Foto: Gerd Altmann / pixabay.com

Das Internet braucht Demokratie!

Tech-Gigant Facebook hat im Mai die ersten Mitglieder des so genannten „Oversight Boards“ bekannt gegeben. In diesem 40-köpfigen Kontrollgremium sollen unter anderem eine Nobelpreisträgerin und eine ehemalige Premierministerin die Spielregeln für die zweieinhalb Milliarden Nutzer von Facebook festlegen – und für Facebook selbst. Ein Schritt zur Demokratisierung, eine PR-Aktion? Und was bedeutet der in dieser Woche eskalierte Zwist zwischen US-Präsident Donald Trump sowie Twitter und Facebook für die Freiheit des Internet?

Die Wörter Demokratie und Facebook werden nicht oft in einem Zusammenhang genannt. Zu laut ist die berechtigte Kritik, dass der US-Konzern allein die Spielregeln für den gewissermaßen bevölkerungsreichsten „Staat“ der Welt, Facebook. 2,5 Milliarden Menschen nutzen laut dem Digitalwirtschaft-Portal t3n monatlich den größten Social Media Dienst. Vor allem der Umgang mit Hass-Kommentaren und Fake News hat den Technologie-Konzern, zu dem auch Instagram gehört, immer wieder in die Kritik gebracht. Gerade auch aus der EU und aus Deutschland kam immer wieder die Forderung nach mehr Kontrolle und Beteiligungsmöglichkeiten für die Userinnen und User.

Umgang mit Hass-Kommentaren und Fake News


Facebook reagierte auf die Kritik lange Zeit nicht wahrnehmbar und führte erst spät Zentren ein, in denen umstrittene Posts und Kommentare überprüft werden. Die deutsche „Löschzentrale“ Facebooks sitzt in Berlin. Doch den Forderungen nach externer Kontrolle des mächtigsten Social Media-Dienstes hat Facebook nicht nachgegeben.

Stattdessen kündigte der Gründer und Mehrheitshalter Mark Zuckerberg bereits 2018 an, ein eigenes Kontrollgremium, das „Oversight Board“, ins Leben zu rufen. Nachdem es länger ruhig um das Thema geworden war, stellte Facebook Anfang Mai die ersten 20 Mitglieder des Boards vor. Unter anderem sollen die Friedensnobelpreisträgerin Tawakkol Karman, die ehemalige dänische Premierministerin Helle Thorning-Schmidt, der früher Guardian-Journalist Alan Rusbringer sowie Professoren und Richter die neuen Spielregeln für Facebook-User festlegen. Zudem sollen die Entscheidungen des Boards auch für den Tech-Giganten selbst bindend sein.

Kontrollgremium steht auch über Mark Zuckerberg

Der im Menlo-Park in Kalifornien sitzende Konzern, der für die Arbeit des „Oversight Boards“ laut Digitalwirtschaft-Magazin t3n 130 Millionen US-Dollar in einen Treuhandfonds eingezahlt hat, gibt dabei erstmals einen Teil seiner Macht auf Facebook ab, zumindest teilweise. Auch Mark Zuckerberg soll gegen die Entscheidungen des Kontrollgremiums nicht vorgehen können. Nach Angaben von Facebook soll das Unternehmen daher auch keinen Zugriff auf die Finanzen des Treuhandfonds haben, welcher das Board finanziert. Die Einrichtung des „Oversight Board“, welches US-Medien als „Facebook Oberster Gerichtshof“ bezeichnen, klingt irgendwie zu gut.

Wo ist der Haken?

Das Magazin t3n hat auf seiner Website die Satzung des „Oversight Boards“ verlinkt. Darin wird deutlich, dass Facebook sich eine Hintertür eingebaut hat. Zwar können Userinnen und User dem Gremien Entscheidungen von Facebook, z.B. zum Umgang mit Kommentaren, zur Prüfung vorlegen. Ob das Board die Fälle berät und entscheidet, obliegt jedoch allein dem Board bzw. einem alle drei Monate wechselnden Auswahlgremium. Die Userinnen und User können eine Entscheidung nicht erzwingen. Anders als Facebook: Der Konzern selbst kann Vorschläge einreichen und eine Entscheidung erzwingen, wenn es „dringende Konsequenzen für die reale Welt“ gibt. Wann dies genau eintritt, legt aber allein der Konzern nicht fest, nicht das Board. Ein Lichtblick ist – neben der Tatsache, dass es das Gremium jetzt überhaupt gibt – dass das Board auch selbst Vorschläge zur Verbesserung der Facebook-Richtlinien vorlegen kann.

Wie reagieren Medien-Journalisten?

Die Tech-Journalistin Natasha Lomas wird bei t3n so zitiert: „Es ist ein Versuch Facebooks, die anhaltende Umgehung einer demokratischen Rechenschaftspflicht zu umgehen.“ Ist die Benennung der ersten 20 Board-Mitglieder, die übrigens nicht per Wahl, sondern durch Facebook allein festgelegt wurde, daher nur eine PR-Aktion, um die zunehmende Kritik an der „Kommentar-Politik“ des Konzerns verstummen zu lassen? Ist es der Versuch eines Abschiebens der Verantwortung hin zu einem – nicht so recht – unabhängigen Kontrollgremium?

