Sexualisierte Öffentlichkeit und sexuelle Abstinenz

Von Frau Regina Heyder erhielt ich einen Kommentar zu dem Beitrag, der eine Interviewsendung von ARTE mit den Aussagen des Sexualpapiers des Synodalen Weges in Beziehung setzt. Frau Heyder schreibt: Dieser Artikel ist leider vollkommen verfehlt … argumentiert auf eine Weise mit Pädophilie, die unerträglich ist.“ Als Autor von „Sex, um katholisch zu sein?“ nehme ich die Einwände auf und bleibe bei meiner Empfehlung, auf jeden Fall die ARTE-Interviews anzuhören.

Hier der Kommentar von Frau Heyder:„Dieser Artikel ist leider vollkommen verfehlt. Er enthält nicht nur mehrfach böswillige Interpretationen des Papiers des Synodalen Wegs, sondern argumentiert auf eine Weise mit Pädophilie, die unerträglich ist (auch der Konjunktiv rettet die Aussage nicht):

(Zitat aus dem Beitrag von Bieger:) „Auch pädophil Orientierte müssten, um glücklich zu werden, ihre Sexualität leben. Das Papier verstärkt nicht nur auf subtile Weise die gesellschaftliche Ausgrenzung der pädophilen u.a. Orientierungen. Es setzt diese Menschen auch unter Druck, doch sexuell aktiv zu werden, weil sie dann erst nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Katholischen Kirche als vollwertig gelten. Sie müssen jedoch ihre sexuelle Orientierung, die als elementar für das persönliche Lebensglück erklärt wird, ignorieren. Und wie sollen sie mit ihrer Sexualität umgehen?“

Diese Argumentation ist völlig irreführend - auch angesichts der im Papier genannten Kriterien für gelebte Sexualität: Grundsätze und Kriterien einer christlich gelebten Sexualität - Achtung der Selbstbestimmung und verantwortlich gelebte Sexualität sowie Treue, Dauerhaftigkeit, Ausschließlichkeit und Verantwortung füreinander in Beziehungen.
Eine pädophile Präferenz darf nicht gelebt werden, nicht nur, weil die gesetzlichen Bestimmungen das kategorisch verbieten, sondern auch, weil eine pädophile Praxis niemals die Selbstbestimmung und Würde des betroffenen Kindes achtet, sondern im Gegenteil die betroffenen Kinder für ihr Leben schädigt.
Pädophil veranlagte Menschen finden beim Präventionsnetzwerk „kein Täter werden“ https://www.kein-taeter-werden.de
(Ende der Zuschrift) Hier der Beitrag, auf den sich die Zuschrift bezieht: Sex, um katholisch zu sein?

Um was es geht: Kerstin Barton schreibt nach Durchsicht des Artikels und des Kommentars von Frau Heyder, „dass Pädophilie als Präferenz kurz erwähnt wird, dass die Praxis "verboten" ist, aber nicht wie betroffene Menschen damit umgehen sollen. Außerdem widerspricht dies dem Satz "das grundsätzliche Ja Gottes zur menschlichen Sexualität in all ihren Dimensionen". Ich denke dieser Punkt ist bei Frau Heyder nicht ganz rübergekommen, dass Kirche und Gott zwar ja zu allen Dimensionen der menschlichen Sexualität sagen, aber gewisse Dinge dann doch (verständlicherweise) verboten sind. Durch die Aussage des Papiers, dass Sex "grundlegende biopsychosoziale Bedürfnisse nach Annahme, Geborgenheit, Nähe und Sicherheit" erfüllt und zölibatär lebende Menschen gefährdet sind, beziehungsunfähig zu sein (somit also nicht normal wie alle anderen, die Sex praktizieren) impliziert indirekt, dass jeder und jede sexuell aktiv sein sollte. Wie mit "schwierigen" Präferenzen umgegangen werden soll, sagt das Papier nicht.“ (Ende der Zuschrift)

Es geht in der Zuschrift von Frau Heyder wohl um zwei Fragen, die in dem Beitrag Sex, um katholisch zu sein? thematisiert werden

1. Die Wirkung des Dokuments
2. Eine neue Sexualmoral für pädophil Orientierte

Zu 1: Die Gesamtwirkung einer kirchlichen Verlautbarung kann nicht aus dem Dokument abgelesen werden, sondern ist eine Einschätzung der Wirkung. Diese lautet in dem Beitrag „Sex, um katholisch zu sein“: Das Dokument befördert einen gesellschaftlichen Druck, sexuell aktiv zu sein. Man kann jetzt sagen, dass das Dokument missverstanden wurde. Das kann zutreffen, jedoch bleibt die Wirkung. Ich gehe davon aus, dass es von mir und anderen nicht missverstanden wurde, sondern meine Einschätzung zutrifft.
Meiner Einschätzung kann man widersprechen, jedoch nicht, indem man Passagen des Dokuments zitiert. Erst eine repräsentative Befragung könnte die Einschätzung entkräften oder bestätigen. Da diese nicht so schnell zu haben ist, hier Beobachtungen, für die mich die ARTE-Sendung sensibilisiert hat:

a. Im Vergleich zu den Jahren vor der Sexuellen Revolution zeigen viele junge Frauen sehr viel Haut, während die gleichaltrigen Männer aber meist mit Hosen bis zu den Knien unterwegs sind. Die vielen jungen Ausländerinnen sind das sicher nicht alle von ihrem Herkunftsland gewohnt. Machen vor allem die Ausländerinnen das freiwillig? Im Zeitalter von Instagram und TikTok muss man sich immer wieder zeigen. Da wird man 2023 nicht mehr wie 1968 von sexueller Befreiung, sondern doch eher von Druck sprechen müssen.
b. Die Menschen, die in der ARTE-Sendung „No Sex“ zu Wort kommen, klingen in dem Dokument des Synodalen Weges nicht an.
c. Im Synodalen Papier heißt es zwar, dass A-Sexualität als eine sexuelle Orientierung anerkannt wird. Mit dem unterschwelligen Druck, sexuell aktiv zu sein, bestätigen die Aussagen des Synodalen Weges nicht ausdrücklich, aber in der Tendenz die Aussagen des Paares in der ARTE-Sendung, dass sie als nicht normal gelten, wenn sie Sexualität nicht praktizieren.

