John Conde / pixabay

Mit ChatGPT beginnt eine neue Ära für die Geisteswissenschaften

Die Geisteswissenschaftler:innen sind hauptsächlich mit dem Verfassen von Texten beschäftigt sind. Mit ChatGPT beginnt eine neue Ära. Der Texterstellung erfolgt an ihnen vorbei. Die KI ist nicht nur schneller, sie hat auch viel mehr Wissen gespeichert. Was bleibt noch für die Menschen und wie verändert dies die Geisteswissenschaften? Eine Einordnung im Rahmen des explizit.net - Monatsthemas "Künstliche Intelligenz".

Warum die Geisteswissenschaften durch Algorithmen mehr betroffen sind

Das Internet „weiß“ sehr viel und wird jeden Tag mit neuem Wissen erweitert. Damit immer mehr, was die Geisteswissenschaften vermitteln, im Internet. Dieses gespeicherte Wissen ist für, anders für die Naturwissenschaften, unentbehrlich. Letztere brauchen nur die Gesetze der natürlichen Vorgänge herausfinden. Die Kultur, Gegenstand der Geisteswissenschaften, ist geworden und ändert sich ständig. Jedoch bleiben etwa 80%, so eine Sinfonie, ein Gemälde, ein Drama, deren Urheber oft vor Generationen gelebt haben. Die vom Menschen gemachte Welt kann man nur verstehen und weiterentwickeln, wenn man die Entwicklung ihrer Inhalte kennt. Deshalb ist Geschichte für die Themen der Geisteswissenschaftler:innen der Zugang zu den einzelnen Segmenten der Kultur.

Die Entwicklung von Philosophie, Theologie, der verschiedenen Kulturen ist ein unentbehrlicher Zugang zu den Inhalten des jeweiligen Faches. Das gilt auch für die Fremdsprachen. Deren zentralen Texte haben in der Geschichte ihren Ursprung. Für ein Studium der Naturwissenschaften braucht es diese Einbeziehung der Geschichte nicht, denn man muss sich nur den aktuellen Forschungsstand anzueignen. Die Konzepte für die meisten Bereiche der Kultur sind dagegen von früheren Generationen entworfen und immer weiterentwickelt worden. Man muss sie verstehen, um sie weiterzuentwickeln. Dafür besteht ein hoher Bedarf. Am Beispiel der ökologischen Herausforderung wird offensichtlich, dass die Verbreitung der Erkenntnisse der Naturwissenschaften nicht genügen, um den Klimakollaps abzuwenden. Es braucht dafür eine kulturelle Initiative, damit sich die Orientierung der Menschen vom Effektivitätsideal hin zum Erhalt der lebenserhaltenden Umwelt zuzuwenden. Das ist Aufgabe der Geisteswissenschaften.
Die lange Erklärung läuft auf eine zu formulierende Konsequenz hinaus: Vieles, was in den Geisteswissenschaften vermittelt wird, kann man über ChatGPT oder einen anderen Chatbot abrufen. Was bleibt übrig:

Die Chatbots vermitteln die Vergangenheit, die menschlichen Gehirne können sich auf die Zukunft ausrichten

Wenn Algorithmen das vorhandene Wissen nicht nur mit Suchmaschinen auffindbar machen, sondern gleich in Texten formulieren, ist Konkurrenz dazu nicht möglich. Nur wer Neues schreibt, komponiert, malt, entwirft, kann den Chatbots voraus sein. Das heißt, dass die Geisteswissenshaften sich mehr der Gegenwart und den zukünftigen Entwicklungen zuwenden müssen, um nicht durch Algorithmen vom der ersten Platz verdrängt zu werden. Denn die Algorithmen sind nur Konkurrenz, wenn es um vorhandenes Wissen geht. Dazu einige Punkte

1.       Die Finanzierung der Geisteswissenschaften rückt ihrer Dringlichkeitsskala auf hintere Stellen, denn sowohl Ökologie wie Militär beanspruchen mehr Geld und können diesen Bedarf dringend machen. Deshalb sollten Geisteswissenschaftler:innen sich aktuellen Herausforderungen zuwenden. Odo Marquard hat die Notwendigkeit der Geisteswissenschaften aus den Naturwissenschaften hergeleitet. Es müssen nicht nur die technischen Entwicklungen und hier die Digitalisierung zum Gegenstand gemacht werden, sondern auch wie die ökologische Krise durch kulturelle Strategien angegangen werden kann. Der Einmarsch in die Ukraine konnte nur überraschen, weil wir uns nicht mit Russland beschäftigt haben.

