Morgen feiern wir das Osterfest 2021 – zum zweiten Mal vielerorts mit digitalen Streaming-Gottesdiensten und Mitmach-Angeboten anstelle der traditionell besonders gut besuchten Präsenzgottesdienste. Die Corona-Pandemie verändert die pastorale Arbeit in den Gemeinden und Pfarreien – nachhaltig. Aber können „hausgemachte“ digitale Angebote reale spirituelle Erlebnisse schaffen? Kritik daran gibt es viel. Dieser Kommentar möchte Mut machen, (digitale) Gemeinden zu bilden und Gott (online) zu suchen. Gleichzeitig bildet dieser den Abschluss des publicatio e-V.-Monatsthemas "Kirche + Medien".
Prolog: Als vor einem Jahr beim Osterfest 2020 keine Präsenzgottesdienste möglich waren, wurden in vielen Gemeinden und Pfarreien kurzerhand digitale Angebote, wie Livestreams von Gottesdiensten, eingeführt – etwa in meiner Heimatpfarrei Liebfrauen Bochum, wo wir an den Kar- und Ostertagen insgesamt 24 Stunden „live“ aus der St. Ludgerus-Kirche in Bochum-Langendreer die Gottesdienste und Heiligen Messen in Facebook und YouTube „streamten“. Ohne die Unterstützung des Jugendpastoralen Zentrums „Trinity“ wäre dies nicht gelungen und zeigt einmal mehr, dass die (kath.) Jugend nicht nur technisch, sondern auch pastoral, in der digitalen Kirche weit voraus ist. Dabei wurde deutlich: Auch wenn Technik und Gestaltung bei weitem nicht an die professionellen Streamings von ARD, ZDF und den Bistümern heranreichten, ergaben die Klickzahlen und die Rückmeldungen ein klares Bild: Die Gläubigen möchten lieber „ihre“ pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen und es wurden weitaus mehr Menschen erreicht als bei den „Präsenzgottesdiensten“ an Ostern zuvor.
"Aua, so peinlich war mir meine Kirche noch nie.“ (Erik Flügge)
Trotzdem war die Kritik an den digitalen Angeboten der Gemeinden und Pfarreien anschließend groß. Auf der einen Seite gab es eine Debatte über die Gültigkeit von digitalen (Mess-)Feiern und die Frage, ob die digitalen Angebote vollwertige pastorale Angebote seien. Auf der anderen Seite eine Debatte um die Qualität der Inhalte: Buchautor Erik Flügge schrieb am 3. April 2020 in der ZEIT, plakativ wie wohl bewusst herausfordernd: „Aua, so peinlich war mir meine Kirche noch nie.“ Flügge führt weiter aus: „Was schon für das geübte Kirchenmitglied kaum zu ertragen ist, wirkt noch viel krasser auf Leute, die das nicht kennen“. Er beschreibt damit die Tatsache, dass an Ostern 2020 die digitalen Angebote der Kirche erstmals auch die „Filterbubble“ Kirche verließen und auf die säkulare Welt mit den Ansprüchen auf professionell gestaltete und ästhetisch hochwertige digitale Angebote prallten.
Die Grundsatzkritik von Erik Flügge, dass vor allem in der katholischen Kirche, von Seiten der sog. „Amtskirchen“, zu wenig in den Aufbau digitaler kirchlicher Angebote und Medien vor Ort investiert wurde, teile ich. Auch bei den Tagungen „Kirche im Web“ wurde diese Kritik seit mehreren Jahren immer wieder von kirchlichen Medienschaffenden geäußert. Doch dort zeigte sich zuletzt auch: Es tut sich was. Sie bewegt sich doch: Die Kirche im Netz. Aber das geht nur durch Ausprobieren und das Aushalten von „unvollkommenen“ und manchmal auch „peinlichen“ digitalen Kirchenangeboten.
Dialog statt Klerikalismus
Ändern sollte sich bei den digitalen (Gottesdienst-)Angeboten in den Gemeinden und Pfarreien aus meiner Sicht trotzdem etwas: An Ostern und Weihnachten 2020 gab es einerseits eine starke Ausrichtung auf die Geistlichen und die Hauptamtlichen „vor der Kamera“ sowie andererseits eine Fixierung auf die Eucharistiefeier.
Andere pastorale Angebote – wie zum Beispiel die „Dialog mit Gott“-Messen an jedem vierten Sonntag im Monat in der Pfarrei Liebfrauen Bochum – analog gestartet und jetzt auf ZOOM fortgeführt - und andere digitale Angebote, die auf eine Beteiligung der Gläubigen setzen, sind lange Zeit nicht beachtet worden. Corona hat dies geändert und da hat die Pandemie auch mal was Positives.
„Luft nach oben“… aber die Richtung stimmt!
Selten habe ich der (kath.) Kirche so intensive Debatten unter Haupt- und Ehrenamtlichen darüber erlebt, wie die Kirchen den Menschen trotz Covid19 eine Teilhabe am (Gemeinde-)Leben ermöglichen können. Selten habe ich „meine“ kath. Kirche so einladend und innovativ erlebt. Auch wenn (gestaltungs-)technisch sicherlich bei dem ein oder anderen Digitalangebot noch „Luft nach oben“ (Prof. Andreas Büsch) ist, ist das Wichtigste: Die Richtung stimmt!
