Foto: dpa/ picture-alliance

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Das Risiko tragen die Wähler

Sind die Wähler tatsächlich unberechenbar, weil sie politisch irrational votieren? Eigentlich gehen Sie das größere Risiko ein, nämlich eine Legislaturperiode falsch regiert zu werden. Dass die Wähler gut überlegen, zeigen die letzten Wahlen. Jede der letzten Landtagswahlen hatte ihre Logik. Die liegt nicht einfach in der Partei. Auch wenn die CDU und in den beiden letzten Wahlen die FDP zugelegt haben, sind es nicht die Parteiinhalte. Denn einmal wurden wie in Baden Württemberg und Rheinland Pfalz die Regierungschefs bestätigt. Zweimal wurde die Regierungsspitze abgewählt. Was lehren uns die letzten Landtagswahlen?

Nicht abgewählt werden

Die Wähler sind von sich aus nicht so wankelmütig, wie Ihnen von Journalisten unterstellt wird. Wenn sie gut regiert werden, bleiben sie beim Bewährten, ob bei dem Grünen Kretschmann, bei der Sozialdemokratin Dreyer oder der Christdemokratin Kramp-Karrenbauer. Wieder zeigt sich deutlich: Es liegt nicht an der Partei, sondern an Personen und Regierungen. Jede Partei kann gewinnen, wenn die Bürger die Lösung der Probleme erwarten können. Die FDP allerdings muss es noch beweisen. Jetzt profitiert sie von Einzelpersonen und der Ausgelaugtheit der Grünen, denen die Umwelt-Themene ausgehen, wenn die letzten Atommeiler abgeschaltet werden und das Elektroauto kommt.

Abgewählt werden

Politik soll Probleme lösen. Was die innenpolitischen Themenfelder betrifft, wissen die Wähler ziemlich gut, was geändert werden muss. In NRW sind es die Innere Sicherheit, die Kinderarmut, die aus Bildungsarmut resultiert, die im Ländervergleich zu geringe Innovationskraft und die Staus auf den Autobahnen.

In Schleswig Holstein zeigt das gute Wahlergebnis der Grünen, dass nicht die Regierung, sondern der Ministerpräsident abgewählt wurde. Es scheint wohl so zu sein, dass dieser wenig Einsatzbereitschaft im Wahlkampf zeigte und sich auf guten Umfragewerten auszuruhen schien. Zumindest erregte er mit einem Interview in der Bunten mehr Aufmerksamkeit für sein Privatleben als für seine politischen Optionen und brachte die Frauen gegen sich auf.

Über die AfD und die Jugend

Bei der NRW-Wahl wurde deutlich, dass die AfD in strukturschwachen Regionen des Ruhrgebiets vielle Wählerstimmen erhielt. Beispielsweise im Essener Norden 20 Prozent und in Duisburg-Marxloh 16 Prozent. Do wo die sozialen Probleme am Größten sind und die SPD lange Jahre punkten konnte, wird jetzt die angebliche Alternative für Deutschland zweit- oder drittstärkste Kraft. Ein böser Omen für die Bundestagswahl im September.

Ein Lichtbllick sind die jungen Wählerinnen und Wähler (18-24 Jahre). Bei ihnen erreicht die AfD nur wenig Zustimmung, dafür werden hier überdurchschnittlich die FDP und die Grünen gewählt. 

USA und Frankreich: Proteste bei fehlender Alternative

Wenn die Oppositionsparteien für die Wähler eine Alternative bieten, dann leitet das Wahlergebnis einen geordneten Machtwechsel ein. Wenn die Wähler jedoch in den Oppositionsparteien keine Alternative sehen, dann wird am Ende aus der Wahl selbst ein Protest. Wer die Unzufriedenheit am besten artikulieren kann, erhält dann das Mandat der Wähler für die Regierung. Auf dieses Ergebnis lief die Entwicklung in Frankreich hinaus. Dass es nicht zu einem Regierungsauftrag für Marine Le Pen kam, ist nicht der politischen Kraft der bisher regierenden Parteien zu danken, sondern einem einzelnen Kandidaten. Denn nach der Logik des politischen Prozesses müsste Frankreich eigentlich vom Front National regiert werden. Insofern ist in Frankreich etwas passiert, was durch die Regeln, nach denen Wahlen verlaufen, nicht erklärt werden kann. Anders in den USA.  Die Wahl dort hat einen Kandidaten an die Macht gebracht, den seine Partei eigentlich nicht wollte. Wie der neue Präsident in Frankreich hat er als Einzelkämpfer gewonnen. Ob die Artikulation einer Proteststimmung ausreicht, ein Land in die Zukunft zu führen, lässt sich bereits nach 100 Tagen Trump beurteilen. Möglicherweise hat die fragwürdige Medienpräsenz des US-Präsidenten die Wahl in Frankreich deutlicher entschieden. Aber Wahlen heißt, dass die Wähler nur einen Tag das Sagen haben und damit bereits die Macht wieder aus der Hand geben.