2.      Das Urheberrecht wird die Texterstellung von Menschen den Vorrang gegenüber den Algorithmen geben. Denn ChatGPT und die andere Chatbots sind auf vorhandene Texte angewiesen. Diese unterliegen dem Schutz durch das Urheberrecht. Es werden, daran zweifeln Juristen nicht, die Chatbots auf die Autoren zugehen müssen. Eine Sammelklage würde auch Microsoft in die Knie zwingen. Die New York Times ist mit einer Klage initiativ geworden. Die VG-Wort und andere Verwertungsgesellschaften haben gute Juristen.

3.      Wenn ChatGTP in den Alltag integriert sein wird, dann wird es wie selbstverständlich noch mehr genutzt werden. Damit verliert es seinen Nimbus. Denn wenn mir Texte als lesenswert präsentiert werden, die ich mir selber erstellen könnte, werden die Leser das Neue, weswegen sie Lesezeit aufwenden, anderswo suchen. Das gilt nicht für Routinetexte, die Rechtsanwälte, Mediziner, Behörden erstellen, sondern auch für Lehrbücher und Studientexte.

Autorenschaft profilieren

Wenn ich als Autor, als Autorin angefragt werde, dann sollte der/die Auftraggeber:innen wissen, dass ich ihm keine Texte unterschiebe, die ich nicht selbst erarbeitet habe. Das muss nicht nur der / der Auftraggeber:in, sondern auch der/ die Leser:in am Text selber erkennen können. Das ermöglicht der bleibende Unterschied zwischen Gehirn und Algorithmus. Dieser wird das Gehirn in zwei wesentlichen Qualitäten überleben. Chips können zwar sehr viel schneller Informationen speichern als Neuronen. Denn das Gehirn muss zwischen den Nervenzellen Dendriten wachsen lassen, damit diese im Langzeitgedächtnis verfügbar bleiben. Daher kann ein Gehirn nicht so viele Informationen verarbeiten als der Algorithmus. Es kann etwas Anderes, nämlich Wichtiges von Unwichtigen unterscheiden und braucht deshalb nicht so viel zu speichern. Weiter kann der Algorithmus nicht herausfinden, was die Texte, die er ausgibt, für eine Bedeutung haben oder bekommen werden. Hier wird das Urheberrecht entscheidend für das berufliche Überleben der Geisteswissenschaftler. Wenn jetzt solche Texte, einmal ins Netz gestellt, von dem Crawler des Algorithmus erfasst werden, spuckt das Chatbot diese auch wieder aus. Die Erkennbarkeit von Texten, die ein Gehirn formuliert hat, wird erst an der Verstehens-Dimension ablesbar. Die Informationen, die jetzt schon Wikipedia beisteuert, werden von den Chatbots in Texte umgeformt. Um diese möglichst spezifiziert zu bekommen, brauche ich nur die Fragen entsprechend formulieren und möglichst mehrere Begriffe verwenden. Nicht mehr die Bereitstellung von Informationen, sondern ihre Bedeutung und die möglichen Folgen der Inhalte dieser Informationen werden den Vorsprung des Gehirns sichern. Es ist dasselbe Gehirn, das auch die Chatbots konstruiert hat. Texte, die das Gehirn formuliert hat, werden sehr viel kürzer und damit die Bücher dünner. Schon heute liest man bereits Gedrucktes im Wechsel mit Wikipedia, demnächst mit einem Chatbot. Ihren Vorsprung können ein Autor, eine Autorin deshalb halten, weil sie nur ihren Kompetenzbereich zu überblicken haben. Sie brauchen nur für dieses Segment auskunftsfähig sein, dessen Bedeutung darstellen und einen Blick in die Zukunft eröffnen.

Wie Die Chatbots das Profil des Journalismus verändert: KI und Journalismus

Text: Eckhard Bieger SJ
Foto: John Conde / pixabay


Kategorie: Monatsthema

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