Dieser biografische Bericht ist zu dem Beitrag Priester – Machtblock in der Katholischen Kirche geschrieben. An den Priestern liegt es nach meinen langjährigen Erfahrungen in der Priesterfortbildung nicht, dass sie so viel Verantwortung aufgehalst bekommen, die die meisten gar nicht wollen. Die Ausgangslage nach dem Konzil war eine ganz andere, so dass ich mir damals überlegen musste, ob Priester zu werden eine lebenslange Berufsperspektive sein könnte.
Als Laie in den Kern des Christlichen vorstoßen
Das Konzil hatte die Laien herausgehoben. Stand mir und meinen Kursgenossen über Jahre das Amt klar vor Augen, war es jetzt spannender, als Nicht-Priester das Christsein auszuloten. Christlich Arzt oder Wissenschaftler zu werden. Nicht mehr wie Teilhard de Chardin als Priester Ausgrabungen zur Erforschung der menschlichen Vorfahren zu machen, sondern umgekehrt, ganz in das Weltliche eingetaucht das Göttliche neu entdecken. Wir waren noch in dem katholischen Gefüge groß geworden, hatten uns bewusst für das Christentum und gegen die Dominanz des Materiellen entschieden. Damit waren wir in die von christlichen Denkern geformte Welt hineingegangen. Wir hatten auch direkte Erfahrungen mit Leitungspersonen und Dozenten gemacht, so wie früher mit Studienräten und Schul-Direktoren. Jetzt hatten diese Priester nicht mehr eine Soutane an oder einen Anzug mit dem weißen Kragen über einem schwarzen Pullover, sondern trugen Krawatte. Unsere Erfahrungen mit der Mehrzahl der Ausbilder waren weiterführend und perspektivreich. Die es weniger gut konnten, agierten in dem Gesamthorizont des Ordens, so dass es über die Grundlagen der Ordensidee eine gemeinsame Basis gab.
Das Konzept des Jesuitenordens blieb tragfähig
Ich konnte mich für dieses, von Ignatius v. Loyala gefundene Konzept entscheiden. Wenn einer es nicht gut umsetzen konnte, lag das nicht am Konzept. Das wurde in unserer Ausbildungszeit dadurch untermauert, als die Gründungsgeschichte des Ordens akribisch untersucht wurde und das zentrale Instrument der Formung, die Exerzitien, neu freigelegt wurden. Wir konnten genauer sehen, wie Ignatius selbst geleitet hat und bekamen in Pedro Arrupe einen spirituell tief verankerten Bestimmer im Zentrum des Ordens, der die Neuausrichtung hin auf soziale Gerechtigkeit u.a. mit der Einrichtung eines Flüchtlingsdienstes umsetzte
Der Neomarxismus als großes Versprechen
Es gab nicht wenige in der Nachwuchsgruppe, die mehr auf die marxistische Linie der Achtundsechziger eingeschwenkt waren. Wenn auch die Kirche von Grund auf neu gestartet werden musste, an das Versprechen, man könne die Gesellschaft ganz neu bauen, so dass Ungerechtigkeit ausgeschlossen und die dem Kapitalismus eingebaute Dynamik, die Reichen reicher zu machen, außer Kraft gesetzt würde, glaubte ich nicht. Zwei Beobachtungen machten mich skeptisch:
- Die marxistische Unterlegung der Achtundsechziger Revolte führte nicht dazu, dass die Protagonisten in die DDR oder nach Russland übersiedelten. Der Stalinismus als die Ausführung des Kommunismus wurde wohl nicht nur von den Nicht-Marxisten als Bedrohung gesehen.
- Die WG's, die sich auch deshalb bildeten, um die bürgerlich-individualistische Prägung zu überwinden, wurden teilweise wie unser altes Noviziat geführt. Nicht nur gab es strenge Vorschriften für die Marxlektüre, sondern auch einen erheblichen Gruppendruck, nämlich zu berichten, mit wem man tagsüber zusammen war und überhaupt die Kontrolle des Umfeldes, in dem sich die Mitglieder der Kommune bewegten. Das Tagebuch der Kommunen 2 in Berlin zeigte mir, dass die ersehnte Unmittelbarkeit eine Utopie bleiben musste. Die neue Lebensform überwand die Entfremdung nicht. Es blieb dann noch die Psychoanalyse, um die Unmittelbarkeit zu sich selbst zu gewinnen. Unterwegs zu den Medien, auf diesem Weg war ich, wäre das eher ein Bremsklotz gewesen. Denn da ist Extraversion und nicht die Aufarbeitung innerer Verletzungen gefragt.
Die Grundfrage des Christentums, warum die menschliche Natur trotz der Erlösung nicht tiefgehender geändert wurde, wollten die Achtundsechziger mit einem anderen Glauben realisieren.