Die Zukunft ist nur versprochen

Mit der Stimmabgabe belohnen die Wähler dann die Arbeit der Regierungskoalition, wenn sie diese nicht abwählen. Sind die Bürger mit der Regierung nicht zufrieden, dann hat die Opposition noch nicht gewonnen. Es kann trotzdem die alte Regierung wiedergewählt werden. Dann trauen die Wähler dem Zukunftsversprechen der Opposition nicht. Sie wählen Stagnation als das kleinere Übel. Oder sie geben der Opposition die Macht. Aber auch solche Wahlen bestimmen noch nicht die Zukunft, sondern nur, wer die Instrumente für die Gestaltung der Zukunft in die Hand bekommt. In NRW hatte die Opposition das Vertrauen der Bürger gewonnen, dass die Wähler ihr die Zukunft des Landes anvertraut haben. Der Oppositionsführer hatte im Wahlkampf nicht nur die Themen, die die Leute in diesem Bundesland gelöst sehen wollen, er konnte auch die Regierungschefin die Sprache wegnehmen. Indem Laschet erklärte, dass NRW im Ländervergleich zu schlecht abschneidet, gab es seitens der Regierung keine Möglichkeit für einen Return. Die Vergleichzahlen stammten nicht von der Opposition, Laschet hat sie nur interpretiert und damit wohl zögernde Wähler an die Urne geholt.

Wer in NRW will nicht nur im Fußball, sondern auch in den anderen gesellschaftlichen Feldern Bayern hinterher laufen. Aber ob der Scheck, den sie ausgestellt haben, gedeckt ist, wissen die Wähler nicht. Deutlich ist nur, dass Wahlen mit der Zukunft gewonnen werden, erst einmal als Fortschreibung der Gegenwart. Erst wenn das mehr Probleme bringt als löst, dann kann eine andere politische Kraft Alternativen umsetzen. Eine Alternative in der Regierungsverantwortung zu entwickeln, gelingt fast nie. Das zeigt die Wahl in NRW überdeutlich. Der Schulz-Effekt konnte das nicht wettmachen. Er stand ja nicht zur Wahl.

Der Risikofaktor Wahlrecht

Der noch ungedeckte Scheck auf die Zukunft, den die Wähler ausstellen, verlangt ein System, in dem der Scheck ausgestellt wie auch eingelöst werden kann. In den USA wie in Frankreich und England kann er nur einer von zwei Parteien ausgehändigt werden. Zeigen sich beide als ungeeignet, dann muss der Wähler trotzdem den Scheck unterschreiben. Sowohl in Frankreich wie in den USA wurde der Kandidat gewählt, der zu keiner der beiden Parteien gehört. Ein Wahlrecht, das mit der Fünfprozentklausel jeweils mehr als zwei Parteien ein Mandat gibt, auf der Regierungsbank Platz zu nehmen, ist auf die Dauer flexibler und garantiert mehr Sicherheit bei einem Machtwechsel. Das obwohl das Wahlrecht, das auf zwei Parteien hinausläuft, den Unsicherheitsfaktor "Wähler" reduzieren soll. Mehr Zutrauen in den Wähler, wie es das Verhältniswahlrecht ermöglicht, stabilisiert die staatliche Ordnung, auch wenn die Wähler nicht bestimmen können, welche Koalition am Ende regiert.

Es wird deutlich: Die Parteien, nicht die Wähler sind der größere Unsicherheitsfaktor einer Demokratie.

Ein Kommentar von Eckhard Bieger S.J.


Kategorie: Politik

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