Michaelskloster Kiew Foto: explizit.net E.B

Von Moskau zurück nach Konstantinopel: Ukrainische Orthodoxie

Von Konstantinopel wurde die Christliche Botschaft im 10. Jahrhundert zu den Ostslawen gebracht. 2018 orientierte sich ein großer Teil der Gemeinden in der Ukraine von Moskau weg nach Konstantinopel. Wieso hat Moskau seinen Einfluss verloren?

Der größere Teil der orthodoxen Gemeinden in der Ukraine fühlte sich dem Moskauer Patriarchat zugehörig. Mit dem immer weiteren Auseinanderdriften nicht nur der Regierungen, sondern der Bevölkerung verstärkten sich die Bestrebungen in der Ukraine, eine eigenständige Kirche zu erhalten. Die wird aber nur "rechtsgültig", in der kirchlichen Terminologie "kanonisch", wenn orthodoxen Kirchen anderer Länder diese anerkennen. Entscheidend ist die Anerkennung durch den Patriarchen in Konstantinopel, der immer noch der Erste unter den Patriarchen ist, auch wenn Konstantinopel seit 1453 unter türkischer und damit muslimischer Herrschaft steht. 

Zum Foto: Das Michaelskloster ist Sitz des Metropoliten Epiphanius der neu konstituierten Ukrainisch Orthodoxen Kirche

Die Anerkennung der neuen Kirche

Die Anerkennung ist vom früheren ukrainischen Präsidenten Poroschenko vorangetrieben worden und wurde am Dreikönigstag 2019 durch einen Tomos, eine Urkunde des Patriarchen von Konstantinopel, bestätigt. Damit kann das Moskauer Patriarchat, die immer noch größte der orthodoxen Kirchen, den Anspruch, "Drittes Rom" zu sein, nicht weiter aufrecht erhalten. Das ist auch der Preis für die Annexion der Krim und den Dauerkrieg im Osten der Ukraine. Moskau hat nach der Anerkennung der Ukrainischen Kirche die Kirchengemeinschaft mit Konstantinopel aufgekündigt. Gemeinden schließen sich der neuen, autokephalen, also auf einem eigenen Felsen stehenden Orthodoxen Kirche der Ukraine an. Orthodoxe Kirchen. z. B. Griechenlands, haben die neue Kirche anerkannt. Der Moskauer Patriarch kündigt die Kirchengemeinschaft mit dieser auf.

Trennung von Moskau aus nationalen Motiven

Die Entwicklungen in der Ukraine beruhen nicht auf theologischen Differenzen, deshalb können Priester von einer zur anderen Kirche wechseln, ohne ihr Bekenntnis zu ändern und ohne eine andere Liturgie zu feiern. Die Gläubigen erkennen nur an einem Gebet in der Eucharistiefeier, ob ihr Pfarrer zur Kirche des Moskauer Patriarchates gehört, nämlich wenn dieser den Patriarchen erwähnt. Die Trennung ist durch das Auseinanderbrechen der jahrhundertelangen Einheit der Ostslawen erklärbar. Zwei Faktoren wurden von Vertretern der neuen Kirche genannt.

  1. In der Orthodoxie hat jedes Land ein eigenes Kirchenoberhaupt, meist mit dem Titel Patriarch. Es kann wie in der Ukraine auch ein Metropolit sein, vergleichbar dem Titel “Erzbischof“ der westlichen Kirchen. Den Aufbau einer eigenen ukrainischen Kirche verfolgte bereits eine kleine, in der Sowjetzeit im Untergrund aktive Kirche. Sie leitet sich von der nach dem Ersten Weltkrieg kurze Zeit bestehenden unabhängigen Ukraine her. Sie wurde vom Patriarchen in Konstantinopel nicht anerkannt.

  2.  Die Ukrainer fühlen sich von Russland als Bürger Zweiter Klasse behandelt, das obwohl Chruschtschow und Breschnew ukrainischer Herkunft waren und die Ukraine formell ein eigenständiges Land in der Sowjetunion war. Nicht nur war das Russische die bestimmende Kultur, so dass viele Schriftsteller ukrainischer Herkunft in russischer Sprache schrieben. Es war auch die massive Unterdrückung der ukrainischen Kultur. Unabhängigkeitsbestrebungen führten nach dem Ersten Weltkrieg zur Gründung einer Republik. Diese wurde 1920 von der Roten Armee erobert. Der Widerstand gegen die Kollektivierung wurde von Stalin mit dem Holomodor, einer künstlich herbeigeführten Hungersnot in der Kornkammer der ehemaligen Sowjetunion gebrochen. Als die Ukrainer sich 2013-14 vom russischen Einfluss lösten, reagierte Moskau wieder mit Gewalt.  

Zum Verhältnis der neuen Kirche zu den Bistümern des Moskauer Patriarchates  

Die von Konstantinopel anerkannte Kirche hat nur zwei Bischöfe der bis dahin größten orthodoxen Kirche der Ukraine gewinnen können. Jedoch haben sich viele Gemeinden der neuen Kirche angeschlossen. Für die Bischöfe der sich zu Moskau gehörenden Gemeinden sehen in denen, die sich der ukrainischen Nationalkirche angeschlossen haben, Abtrünnige. Die andere Seite sieht diejenigen, die beim Moskauer Patriarchat bleiben, Kollaborateure. Auf die Frage, warum nur so wenige Bischöfe sich der neuen Kirche angeschlossen haben, war die Antwort: Sie sind von Moskau ernannt worden. 