Demokratie im Internet: Das Glas ist halbvoll und halbleer

Ob die Einrichtung des „Oversight Board“ ein Schritt zur Demokratie von Facebook und des Internets ist, lässt sich gegenwärtig noch nicht sagen. Das Glas ist halbvoll, da Facebook erstmals die Kontrolle über einen Teil seiner Macht abgibt und, weil das Board verbindliche Entscheidungen treffen kann. Das Glas ist halbleer, da die Userinnen und User die Mitglieder des Boards nicht wählen konnten und Entscheidungen nicht erzwingen können.

Dennoch wird die Technologie-Welt, nicht nur in den USA, sehr genau auf die ersten Entscheidungen des Boards und den Umgang des Konzerns damit achten. Denn die Frage nach mehr Demokratie im Internet wird auch bei anderen Tech-Konzernen wie Alphabet (Google) oder Amazon immer lauter.

Donald Trump versus Twitter & Facebook

Das auch Politikerinnen und Politiker immer mehr Einfluss auf die Sozialen Medien nehmen wollen, zeigte sich besonders diese Woche in den USA. Der Kurznachrichtendienst "Twitter" führte einen Fakten-Check gegen Fake-News ein und wendete diesen auch gleich bei seinem prominentesten User an: US-Präsident Donald Trump. Zwei Tweets Trumps's gegen Briefwahl wurde von Twitter mit einem Zusatz versehen: Ein Link zu einem Faktencheck zu Briefwahlen. Donald Trump reagierte wütend und erließ am 29. Mai ein Dekret, um den Einfluss von "Monopolisten" über den Hebel der Haftungsverantwortung für die Inhalte auf den Plattformen einzuschränken. Zudem kündigte Trump an, Justizminister William Barr werde "sofort mit den Arbeiten zur Reglementierung sozialer Onlinemedien beginnen." De facto kommt dies einem "Maulkorb" gleich. Die Reaktion der Tech-Giganten wie Twitter, Facebook und Google folgte prompt: Wie "Spiegel Netzwelt" berichtete kritisiert Twitter das Vorgehen Trumps: "Damit werde die Zukunft der Meinungsäußerungen im Internet bedroht." Und ein Facebook-Sprecher ging noch einen Schritt weiter: "Die Verordnung werde dazu führen, dass die Netzwerke alles zensieren würden, was irgendjemanden beleidigen könnte."

Warum reagiert Twitter jetzt? Dem Konzern aus San Francisco war lange vorgeworfen worden, zu wenig gegen Fake-News auf seiner vor allem in den USA beliebten Nachrichtenplattform vorzugehen. Vor allem während des US-Präsidentschaftswahlkampfes 2016 hatten Bot-Angriffe aus Russland dies ausgenutzt und versucht über Twitter die öffentliche Meinung zu beieinflussen, wie Spiegel Netzwelt berichtete. Vor der US-Präsidentschaftswahl im November weitet Twitter sein Tool, welches urspünglich vor allem gegen Corona-Fake-News vorgehen sollte, wie angekündigt auf weitere Themen aus.

Fazit:

Die Frage, welche Macht die Userinnen und User über das Internet erlangen werden, wird mittelfristig auch die Zukunft der großen Technologie-Konzerne, allen voran Facebook, beeinflussen. Denn parallel zum Wachstum der Social Media-Nutzer und Amazon-Bestellungen wächst – vor allem in Europa – der Wunsch nach unabhängiger und staatlicher Kontrolle der Technologie-Konzerne der Postmoderne. Wie einst Zeitungs- und Stahl-Fusionen vom Kartellrecht eingeschränkt wurden, um zu Monopolisten zu verhindern, sind es jetzt die Europäische Union sowie Abkommen mit den USA und China, die über Macht-Verteilung im Internet wachen sollten.

Dabei wächst eine neue Gefahr heran, da Politiker und Parteien die Freiheit der Sozialen Medien beschneiden wollen (s. Beispiel Donald Trump und Twitter) und damit den Kampf gegen Fake News behindern und die Meinungsfreiheit einschränken. Bereits während der Corona-Pandemie hatten Medien und Organisationen, wie Reporter ohne Grenzen, kritisiert, dass die freie Berichterstattung von Medien unter dem "Deckmantel" der Covid-19 - Bekämpfung weiter eingeschränkt wird.

Gerade jetzt, da durch die Corona-Pandemie die Bedeutung des Internets, von Online-Diensten wie Facebook und Amazon noch weiter gestiegen ist, brauchen wir mehr denn je Demokratie im Internet.

Ein Kommentar von Christian Schnaubelt
Redaktionsleiter explizit.net
Ressortleiter Medien

Weitere Informationen zum „Oversightboard“ gibt es hier:
https://www.oversightboard.com/.


Kategorie: Medien

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang