Die Darstellung des Krieges in unserer Berichterstattung folgt der Philosophie der Ukraine. Wenn der gleiche Krieg nach russischer Philosophie beschrieben wird, läuft etwas ganz Anderes ab. Solange die Mütter ihre Söhne nicht zurückrufen, werden diese kämpfen und mit Gewaltexzessen die Bevölkerung gefügig machen. Die Mütter müssen nicht nur wegen der Polizei schweigen, sondern auch wegen der Nachbarn, um nicht als Vaterlandsverräterinnen dazustehen. Diese Sicht der Mehrheit der russischen Bevölkerung haben die Korrespondenten unserer Medien nicht wahrhaben wollen. Sie haben uns vorgegaukelt, dass es eine immer stärker wachsende Opposition gegen den Kurs gibt, auf den Putin Russland gelenkt hat. Dazu als Gegendarstellung einige Stichworte
Zwei Staaten - nur noch für die Russen ein Volk
Putin drückt das so aus „Sag Selenski, dass ich sie verprügeln werde.“ Er sagt das nicht allein zum ukrainischen Präsidenten, sondern zu den Ukrainern insgesamt. Das ist nicht der Tonfall zwischen Feinden, auch nicht zwischen Geschwistern, die doch beide Völker sind. Wir nehmen Euch auch nicht nur die Krim und den Donbass weg, ihr kommt ganz zurück. Vor allem liebäugelt ihr nicht mit dem Westen, sondern kommt dahin zurück, wo ihr hingehört.
Wenn der Krieg in den hiesigen Medien als der zwischen zwei Staaten beschrieben wird, dann ist das die Sicht der Ukrainer. Die Russen sehen die Ukraine als Teil ihres Herrschaftsgebietes, so wie die Länder im Kaukasus oder die eigenständige, muslimische Republik Tatarstan innerhalb der Russischen Föderation. Die Ukraine "kann" sich nicht einfach von Russland lösen und dann noch den USA an den Hals werfen. Denn es ist nicht die EU, die in der Ukraine präsent ist, sondern die USA. So trägt z.B. die neu aufgestellte Polizei der Hauptstadt die gleiche Uniform wie die New Yorker Polizisten. Wenn die Ukraine zum Satelliten der USA geworden ist, dann fühlt sich Russland umso mehr berechtigt, sich das zurückzuholen, was Moskau gehört. Die Hinwendung zum Westen wollen die Russen rückgängig machen. Dabei hat die Annexion der Krim und die Besetzung des Donbass das Land geeint. Eine Russin in Odessa sagte uns bereits 2016: "Niemand hat die Ukraine so geeint wie Putin." Der Fehler Putins liegt machpolitisch darin, nicht 2014 die ganze Ukraine unter seine Kontrolle gebracht zu haben. Sein Kalkül, dass dieser postsowjetische Staat über die Rebellengebiete so destabilisiert werden könne, dass er in einen nach Europa orientierten Westen und den Russisch sprechenden Osten zerfallen würde, ging nicht auf. Der Stellungskampf im Donbass hat der ukrainischen Armee den Vorlauf und die Kenntnisse gegeben, um jetzt effektiv Widerstand zu leisten.
Die Rohstoffe liegen auf russischem Gebiet
Russland kann allein vom Export seiner Bodenschätze leben, nicht nur Gas und Öl, sondern Metalle, Getreide und vieles andere, wofür Deutschland mit Technologie zahlt. Auch die Ukraine war von diesen Rohstoffen abhängig. Deshalb konnte die Regierung in Moskau davon ausgehen, dass der ukrainische Staat keinen Bestand haben wird. Denn 2014 wurden fast alle Wirtschaftsbeziehungen abgebrochen.
Russische Kultur
Die Kultursprache war bisher Russisch, Ukrainisch ist aus der Sicht der Russen nur ein Dialekt. Da der Osten der Ukraine bis zur Revolution 2013/14 weiter Russisch sprach, war Ukrainisch eine Nebensprache im Westen der Ukraine. Auch war die ukrainische Sprache unter den Zaren verboten
Orthodoxes Patriarchat
Belarus und Russland sind kirchlich dem Moskauer Patriarchen zugeordnet. In der Ukraine ist eine eigene Orthodoxe Kirche der Ukraine 2018 vom Patriarchen in Istanbul anerkannt worden. Diese Abspaltung muss rückgängig gemacht werden. Da es zwischen den beiden Kirchen keine theologischen noch liturgischen Differenzen gibt, kann eine Gemeinde leicht zu einem anderen Oberhaupt wechseln. Es genügt, im Gottesdienst nicht mehr Kyrill zu erwähnen, sondern das Oberhaupt der Ukrainischen Kirche, Metropolit Epiphanius. ,
Die Mehrheit der russischen Bevölkerung rechtfertigt den Krieg
Diese Punkte erklären, warum es kein Unrechtbewusstsein gibt, auch nicht bei der russischen Bevölkerung. Das erklärt auch, warum die militärische Planung so wenig mit dem Widerstand der Ukrainer gerechnet hat. Einmal mit den Panzern bis auf den Majdan, den symbolischen Platz der Revolution 2013/14 fahren. Dann würden die Ukrainer verstehen, wohin sie sich orientieren sollen. Der Majdan ist aber Symbol für die Vertreibung des russlandhörigen Präsidenten Janukowitsch. Hier hat die Jugend der Ukraine entschieden, dass ihre Zukunft nicht in einem von Russland dominierten Osteuropa liegen soll.
