Wiederholen, um zu verstehen

Wer so studieren will, dass möglichst viel des Gelernten im Langzeitgedächtnis gespeichert werden soll, darf nicht nur die Wissensinhalte mal gehört haben, sondern sie müssen im Gehirn abrufbar sein. Dafür gibt es den Begriff "Sich-etwas-Einprägen". Das bedeutet, einen Inhalt so intensiv zu bearbeiten, dass die Gehirnzellen sich verändern.

Sich Wissensinhalte aneignen, heißt, sie durch die Aneignung direkt verfügbar haben. Der Aufwand lohnt sich aber nur, wenn man dauerhaft mit dem angeeigneten Wissen etwas anfangen, nämlich einen Beruf ausüben kann. Dafür genügt es nicht, die Inhalte in der Weise zu berühren, dass im Text wichtige Abschnitte und Sätze markiert werden, damit man sie im Buch oder Skript wieder findet, sondern dass das Gelesene wirklich angeeignet, d.h. im Langzeitgedächtnis abgespeichert ist. Dafür hatte man schon in der Zeit, als die Wissenschaftssprache Latein war, den Satz geprägt: Repetitio est Mater Studiorum, "Die Wiederholung bringt es". Es geht also nicht um Wiederholen für das Auswendiglernen, sondern um tiefer in den Stoff einzudringen, indem ich die Zusammenhänge freilege und so die Bedeutung des Wissensgebietes einschätzen zu können.

Was im Gehirn passiert

Die Hirnforschung hat diesen Tipp für effektives Studieren erklärbar gemacht. Während das Lernen tagsüber geschieht, wird das Gelernte erst im Schlaf dauerhaft gespeichert. Das erklärt sich etwa so: Studieren geschieht im Blick auf die Hirnzellen in der Weise, dass an den Nervenenden erst einmal nur Molekülkonstellationen verändert werden. Im Schlaf, wenn das Wachstumshormon ausgeschüttet wird, wachsen dann zwischen den Neuronen die sog. Dendriten, die das Gelernte im Langzeitgedächtnis verankern. Damit also Wissensinhalte dauerhaft im Langzeitgedächtnis abgespeichert werden, müssen Molekülkonstellationen, die sich leicht wieder auflösen können, so stabilisiert werden, dass sie den Wachstumsimpuls der Dendriten auslösen. Das Ganze ist natürlich noch komplexer, für das Lernen reicht jedoch die Vorstellung, dass aus einem lockeren Molekülgefüge etwas Festes werden soll. Das gelingt nicht durch "Überfliegen" eines Textes, sondern nur durch intensives Sich-Aneignen. Ein Weiteres kommt hinzu, nämlich die Verknüpfung neuer Inhalte mit vorhandenen Wissensbeständen.

Neues mit Vorhandenem verknüpfen

Wer ein Studienfach beherrscht, verfügt erst einmal wie ein Lexikon über eine Zahl von Begriffen und kennt ihre Bedeutung. Damit aber Wissen anwendbar wird, müssen Zusammenhänge hinzukommen. In der Medizin müssen z.B. Symptome mit Störungen in Körperabläufen verbunden werden. Dafür muss man zuerst wissen, wie die Körperfunktionen normal ablaufen, um zu verstehen, welche Veränderung ein Symptom hervorruft. Behandelt werden muss dann der zugrundeliegende Prozess und nicht nur das Symptom. In den Naturwissenschaften geht es in der Regel um Ursachen und ihre Wirkungen. In den Geisteswissenschaften sind die Zusammenhänge meist nicht auf die Verknüpfung von Ursache und Wirkung zu reduzieren, denn es müssen Bedeutungen generiert werden. Bedeutungen sind immer an Medien gebunden, meist an die Sprache, aber auch Darstellungen der Kunst. Um diese Zusammenhänge zu verstehen, ist Wiederholung unerlässlich, denn es geht nicht nur darum, einen Wissensinhalt abrufbar zu machen, sondern ihn mit möglichst vielen anderen Wissensbeständen zu verknüpfen. Je mehr Verknüpfungen, desto sicherer.

Sich vom eigenen Interesse leiten lassen ist lerneffektiv

Es geht also nicht um die Lernzeit, sondern um die Intensität des Lernens. Deshalb ist der "Wissensdurst" der wirksamste Lernmotor. Denn wenn ich etwas verstehen will, lasse ich nicht eher vom Verstehen-Wollen ab, bis ich verstanden habe. Das klingt egoistisch und ist es auch, denn beim Lernen geht es darum, dass etwas in mein Hirn wandert. Erst wenn ich mein Wissen an andere weitergebe, wenn ich lehre, ich medizinisch, juristisch und auf andere Weis um andere kümmere, haben andere etwas von meinen Lernanstrengungen. Als Lhrer:in kümmere ich mich darum, wie das Wissen sich im Gehirn der Schüler bzw. Studierenden einnistet. Wenn es mir da gelingt, beim "Wissensdurst" der Lernenden anzusetzen, kann ich mit Lernenergie rechnen. Das Gleiche gilt für das eigene Studieren. Wenn ich bei meinen Interessen ansetze, erreiche die höchste Effektivität. Deshalb sollte ich mir bei jedem Lernstoff zuerst die Frage stellen:

  1. Was interessiert mich hier?
  2. Was will ich verstanden haben, bevor ich dieses Wissensgebiet
    als "verstanden" abhake?

Es wird deutlich: Verstehen ist nicht abhängig davon, wie viel Zeit ich investiert habe, sondern ob ich mir Zusammenhänge erarbeitet habe. Das erreiche ich, indem ich reflektiere, was ich verstanden habe und was die Bedeutung von dem sein könnte, was ich jetzt weiß. Noch effektiver ist es, mit anderen zu diskutieren. Lernen nur auf dem eigenen Zimmer braucht viel mehr Zeit und ist allein davon abhängig, welche Zusammenhänge ich entdeckt habe Es ist schon also rein zeitlich viel ökonomischer, bei andere nachzuhören, was sie aus dem Lernstoff gemacht haben.


Kategorie: Monatsthema

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