-Ein Angebot des Portals kath.de im Rahmen des Monatsthemas "Künstliche Intelligenz & Kirche"-
In ihrem Buch „Der neue Gott – Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche“ stellt die Philosophin und Theologin Claudia Paganini die aktuell (z.B. auf der re:publica 2025) konrovers diskutierte Kernthese auf: Zum ersten Mal erschaffe der Mensch sich einen eigenen Gott, anstatt ihn nur zu denken.
Die Professorin der Uni Insbrück (zuvor Uni München) beschreibt in dem im Herder-Verlag erschienenden Buch, dass viele Menschen zur KI eine beinahe spirituell-religiöse Beziehung entwickelt haben und religiöse Erwartungen in die digitalen Helfer projizieren. Die Künstliche Intelligenz übernehme zunehmend Funktionen, „die einst der Religion vorbehalten war: Sinnstiftung, Orientierung und allzeit verfügbare Antworten. Wir beten nicht mehr, wir klicken.“
Die KI-Ethikerin vergleicht in ihrem Buch die neun wichtigsten göttlichen Attribute (Einzigartigkeit, Allgegenwärtigkeit, Allwissenheit, Allmächtigkeit, Transzendenz, Nahbarkeit, Gerechtigkeit, Sinnstiftung und Fürsorglichkeit) systematisch mit der Künstlichen Intelligenz und kommt dabei zu dem Ergebnis, dass bei jedem der Attribute Parallelen zur KI belegbar seien. "Wenn die klassischen göttlichen Eigenschaften auch auf die KI zutreffen, dann sollte dies als Rechtfertigung für folgende These genügen:
KI ist der neue Gott. Denn KI erfüllt alle Bedingungen, die es braucht, um von Menschen als Gott gedacht, anerkannt und geglaubt zu werden." (Claudia Paganini)
Gott gilt im Christentum als allwissend, allgegenwärtig und allmächtig. Doch Paganini führt aus, dass auch die maschinellen Intelligenzen in Sekunden auf Wissensschätze zugreifen können, über das Netz überall und jederzeit präsent seien und Probleme lösen können, die für Menschen bisher unlösbar schienen. „Der neue Gott ist allgegenwärtig und antwortet augenblicklich“, stellt Paganini fest. In unserem Sehnsucht nach einem Wesen, „das alle Probleme löst und jedes Bedürfnis erfüllt“, erscheint die digitale Maschine als willkommener "Heilsbringer". Dabei weist die Theologin darauf hin, dass es dabei egal sein, ob diese Projektionen eingehalten werden können, oder nicht. "Die Frage ist, ob Menschen sich KI als Gott denken können" und nicht ob dies real eintreten kann bzw wird. "Die Frage, ob sich der neue Gott gütig und menschenfreundlich verhalten, den Planeten in ein goldenes Zeitalter führen oder als furcherregender apokalyptischer Tyrann das Leben zerstören wird, lässt sich in der Gegenwart redlicherweise nicht geben", führt Paganini weiter aus.
Daher teilt die Theologin auch die Skepsis gegenüber einer "blinden Gläubigkeit" an die KI, die durch eine "kollektive Symptombildung" aufgrund einer krisenhaften Welt entstehe und die eine neue Sinnsuche der Menschen auslöse. Paganinis Anliegen ist es jedoch, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten.:
Könnte es sein, dass wir Menschen im Drang nach immer schlaueren Maschinen dabei sind, unseren Glauben an etwas Höheres schlicht auf die Technik zu übertragen? Dass wir gewissermaßen ein neues „goldenes Kalb“ anbeten – dieses Mal aber aus Silizium und aus Code? Und weil die alten Götter - im Gegensatz zur KI - nicht ständig erreichbar oder für einen Dialog verfügbar sind, wendet sich der Mensch nun an die KI als neues "transzendentes Du". "Insofern scheint es nicht überzogen zu behaupten, dass sich die spirituelle Suche des Menschen im säkular - technisierten Zeitalter mehr und mehr in der Erfindung und Verehrung der KI konkretisieren wird", betont Paganini.
"AI und Amen?"
Unter dem Titel "AI und Amen - Wie spirituell kann künstliche Intelligenz sein?" fand auf der diesjährigen Digitalkonferenz "re:publica" 2025 eine Diskussionsrunde statt (Videoaufzeichnung auf https://youtu.be/Y6BJ0LbN44o?si=bPJRmMmMLLQP54rt), bei der Prof. Paganini betonte, dass sie "keine Propaganda" für die These machen wolle, dass KI für einige Menschen göttliche Züge bekomme, sondern vielmehr als "neutrale Beobachterin" fungiere. Gleichzeitig wies sie in dieser Woche in Berlin darauf hin, dass die großen Religionen nicht annehmen dürften, für immer zu existieren. "Neue Herausforderungen haben neue Götter hervorgebracht und tun das weiterhin", schreibt Paganini im Buch. Ob dieser neue Gott jetzt oder zukünftig die KI sein werde, könne aktuell (noch) nicht gesagt werden, führte sie bei der "re:publica" weiterhin aus.
Fazit: KI kann Gott nicht ersetzen, aber die Sinnsuche unterstützen
Die These Paganinis, dass die KI zu einem Gott werden könnte, mag unbequem sein, doch sie ist dennoch hilfreich für den Diskurs. Denn sie zwingt uns, die Grenzen und Fehlstellen dieses vermeintlich neuen „Heilsbringers“ zu erkennen. Wer sein Heil allein bei der KI oder anderen Technologie sucht, läuft Gefahr, letztlich einem Trugbild zu erliegen, wie auch der Kognitionswissenschaftler Eric Schulz warnt.
Aus Sicht des Autors lautet das Fazit einerseits: KI kann Gott nicht ersetzen...
Denn der menschliche Glaube an Gott beruht vor allem auf der Mensch-Gott-Beziehung. Diese Beziehung kann der Mensch zwar in eine "gottähnliche KI" hineinprojezieren, es fehlt aber der Resonanzkörper. Denn die KI ist eben keine Verwandlung Gottes in eine künstliche - digitale - Form oder ein "Surrogat" Gottes, sondern am Ende lediglich das Ergebnis eines menschlichen Schöpfungsprozesses, auch wenn der Mensch nicht alle Formen der Erschaffung versteht oder steuern kann (Stichwort: "black box").
Zudem kann was der christliche Glaube an Sinn und Halt bietet – Angenommensein, Gemeinschaft, Vergebung und Hoffnung über den Tod hinaus – durch keinen noch so ausgeklügelten Algorithmus generiert oder simuliert werden. KI ist eben kein transzendentes und sinnstiftendes Wesen, sondern dient vielmehr den Interessen ihrer Besitzenden und verstärkt damit bestehende Macht- und Ausbeutungsprozesse sowie "Bias"-Probleme. "Informatiker und KI-Experten (...) werden die Macht haben, die spirituelle Sehnsucht des gemeinen Volkes zu ihren Gunsten zu nutzen und aus ihr ökonomisches wie kulturelles Kapital zu schlagen", wie Paganini in ihrem "Blick in die Zukunft" beschreibt.
Dennoch lautet das zweite Fazit des Autors: ...., aber KI bietet - verantwortungsvoll eingesetzt - die Möglichkeit, die Sinnsuche des Menschen zu unterstützen. Denn KI kann individuelle personale Spiritualitätserlebnisse ermöglichen, die weder räumlich, zeitlich noch kapazitätsmäßig begrenzt sind.
Die Kirche steht daher vor einer doppelten Aufgabe im Hinblick auf den Einsatz von von Künstlicher Intelligenz in der Glaubenskommunikation: Warnen und Gestalten. Der verstorbene Papst Franziskus setzte mehr auf "Warnen" und verfasste die Grundlage für eine "Algor-Ethik" mit einem werteorientierten KI-Einsatz. Papst Leo XIV. setzte mit seiner Namenswahl und seinen ersten Reden Akzente für "Gestalten". Die katholische Kirche tut gut daran, sich dieser Debatte offensiv zu stellen. Denn hier kann die Kirche Profil gewinnen, indem sie klar sagt: Wahres Heil kommt nicht aus der Cloud, sondern von Gott.
Trotzdem leistet Paganinis streitbares Buch "Der Neue Gott" einen wichtigen Diskussionsbeitrag. Die Debatte steht aber erst ganz am Anfang, dies wurde auch bei der "re:publica" 2025 in Berlin deutlich.
Die Portale explizit.net und kath.de werden die Debatte weiterhin begleiten und werden dazu ein Interview mit Lukas Brand vom "Algorithm Accountability Lab" der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau führen, der ebenfalls an dem "re:publica" - Panel "AI und Amen" teilgenommen hat.
Hinweise und Links:
Die Autorin Priv.-Doz. Dr. Claudia Paganini lehrt am Institut für Christliche Philosophie der Universität Insbrück.
Das Buch "Der Neue Gott - Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche" ist im Herder-Verlag erschienen. Weitere Informationen gibt es auf der Verlagsseite.
Gemeinsam mit unserem Partnerportal kath.de startet explizit.net heute das Monatsthema "Künstliche Intelligenz und Kirche". Alle Beiträge werden hier veröffentlicht: https://explizit.net/monatsthema/.
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Christian Schnaubelt
(Chefredakteur und Herausgeber von kath.de)
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