Es gibt in dem Dokument des Synodalen Weges keine Auseinandersetzung mit der Durch-Sexualisierung des öffentlichen Raumes und dem Zugang zu Pornographie bereits für Kinde

Zu 2: Die pädophil Orientierten werden von dem Dokument unter Druck gesetzt.
Hier nehme ich Bezug auf den Text und kann mich durch die Zuschrift bestätigt fühlen. Wenn diesen Menschen eine Therapie angeboten, das aber in Bezug homosexuell Orientierter als Zumutung erklärt wird, dann kann die Sicht der Sexualität, die das Dokument vertritt, nicht für alle gelten. Zwar sind die Folgen für den anderen, hier ein Erwachsener, dort ein Kind, erheblich. Wenn es aber um die Täter geht, gleichen sie sich darin, dass sie ihre sexuelle Orientierung nicht frei gewählt haben, sondern sich in ihr vorfinden. Das Dokument des Synodalen Weges erklärt nicht, wie die folgende Aussage für pädophil Orientierte umgesetzt werden kann, wenn es in B 2.2 heißt.

„Die Selbstgewissheit über die eigene geschlechtliche Identität stellt bei allen Menschen eine unverzichtbare Grundlage für das persönliche Lebensglück dar. Als Kirche haben wir das individuelle Selbstverständnis der geschlechtlichen Identität jedes Menschen als unantastbaren Teil seiner je einzigartigen Gottesebenbildlichkeit (Jes 43,7) zu respektieren.“
Was heißt das für pädophil orientierte Menschen? Frau Heyder verweist die Betroffenen an die Webseite „kein-taeter-werden“, also an eine Spezialbehandlung.

Die Frage habe ich zwei Mitgliedern des Synodalen Weges in einer Podiumsveranstaltung in der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt gestellt. Ich erhielt die verblüffende Antwort: Sexueller Missbrauch von Minderjährigen sei bloßer Machtmissbrauch. Er ist das auch. Aber die pädophile Orientierung geht jedoch nicht aus einer freien Entscheidung hervor. Auch ihnen wird mit dem Untertitel des Dokumentes versprochen: „Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“.
Wenn man diese Aussage des Synodalen Weges zugrunde legt, dann fehlt die Ausführung, wie pädophil orientierte Menschen nicht nur sexuell abstinent leben, sondern wie sie ihre Identität finden sollen. Die ist ohne Sexualität nicht möglich. Hier heißt es, ohne Erwähnung der pädophil Orientierten in B 2.5:

„Das biopsychosoziale Werden beziehungsweise Gewordensein der sexuellen Orientierung eines Menschen gilt es, als Ergebnis eines höchstpersönlichen Wachstumsprozesses zu respektieren und in seiner personalen Identität zu achten.“
Wie könnte dieser Wachstumsprozess bei pädophil Orientierten verlaufen.

Weil der Synodale Weg sich dieser Frage nicht stellt, gewinnen seine Aussagen nicht die Tiefe, die aufhorchen lässt.

Katholische Kirche bleibt für die Gestaltung der Sexualität weiter inkompetent

Das führt auf den eigentlichen Tatbestand, warum die Katholische Kirche wieder einmal gezeigt hat, dass sie in Fragen der Sexualität weiterhin inkompetent bleibt. Wie bei Humanae Vitae u.a. Verlautbarungen wird eine moralische Forderung aufgestellt, ohne sich der Frage zu stellen, wie Menschen das „leben“ sollen. Wie "geht" Sexualität, wenn ich meiner Orientierung nicht einfach nachgehen darf. Es "geht" nicht zuletzt um das alte Thema "Lust". Wenn die Katholische Kirche hier bei der Stoa bleibt, wird sie wohl den Menschen mehr Unterstützung bieten. Diese philosophisch begründete Lebensorientierung war nicht zuletzt die Reaktion auf eine zerrüttete spätantike Gesellschaft. Die in dem Dokument für heute vertretene Sicht der Sexualität wird nicht bleiben können, die sensiblen Interviewpartner in der ARTE-Sendung bilden die Vorhut einer neuen Einordnung der Sexualität.

Zu Humanae Vitae eine Beobachtung: In den achtziger Jahren hat die Kirchenredaktion des ZDF Sendungen über natürliche Geburtenregelung gebracht, diese waren ein Quotenerfolg. Ich habe damals gedacht: "so daneben mit dem Verbot der Pille hat Paul VI. doch nicht gelegen“. Die Chemisierung unseres Körpers wurde damals schon als problematisch empfunden. Es muss die Boomer-Generation gewesen sein.

Ich bleibe bei meiner Empfehlung: Die Interviews bei Arte sind wesentlich erhellender als das Dokument des Synodalen Weges. Hier der Link zu No Sex
Das Dokument des Synodalen Weges
Leben in gelingenden Beziehungen, Liebe Leben in Sexualität und Partnerschaft



Kategorie: Kirche

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