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Das Gehirn im digitalen Stress

Weil das digitale Leben die Arbeit auf den Bildschirm verlegt hat und kaum noch die Muskeln beansprucht, werden das Gehirn und die Augen verstärkt belastet. Deshalb lohnt sich die Sorge für dieses Organ, so wie Sportler ihre Muskeln und Gelenke im Blick haben müssen. Zumal eine Beeinträchtigung eines Hirnareals viel mehr Folgen hat, als ein Muskelkater. Fereinzeiten - wie jetzt - sollten dafür genutzt werden.

In den Monaten Juli und August widmet sich explizit.net dem Thema "Unterwegs" / "Auszeit nehmen", sei es physisch als auch psychisch.

Das Hirn ist, anders als die meisten anderen Organe, mit jedem Teil des Körpers verbunden. Deshalb können sich Störungen der Gehirnfunktion auch auf andere Organe und Körperteile auswirken. Der verstärkte Fokus auf das biologische System Gehirn mit wohl zehn Milliarden Nervenzellen bedingt auch, dass man sich mit den Betriebsstoffen für die Gehirnarbeit wie Glukose und vielen anderen Nährstoffen näher befasst.

Das Gehirn als biologisches System

Die digitale Kultur beansprucht besonders das Gehirn. Es ist wie ein Muskel oder der Magendarmtrakt oder das Knochengerüst ein biologisches System, das gepflegt werden will. Nicht zuletzt, weil es Steuerungsimpulse in alle Körperregionen sendet, braucht es besondere Aufmerksamkeit. Das Gehirn ist außerdem zentraler Taktgeber für die peripheren Körperfunktionen. Wenn der aus Takt gerät, kommt es zu gesundheitlichen Störungen wie u.a. Burnout, wenn u.a. die Nebennierenrinde vom Gehirn nicht mehr den adäquaten Impuls erhält, das Aktivitätshormon Cortisol zu bilden, von dem wir täglich 50mg benötigen. Wir spüren beim Aufstehen, ob genügend Cortisol gebildet wurde, wenn wir uns frisch und tatkräftig fühlen.

Mittelfristig bemerken wir es auch an der Zunahme von Entzündungen und schlechterer Energiebereitstellung, ob Cortisol fehlt. Entzündungen können nicht nur durch Verletzungen, Bakterien und Viren, sondern auch als sog. stille Entzündungen („silent inflammation“) vom Hirn ausgelöst werden, z.B. als Reaktion auf übermäßigen Stress.

Das sind nur zwei von vielen Reaktionen des Körpers, die vom Hirn ausgelöst werden. Deshalb lohnt es sich, von diesem Organ so viel wie möglich zu verstehen, um gut mit ihm umgehen zu können. Weder kann Kaffee das Cortisol gleichwertig ersetzen, noch sind Medikamente in der Lage, die vielen Steuerungsimpulse, mit denen das Gehirn unseren Körper lenkt, nachzubilden. Wir können es auch nicht so wie unser Handy oder das Notebook ununterbrochen arbeiten lassen. Als biologisches System muss sich das Gehirn regelmäßig regenerieren und braucht vor allen anderen Organen den Schlaf.

Strom fließt durch Nerven

Das Gehirn ist ein elektrisches biologisches System, durch das Strom fließt. Das ist ein biophysikalischer Vorgang, bei dem unter hohem Energieverbrauch an der Zellmembran elektrochemische Gradienten aufrechterhalten werden, am wichtigsten der Natrium-Kalium-Gradient. Daher ermüdet dieses System, anders als ein Draht, durch den Strom fließt. Da Milliarden Nervenzellen, die über bis zu 10.000 Dendriten miteinander verbunden sind, versorgt werden müssen, ist der Energieverbrauch des Gehirns sehr hoch. Es verbraucht 20 % der gesamten Energie des Körpers.  

Schlaf und Ruhepausen

Die Regeneration verläuft hauptsächlich in den Nachtstunden. In der ersten Nachthälfte werden die Stoffwechselabfälle weggeräumt und eliminiert. Das Schlafhormon Melatonin übernimmt neben seiner schlaffördernden Funktion hier eine wichtige Taktgeberfunktion. In der zweiten Nachthälfte werden im Gehirn und im gesamten Organismus Betriebsstoffe, Hormone, Botenstoffe und vieles mehr gebildet, was der Körper tagsüber benötigt. Wenn die Nebennierenrinde nicht mehr gegen vier Uhr morgens den Impuls erhält, Cortisol zu bilden, weil der Biorhythmus aus dem Takt geraten ist, ist man am Tag viel weniger leistungsfähig und braucht für die meisten Arbeiten mehr Zeit. Wenn dieser Zustand überhandnimmt, kommt es zum Burnout, dem Ausgebranntsein. Das ist nicht nur ein Gefühl, sondern ein biologischer Zustand des Körpers. Schlafstörungen belasten von allen Organen, die sich alle ebenso regenerieren müssen, das biologische System Gehirn am meisten.   

Das Gehirn entwickelt sich ständig

Der Schlaf ist nicht nur für die Vorbereitung auf die Aktivitäten am Tage unentbehrlich, er entwickelt das Gehirn auch als Denkapparat weiter. Wenn frühere Generationen zu der Erkenntnis gekommen sind "den Seinen gibt es Gott im Schlafe", dann kann die Hirnforschung das inzwischen erklären. Die nächtliche Ausschüttung von Wachstumshormonen dient nicht nur der Reparatur, der Neubildung und dem Wachstum, sondern fördert auch die Vernetzung der Nervenzellen über Bildung von Neuriten, Dendriten, Synapsen. Auch die Gedächtnisfunktion wird im Schlaf durch Wachstumsstoffe im Gehirn gefördert. Tagsüber Erlerntes wird in Wissen umgewandelt. Damit entwickelt sich das Wissen „über Nacht“ weiter. Auch wenn ein Projekt, ein Design, ein Artikel oder Film entstehen soll, verknüpfen sich Neuronen. Das, was beim Computer auf der Festplatte nur als Ladung gespeichert ist, wird im Gehirn "verdrahtet". Wir können daher viel direkter darauf zugreifen als auf ein Foto, eine Textzeile, eine Melodie, die wir auf der Festplatte gespeichert haben.

Alle unsere Denkprozesse brauchen den Schlaf, weil wir auf Denk- und Lernfortschritte nur zurückgreifen können, wenn Erlerntes zu Wissen geworden ist. Deshalb verpuffen Lernerfolge im Studium, die auf Kosten des Schlafes angeeignet wurden. Denn das Gelernte kann nur dann in eine Prüfung verwertet werden, wenn es auch im Moment der Frage oder der schriftlichen Aufgabe zur Verfügung steht. Dafür muss es ins Langzeitgedächtnis transformiert worden sein.

Eiweiße und Vitamine

Neben den Energielieferanten, Strukturstoffen und Hormonen braucht das Gehirn weitere Signalstoffe, deren Ausgangstoffe, die sog. essentiellen Aminosäuren, der Körper selbst nicht bilden kann. Die Signalvermittlung von einer Zelle zur anderen ist störanfällig und mit dem Risiko psychiatrischer Erkrankungen verbunden. Auch essentielle Vitamine, vor allem die B-Vitamine, Vitamin C und D sind Voraussetzung, dass das Gehirn effektiv arbeiten kann. Zu diesen Themen folgen weitere Beiträge in der neuen Reihe „Gesundheit im Digitalen.

Dr. Eckhard Bieger SJ


Kategorie: Monatsthema

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