da es in der Fastenzeit um die Einübung von Tugenden geht, sind die Gestalten des Karnevals das Gegenbild der Tugenden. Dasselbe geschah mit dem „guten Nikolaus“. Ihm wurde erst im Mittelalter eine böse Gestalt, Knecht Ruprecht oder der Krampus, beigesellt. Die Fastnacht stammt auch nicht aus germanischer Zeit, wie es die Volkskunde zu lange postulierte und so der Ideologie des Nationalsozialismus zuarbeitete. Die hier aufgezeigten Zusammenhänge sind noch nicht lange erforscht. Dietz-Rüdiger Moser hat mit seinen Veröffentlichungen erst 1986 die  Zusammenhänge herausgearbeitet.

Die Karnevals-Abstinenz Luthers

Zur Zeit der Reformation verlängerte eine Spaßgesellschaft das ausgelassene Treiben bis weit in die Fastenzeit hinein. Das konnten die Reformatoren nicht unterstützen, ebenso wenig das Nikolaustreiben, das im Spätmittelalter zu ähnlichen Übergriffen wie auf der Kölner Domplatte führte. Seit Augustinus als Ideengeber für die Karnevalsgestalten und das Brauchtums entdeckt worden ist, könnten die Protestanten ihre Karnevalsabstinenz aufgeben. Wenn die gemeinsame Eucharistiefeier schwierig sein mag, gemeinsamer Karneval mit den Katholiken würde in der jetzigen Situation der Ökumene wahrscheinlich mehr Schwung verleihen. 

Kein Karneval in der Kirche

Was die reformatorischen Gemeinden nicht übernehmen sollten, ist die falsche Anbiederung mancher katholischer Gottesdienste am Karnevalssonntag. Man will den Humor segnen. Das ist in gewisser Weise verständlich, weil sich im 19. Jahrhundert eine Art Sühnegebet herausgebildet hatte, indem gegen das sündige Treiben kniend vor der Monstranz "an-gebetet" wurde. Das beruhte auf einem mangelnden Verständnis des mittelalterlichen Brauchtums. Wenn man dieses Brauchtum wieder in seiner tiefsinnigen Bedeutung verstehen gelernt hat, gehört der Karneval sehr wohl in den Pfarrsaal, aber nicht in den Raum Jesu. Dessen Heerlager wird im Exerzitienbuch als „demütiger, schöner und freundlicher Ort“ gezeichnet. Auch hier ruft der Heerführer auf der „ganzen Welt so viele Personen, Apostel, Jünger usw. zusammen und sendet sie über die ganze Welt hin“. Der Meditierende soll erwägen, wie Christus „an alle seine Diener und Freunde … die er auf einen solchen Kriegszug schickt, eine Rede hält, die das genau Gegenteil des empfiehlt, was Luzifer seinen Dämonen mit auf den Weg gegeben hat. Jesus empfiehlt, „allen helfen zu wollen, indem sie sie zuerst zu höchster geistlicher Armut und, wenn seiner göttlichen Majestät damit gedient ist und sie sie erwählen will, nicht weniger zur realen Armut zu bringen“. Gegen Hoffart und Stolz wird die Demut gestellt.

Die Jahres- und Festzeiten wieder tiefer erleben

Wenn die Evangelischen ihren Humor in den Karneval einbringen und dann noch die Fastenzeit ökumenisch nicht nur in den Kirchengemeinden begangen, sondern n die Gesellschaft hineingetragen wird, dann hätten die Christen der Gesellschaft einen Dienst getan. Eine Funktion erfüllt der Karneval hervorragend: Er markiert den Unterschied von Zeiten. Die vom gleichförmigen Musikteppich überlagerte Stimmung der Menschen würde nicht mehr an Weihnachten mit der gleichen Eintönigkeit übergossen wie die Fastenzeit oder der Erntedank. Karneval hilft auf jeden Fall, wieder die Zeiten zu modellieren. Wenn dann noch der Küchenplan jahreszeitlich abgestimmt wird, würden sich die Mitbürger vielleicht auch der Eintönigkeit der Fertiggerichte entwöhnen.

Ein Kommentar von Laura Müller

Literatur
Dietz-Rüdiger Moser: Fastnacht, Fasching, Karneval. Das Fest der „verkehrten Welt“. Edition Kaleidoskop, Graz 1986, 
zu den Exerzitien des Ignatius und die Herleitung von Augustinus
Stefan Kiechle, Die ignatianische Meditation der Zwei Banner, Zu ihrer Traditionsgeschichte von Augustinus bis Ignatius von Loyola


Kategorie: Religion

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