Der Umbau der Instituion eliminiert den Faktor "Mensch" nicht
Die katholische Kirche in Deutschland sitzt diesem Versprechen des Marxismus weiter auf. Mit dem synodalen Prozess will sie ihre Strukturen so umbauen, dass Macht- und sexueller Missbrauch ausgeschlossen bleiben. Wir wussten nach wenigen Ordensjahren, dass auch die spirituelle Pädagogik des Ignatius den Orden nicht vor schweren Missgriffen einzelner bewahrt hatte. Priester bedeutete auch vorher, sich auf eine ungewisse Zukunft einzulassen und keine Garantie mitzunehmen, nicht doch zu scheitern. So überzeugend und motivierend das Konzil verlaufen war, was aus der deutschen Kirche werden würde, war ungewiss. Es war vergleichbar dem Einsiedlerkrebs, der selbst keine Schale baut, sondern, wenn die bisherige Schale zu klein geworden ist, sich auf die Suche nach einer neuen Umhüllung machen muss. Dieses Neue sollte durch die Würzburger Synode entwickelt werden. Da ist auch viel Tragfähiges entstanden. Die Vorbereitung auf Erstkommunion und Firmung wurde in die Hände der Laien gelegt, die Jugendverbände fanden Anschluss an die Pädagogik. Ich selbst war aus den zwei Jahren als Internatserzieher mit der Erfahrung gekommen, dass es geht, wenn man nicht die Disziplin an die erste Stelle setzt, sondern auch den Sextaner als Partner behandelt, der ein bestimmtes Ziel erreichen soll und zugleich sein eigenes Leben in der Clique gestaltet. Um das Lernen erfolgreich zu machen, half schon in den sechziger Jahren die Psychologie erheblich. Später haben die Ergebnisse der Hirnforschung noch einmal dem Verständnis des Lernens einen Schub gegeben.
Das und anderes konnte sich nicht mehr in dem abgeschlossenen katholischen Milieu entwickeln, das hatten wir mit dem Konzil ja verlassen. Die Gesellschaft, die uns entgegenkam, war auf einmal neomarxistisch geworden. Nicht Reform, sondern ein völliger Neubau der Gesellschaft war angesagt. Die Religion musste deshalb verschwinden, weil sie, wie die Familie, an einem überkommenen Modell der Gesellschaft festhielt. Der Hebel der Veränderung war die sexuelle Befreiung. Denn die Unterdrückung der Sexualität hatte nahc der herrschenden Ideologie den autoritären Charakter geformt, der den Nationalsozialismus möglich gemacht hatte. Innerhalb der Kirche war die Epoche der Laien angebrochen, in der Gesellschaft das vielversprechende Modell, die Entfremdung zu überwinden, also eine Synthese von Tiefenpsychologie und Politik. Der Panzer der bürgerlichen Normen und die draus folgenden Distanzierungstechniken sollten hin zu persönlicher Unmittelbarkeit durchbrochen werden. Nicht Sigmund Freud oder C.G. Jung waren die Theoretiker dieser Revolution, sondern Wilhelm Reich. Gruppendynamik und Leben in einer WG wurden zur Sozialform für dieses Versprechen, nämlich dass jeder in ein direktes Verhältnis zu sich selbst finden kann und nicht weiter durch die gesellschaftlichen Verhältnisse gehindert wird, zu sich selbst zu kommen.
Flucht aus dem Priestertum
In den Ausbildungshäusern lichteten sich die Reihen. Kardinal Dörfler erklärte in einem Interview, dass er nicht mit so vielen Problemen bei den Priestern gerechnet hatte. Viele gaben das Amt auf und heirateten meist. Für mich war das Priestertum von einem Stand, in den man aufgenommen wurde, um dann, ähnlich wie Polizeibeamte für schwierige Dienste Kirche eingesetzt zu werden, zu einer Reise ins Ungewisse geworden. Dass ich nicht auf den revolutionären Zug aufgesprungen bin, waren die Beobachtungen über die erste Phase der Revolution, die in den studentischen Kreisen stecken geblieben und nicht in die große Gruppe der „Lohnabhängen“ vorgedrungen war. Erfahren mit spirituellen Prozessen konnte ich deutlich sehen, dass das Versprochene sich nur einstellen würde, wenn die menschliche Natur grundlegend verändert würde. Allein der linke Autoritarismus war ein deutliches Indiz. Wie schon in der russischen Revolution wurde dieser durch die Notwendigkeit erklärt, die Widerstände mit Gewalt auszuräumen, um den Beginn des Neuen nicht zu gefährden. Im Sowjetsystem war er geblieben.
Mir wurde die Entscheidung für die christliche Sicht des Menschen dadurch leichter gemacht, dass sich in meinem Orden die absolutistischen Gepflogenheiten verabschiedeten. Da das Mitarbeitergespräch seit Jahrhunderten verankert war, gab es immer schon ein anderes Verhältnis zu den jeweiligen Bestimmern. Warum es in der diözesanen, auf Pfarreien reduzierten Kirche heute ein Machtproblem gibt, müsste nicht nur ständig proklamiert, sondern aus den letzten 50 Jahren erklärt werden. Aus dem, im Vergleich zu den Diözesen, sehr viel größeren Caritasverband hört man das nicht. Deshalbsind weitere Analysen notwendig. Der Autor ist für jede Beobachtung und Erklärung dankbar. Wir setzen die Reihe zum Priesterlichen fort.
Zur Priesterfrage und dem Ende der Großteils der theologischen Fakultäten:
Kein Interesse für ein Theologiestudium
Advent für theologische Lernorte
Priester - Machtblock in der Katholischen Kirche
Weitere Beiträge zur Priesterfrage Priester: Kein Artenschutz für eine aussterbende Spezies
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