Das war keine plötzliche Entscheidung. Der Wille, von Russland unabhängig zu sein, ist nicht zuletzt eine Reaktion auf die Rolle, die Moskau der Ukraine zugewiesen hat.
Das Gedächtnis der Ukrainer
Es war nicht erst das Veto aus dem Kreml gegen die Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen mit der EU, die auch den Osten des Landes zur Westorientierung brachte. Schmerzhafte Wunden, die Russland den Ukrainern geschlagen hat, sind wieder aufgerissen worden. Es war auch nicht erst die Annexion der Krim und des Donbass. Es war der von Stalin herbeigeführte „Holomodor“, Tod durch Hunger, der Anfang der dreißiger Jahre für 3,5 Millionen ukrainische Bauern den Tod brachte, als diese sich der Kollektivierung der Landwirtschaft widersetzten. Als 1939 der Westen der heutigen Ukraine nach dem Überfall Deutschlands auf Polen als Dank für die Zustimmung Russlands zur erneuten Zerschlagung Polens an die Sowjetunion fiel, brachte Stalin die Führungsschicht des Landes um oder verschleppt sie nach Sibirien.
Vergleich mit Katalonien
Die staatliche Eigenständigkeit hatten die Ukraine von den Bolschewiken erhalten. Sie waren aber nur auf dem Papier ein Brudervolk. Obwohl Chruschtschow und Breschnew aus der Ukraine stammten, blieben die Ukrainer eine Stufe unter den Russen. Das galt sogar für den Klerus der orthodoxen Gemeinden, die sich zum Moskauer Patriarchat zugehörig fühlten. Wenn diese an einer theologischen Hochschule in Russland studierten, wurden ihnen die russischen Studenten vorgezogen, so berichtete mir ein Mönch, der an der Hochschule doziert, die von der Kirche des Moskauer Patriarchats in Kiew betrieben wird. Wie die Katalonier zahlten die Ukrainer vergleichsweise viel mehr in den Moskauer Steuertopf. Um diese zu 100% im eigenen Land zu halten, stimmte das noch kommunistisch dominierte ukrainische Parlament für den Austritt aus der Sowjetunion und konnte diesen 1991 durchsetzen. Das am meisten industrialisierten Region, ob Spaniens oder der Sowjetunion, reagierte auf die fehlende Wertschätzung durch die Mehrheit, die zudem ihre eigene Sprache zum Herrschaftsinstrument machte. Selbst im Fußball musste Russland dominieren. Ähnliche Dynamiken gab es im damaligen Serbien.
Klein-Russland
Die Ukraine, viel mehr industrialisiert du mit einer besser gebildeten Bevölkerung, wurde im 19. Jahrhundert Klein-Russland genannt. Stalin hat die Intellektuellen der Ukraine gezielt verfolgt und nach Sibirien deportiert.
Kulturelle Identität
Die Unterdrückung ihrer Sprache blieb als Aberkennung kultureller Eigenständigkeit im Gedächtnis der Ukrainer. Lange veröffentlichten die Schriftsteller, die in der Ukraine geboren waren, ihre Werke in Russisch, so Nikolai Gogol. Inzwischen gibt es eine nennenswerte Zahl ukrainischer Verlage. Das Land hat sprachlich und kulturell seine Identität gefunden. von dem Schriftsteller, der bewusst in Ukrainisch veröffentlichte, stehen in vielen Orten Denkmäler Der Wechsel zwischen Europa- und Russland-Orientierung, der mit jeder Wahl zu beobachten war, ist seit dem Krieg im Donbass nicht mehr zu beobachten.
West- gegen Ost-Orientierung
Die Mehrheit der Russen versteht sich nicht Europa zugehörig. Die Minderheit, die das Letztbestimmungsrecht dem Parlament und nicht einer Führergestalt zuordnet, die Medien- und Kunstfreiheit nicht als Gefährdung der öffentlichen Ordnung sieht, die die Unabhängigkeit der Rechtsprechung wollen, verlassen das Land. Einige Ukrainer sind 2014 und auch jetzt vor dem Krieg nach Russland geflohen, die große Mehrheit wendet sich nach Westen. Da Putin den Krieg vorrangig gegen die USA und die EU führt, verfestigt er mit seiner „Militärischen Intervention“ die Wertorientierung der Ukraine. Ob der Westen die Russen in ihrer Abgrenzung von Europa belässt oder ernsthafte Anstrengungen unternimmt, die Russen von den Werten zu überzeugen, die erst Demokratie ermöglichen, ist mit der Investitionssumme für die Bundeswehr nicht entschieden. Für den Transfer demokratischer Wertvorstellungen müssen Schienen für den kulturellen Austausch gelegt werden. Dafür würde 1% des Rüstungsetats genügen. Diese Schienen sollten an europäischen Bahnhöfen halten, da wo Salvini, Le Pen, Alice Weidel in den Zug nach Moskau zusteigen können.
In dem Artikel oben werden die unterschiedlichen Bezugssystem dargestellt, wie Russen den Krieg anders einstufen als die Ukrainer. Jutta Mügge treibt die Frage auf der Werteebene weiter mit der Frage: Wenn jeder Gründe ins Feld führen kann, um den Krieg zu rechtfertigen oder der andere, um ihn zu verurteilen, wie kommt man zu den Kriterien, die entscheiden, welche der Werte Geltung haben sollen. Hier: Ohne kulturelle Werte gibt es Krieg
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