Der Staat erkennt die Gemeinden, die zu der neuen Kirche wechseln, an

Da die meisten Kirchenimmobilien den Kommunen bzw. dem Staat gehören, ist der Wechsel einzelner Gemeinden von einem Bistum des Moskauer Patriarchats zu einem der neuen Kirche juristisch problemlos möglich. Das geht auf den Kirchenkampf der Sowjetunion zurück. Als Stalin 1943 die Kirche wieder atmen ließ, um den Widerstand gegen den deutschen Feind zu stabilisieren, wurden die Immobilien den Kirchen nicht zurückgegeben. Auch die für die Orthodoxie wichtigen Klöster gehören zum größeren Teil dem Staat. Wenn in einer Gemeinde bei einer Abstimmung eine Mehrheit für den Anschluss an die neue Ukrainisch Orthodoxe Kirche votiert, erhält diese vom Staat die Immobilien zur Nutzung.

Weitere Mosaiksteine der Kirchenlandschaft

  • Kiewer Patriarchat: Vom früheren Außenamtschef des Moskauer Patriarchats, Filaret, wurde bereits 1992 ein Kiewer Patriarchat gegründet, dem sich viele Gemeinden anschlossen. Dieses wurde jedoch nicht von den anderen Kirchen anerkannt. Diese, von Moskau abgespaltene Kirche brachte in die neue, 2018 gegründete Kirche die meisten Gemeinden ein. Die kleine Untergrundkirche ging ebenfalls in der neuen Kirche auf. 
  • Auslandskirchen in Ländern, die keinen Metropoliten oder Patriarchen haben, werden nicht ihrer Herkunftskirche zugeordnet, sondern dem Patriarchat von Konstantinopel. So auch die Gemeinden in Kanada, den USA und Westeuropa, die von Emigranten gegründet worden waren.
  • Die griechisch-orthodoxe Kirche ist eine dritte Kirche in der Ukraine, die den Papst anerkennt. Sie entstand in der Zeit der polnischen Herrschaft über die Ukraine, als Bischöfe sich nach Westen orientierten. Ein Teil der Bistümer, vor allem die im Norden der Ukraine sowie die in Weißrussland sind aus dieser Kirchenunion wieder ausgeschieden. Der leitende Erzbischof, Großbischof genannt, hat seinen Sitz von Lember/Liev nach Kiew verlegt. 
  • Korruption ist neben dem Donbasskonflikt die größte Belastung der Ukraine. Die neu gegründete Kirche mit ihrem jungen Metropoliten Ephraim grenzt sich stärker von Geldzuflüssen aus dubiosen Quellen ab. Je mehr das gelingt, desto mehr Vertrauen gewinnt diese Kirche.
  • Während es in Russland eine enge Verbindung von Patriarchat und Staat gibt, so dass der Patriarch sich an die Weisungen des neuen „Zaren“ Putin halten muss, setzt der neue Präsident der Ukraine auf Trennung von Kirche und Staat.
  • Religiosität in der Ukraine heißt, dass jedes Kind getauft wird. Daraus folgt aber bei vielen keine regelmäßige Kirchgangspraxis noch ein intensiveres Glaubensleben. 
  • Für viele Gläubige spielt es keine Rolle, ob die Pfarrei, in der sie zum Gottesdienst gehen, sich dem Moskauer Patriarchat oder der Orthodoxen Kirche der Ukraine zugehörig erklärt. Denn die Liturgie ist die Gleiche, auch bei der mit Rom unierten Kirche. Nur in den Kirchen, die mit dem Moskauer Patriarchat verbunden sind, wird eine altslawische Sprache benutzt, die von den Gläubigen problemlos verstanden wird.

Die hier zusammengestellten Informationen wurden in einem Gespräch am 15.11.19 im Haus am Maiberg von Pfarrer Bondarenko sowie vom Vorsitzenden der Frankfurter Ukrainischen Gemeinde, Oleksiy Yemelyanenko, vermittelt. Als Protokollant ist mir deutlich geworden, dass man die Zusammenhänge und die treibenden Kräfte aus den Berichten westlicher Korrespondenten nicht herauslesen kann, sondern Menschen zuhören muss, die das religiöse und politische Geschehen "leben". 

Aus christlicher Sicht sollten die Kirchen der Ostslawen sich versöhnen. Auch wenn die Ukrainer viele Sympathien genießen, sollten die Kirchen des Westens wie ihre Gläubigen nicht einseitig Partei ergreifen. Damit es zu einer versöhnlichen Entwicklung kommt, muss zuerst der Krieg im Donbass überwunden werden. Das wäre auch im Interesse Russlands, nicht nur wegen der Kosten, sondern auch um die Sanktionen des Westens zu beenden und sich nicht weiter zu isolieren.


Kategorie: Kirche

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