Raum für Herrnhuter und äthiopische Kirche, Foto: explizit.net

Haus der Religionen

Fünf Religionen leben und beten Im Haus der Religionen in Bern unter einem Dach. Das einzigartige Projekt soll im sozialen Brennpunkt den interreligiösen Dialog fördern und Frieden stiften.

 

Symbolische Wirkung über die Stadtgrenzen hinaus

Das Haus hat Symbolcharakter, der Besucher von fern anzieht. Führungen zur Vorstellung des Projekts sind bereits über ein Jahr im Voraus ausgebucht. Vor aller symbolischen Wirkung handelt es sich beim Haus der Religionen aber um ein lokales Projekt, das sich an Menschen vor Ort richtet und sich an ihren Bedürfnissen orientiert. Die direkte Demokratie der Schweiz erschwert es religiösen Minderheiten, eigene Gebetsstätten zu bauen. Wie beim Minarett-Verbot kommt es immer wieder zu Bürgerentscheiden, die Bauvorhaben der Religionen stoppen. Unwürdige Provisorien in Garagen oder alten Fabriken sind daher der Normalfall. Im Haus der Religionen sollen die Religionsgemeinschaften einen würdigen Gebetsort nach ihrem Selbstverständnis gestalten.

Architektur des Dialogs

Das Zusammenleben der Religionen verläuft nach klaren Regeln: Jede Religionsgemeinschaft hat ihren eigenen Bereich, den sie selbst gestaltet und organisiert. Das große Foyer mit Cafeteria und zwei Seminarräumen bieten Raum für Begegnung. Der „Verein Haus der Religionen“ organisiert ein Bildungs- und Kulturprogram zum interreligiösen und interkulturellen Dialog, an dem sich die Religionsgemeinschaften nach ihren eigenen Vorstellungen beteiligen können. Dieser Grundsatz findet sich in der Architektur wieder: Die Türen, die die individuellen Gebetsräume der Religionen mit dem Dialogbereich verbinden, öffnen nur von der Seite der Religionen. Die Religionen entscheiden selbst, wann sie die Tür öffnen und in Dialog treten.

Vom Niemandsland zur Begegnungsstätte

Die Stadtteile Bethlehem und Bümplitz im Berner Westen gelten als soziale Brennpunkte. Hier leben Migranten verschiedenster Herkunftsländer. Statt provisorischer Gebetsräume erhalten religiöse Minderheiten im Haus der Religionen einen würdigen Gebetsort. Das dort gelebte Mit- und Nebeneinander der Religionen baut Vorurteile ab und wirkt friedenstiftend auf den Stadtteil.
Die Idee zum Haus der Religionen kam nicht, wie man denken könnte, aus den Reihen der Religionen selbst, sondern wurde von den Städteplanern an die ortsansässigen Religionsgemeinschaften Ende der 1990er-Jahre herangetragen. Seitdem hat sich viel getan. Wo sich Bahngleise und eine Autobahnbrücke kreuzen und niemand bauen wollte, spiegeln sich heute die Wolken in der Glasfassade des Haus der Religionen. Ein Runder Tisch mit Vertretern der Religionen und ein Verein „Haus der Religionen“ haben das Bauvorhaben begleitet, die Finanzierung organisiert und das scheinbar Unmögliche möglich gemacht: Sie haben fünf Religionen unter ein Dach gebracht, die zum Teil so verschiedene Ansprüche an ihre Gebetsräume stellen, die sich erst einmal ausschließen. Heute beinhaltet der Gebäudekomplex neben Wohnungen, Büros und einem Supermarkt eine christliche Kirche, eine muslimische Mosche, eine alevitische Dergah, einen hinduistischen Tempel und ein buddhistisches Meditationszentrum sowie Räume für interreligiöse und interkulturelle Begegnung.

Eine architektonische Herausforderung

Wie erfinderisch die Beteiligten bei der Umsetzung der religiösen Bedürfnisse wurden, bezeugt die Baugeschichte des hinduistischen Tempels: Für die Weihe eines Tempels ist es nötig, dass der Tempel ein Fundament in der Erde hat und in den Himmel reicht - der symbolische Ausdruck dafür, dass sich im Tempel Himmel und Erde verbinden. Eine Tiefgarage, die das Haus der Religionen inklusive Hindutempel unterkellern sollte, erschwerte die Umsetzung dieser Vorschrift. Die Lösung scheint simpel, aber eindrücklich: Ein Pfeiler ragt nun vom Erdreich durch die Tiefgarage in den Tempel und sorgt mit den Götterstatuen auf dem Dach für eine durchgängige Verbindung zwischen Himmel und Erde.

Kirche als Ort der Ökumene

Auch im christlichen Sakralraum zeigt sich das Ringen um die angemessene Form. Acht christliche Konfessionen teilen sich eine Kirche. Ein Kreuz gibt es nicht, da man sich auf keines hatte einigen können. Hauptsächlich wird der Kirchenraum von der Herrnhuter Brüdergemeinde und der Äthiopisch-Orthodoxen Gemeinde genutzt, da beiden Konfessionen keine eigenen Kirchen in Bern haben. Ihre Bedürfnisse prägen den Raum: Ein Kompromiss aus schlichtem Weiß, wie bei den Herrnhutern üblich, und bunter Ikonostase für den äthiopisch-orthodoxen Gottesdienst.

Religion und säkulare Gesellschaft

Alltägliche Begegnungen und Bildungsangebote bauen Vorurteile ab und fördern Toleranz. Transparente Angebote sollen Radikalisierung vermeiden. Das Haus der Religionen leistet Präventionsarbeit und ist Ansprechpartner für die Menschen vor Ort, insbesondere für Jugendlichen.
Auf die Frage, welche Rolle Religionen in einer säkularen und pluralen Gesellschaft einnehmen, findet das Haus der Religionen in Bern eine eigene Antwort: Statt nur über Religionen zu reden, kommen die Religionen in Bern selbst zu Wort. Das Haus der Religionen zeigt den Mehrwert, den Religionen der Gesellschaft bieten können. Sie haben das Potential, Werte zu vermitteln, Orientierung zu geben und Frieden zu stiften.


Kategorie: Religion

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