Und an vielen Stellen sind die Kirchengremien – verstärkt und stark beschleunigt durch die Pandemie – zur Einsicht gekommen, Seelsorge und pastorale Angebote im Internet als wichtig anzusehen. Vielleicht eine nicht ganz freiwillige Erkenntnis, und vielerorts werden digitale Angebote bei weitem noch nicht (strukturell, finanziell und personell) gleichwertig zu „analogen“ pastoralen Angeboten gesehen, aber nach über 20 Jahren vorsichtigen „Herantastens“ legt die Kirche ihre „Ressentiments gegenüber digitalen Arbeitsweisen, die als weniger real oder als weniger wertvoll betrachtet werden wie persönliche Begegnungen“ (JProf. Wolfgang Beck) ab und die Kirchen entwickeln jetzt eine „Kultur der Digitalität“.
"Weht der Geist in Bits und Bytes?" (Maurus Runge)
„Es ist meine feste Überzeugung, dass wir auch im Netz (…) Erfahrungen des Geistes machen können, dass also der Geist durch Bits und Bytes weht“, betont Pater Maurus Runge in Anlehnung an die vom Theologen Karl Rahner beschriebenen „Erfahrungen des Geistes“. Maurus Runge, Missionsprokurator der Benediktinerabtei Königsmünster, beschreibt in seinem gleichnamigen Buch* weiter: „Auch in der digitalen Welt gibt es Rituale. (...) Kombinationen von Ritualen in physischer und virtueller Welt gehör[en] für viele Menschen zu ihrem Alltag und geben ihnen Orientierung.“ (Runge, 83/84)
Warum sollten daher nicht beispielsweise auch Gottesdienste per Livestream „Gotteserfahrungen“ durch den Menschen im Sinne von Karl Rahner ermöglichen, frage ich mich am Vorabend des Osterfestes 2021, an dem viele Gläubige wie ich wegen Covid19 nur „virtuell“, aber dennoch „real“ Ostern mitfeiern können?
"One more thing…" (Steve Jobs)
Was noch fehlt: Dass Kirche die digitalen Angebote nicht mehr nur als „add-on“ ansieht, sondern zum berühmten „one more thing“ macht, wie bei den legendären Apple–Produktpräsentationen von Steve Jobs. Ein Weg dazu könnten „digitale Kirchorte“ in den Pfarreien sein, wie JProf. Wolfgang Beck kürzlich bei domradio.de anregte. Und ich würde noch einen Schritt weiter gehen und fragen: Warum sollen diese digitalen Kirchorte an die Territorialstrukturen von Gemeinden und Pfarreien gebunden bleiben?
Projekte wie HOLY BLOCKS haben deutlich gemacht, dass man den Glauben – ohne „reale“ Strukturen und Gebäude – auch online erfahren kann. Und nicht nur junge Menschen können das. Nicht aber ohne (technisch, pädagogisch und theologisch) geschultes Personal. Hier sollte die Kirche nicht sparen, sondern im Gegenteil, Innovationen zulassen und, wie beim HOLY BLOCKS-Projekt durch die DBK, aktiv fördern.
„Gestalten – nicht verteufeln“ (JProf. Wolfgang Beck)
Es gibt vielfältige kirchliche Angebote im Web und in den Social Media. Trotzdem ist das Internet für die Kirchen auch acht Jahre nach dem berühmten Zitat von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 19. Juni 2013 weiterhin ein „Neuland“, wie auch eine Podiumsdiskussion mit DBK und EKD bei der Tagung „Kirche im Web - #kiw21“ im März 2021 zeigte. Im Anschluss daran betonte JProf. Wolfgang Beck auf die Frage, wie Corona das digitale Engagement der Kirchen verändern wird, im explizit.net-Interview: „Das hat Effekte auf alle Bereiche des kirchlichen Lebens. Und die sind zu gestalten, nicht zu verteufeln.“
Fazit: Digitale Angebote der Kirchen ermöglichen reale „Gotteserfahrungen“. „Glaubwürdigkeit, Authentizität ist das Gebot der Stunde“ (Runge, 75) und ich möchte ergänzen: Dialogbereitschaft. Denn nur eine Kirche, die zuhört und auf den Dialog setzt, kann im Zeitalter der (Post-) Digitalität bestehen.
„Siehe ich stehe vor deiner Tür und klopfe an“ (Offenbarung 3.20)
Epilog: In der Heiligen Schrift wird – im Brief an die Gemeinde in Laodikia – Gott beschrieben, der bei uns Menschen eintreten und zu Gast sein möchte: „Wenn einer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und Mahl mit ihm halten und er mit mir.“ (Offenbarung 3,20)
- Aber sind wir wirklich bereit, Gott die Türen zu öffnen?
- Verstecken wir uns hinter verschlossenen Wohnungstüren oder Firewalls im Internet, weil wir den Dialog mit Gott scheuen?
- Und nutzen wir die Isolation durch die Corona-Pandemie nicht nebenbei auch als Vorwand dazu, uns lieber über die ausfallenden Präsenzgottesdienste (so wichtig diese auch für das Gemeindeleben und für den persönlichen Glauben sind!) zu beschweren, als die vielfältigen digitalen Angebote nutzen, um dort die Kirche als „Communio“ (Gemeinschaft) zu erleben?
Wenn wir diese Fragen bejahen, passt die Aussage des Johannesevangeliums, dass der „Geist Gottes weht, wo er will“ auch für die Bites und Bytes einer digitalen Kirche. Wenn wir bereit dafür sind!
Ein Kommentar von Christian Schnaubelt (CS)
freier Journalist mit den Schwerpunkten Kirche, Medien, Datenschutz und digitale Lebenswelten
Twitter: @cschnaubelt – Web: www.kommwirt.de
*Lesetipp:
„Weht der Geist durch Bits und Bytes – Glaube in digitalen Zeiten“
Maurus Runge, Vier-Türme-Verlag, März 2021
> Lesen Sie mehr über das Buch am 10. April 2021 in der Rezension auf www.hinsehen.net. <
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