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Priester: nicht mehr leiten, sondern begleiten

Am 21. April ist der Weltgebetstag um geistliche Berufe. Daher blickt explizit.net in den nächsten Tagen auf die Themen geistliche Berufe und Berufung. Immer weniger Priester leiten immer größere Pfarreien. Wollen die Priester das und brauchen die Gläubigen die Großpfarreien? Die Gläubigen brauchen die Priester nicht als Organisatoren, sondern dringender als Lotsen durch das ständig vom wechselnden Zeitgeist aufgewühlte Meer, kommentiert Eckhard Bieger SJ.

Junge Männer werden meist aus spiritueller Motivation Priester. Dieses Charisma haben sie auch für andere. Das ist für die Gläubigen, die sich als Minderheit vorfinden, dringender. Denn sie werden nicht mehr von einer Volkskirche getragen, sondern müssen einer Gesellschaft standhalten, die aus einer Vielzahl von Glaubensüberzeugungen auswählen kann. Warum unbedingt Christ? Die Begleitung ist in zwei Richtungen und in einer grundsätzlichen Orientierung gefragt:

Die zwei zentralen Aspekte des Priesterberufs: Spiritualität und Argumentation

1. Eine Spiritualität ist eine Praxis, die meist von einer Gründerin, einem Gründer eines Ordens, einer Gemeinschaft entwickelt wurde und in eine tägliche Praxis mündet. Ignatius von Loyola hat die Exerzitien, also die Einübung in die Meditation, entwickelt. Diese ermöglicht eine geistige Wachheit, die „Geister zu unterscheiden“, also herauszuspüren von welchem Geist eine Entscheidung herbeigeführt oder herbeigezwungen wird, welcher Geist in einer Gruppe dominiert – Kooperation oder Konkurrenz, gegenseitige Unterstützung oder Zynismus.  Unterschieden wird auch eine Frage, eine Herausforderung dahingehend, welcher Geist spürbar wird. Es geht darum, den Geist Gottes herauszuspüren. Papst Franziskus ist ein Protagonist dieser Spiritualität. Anders die benediktinisch Spiritualität, die das Gebet der Psalmen als Hauptelement hat. Der Rosenkranz ist von dieser Spiritualität abgeleitet. Papst Johannes Paul II. kann als Protagonist dieser Spiritualität gesehen werden. Immer geht es darum, die Beterinnen und Beter in der Beziehung zu Gott zu halten.

2. Das unübersichtliche Gewirr der vielen Weltsichten und die jeweils neueste Wendung des Zeitgeistes braucht eine Klärung. Hier ist das Ziel standhalten zu können. Es ist das im 1. Petrus rief genannte Notwendigkeit "Gebt Rechenschaft über Euren Glauben!" Wie die Christen in den Anfangsjahren der Kirche eine Minderheit waren, so heute in der westeuropäischen Kultur. Wenn sie ihre Weltsicht nicht nach Außen begründen können, werden sie ihrem Auftrag nicht gerecht, die gute Botschaft zu den Menschen zu bringen. Die katholische Kirche versteht sich nicht als Teil des Staates, der die Mitgliedschaft zu einer Aufgabe macht. Das fordert zuerst Philosophie als Ebene des Gesprächs. Ebenso ist ein vertieftes Verstehen der christlichen Sicht auf Leben und Tod, eine Theologie gefragt, die im Gespräch mit der Gegenwart ist.
3. Das Selbstverständnis, das den Priester trägt, ist Begleitung. Die Gläubigen müssen sich in einer Gesellschaft bewähren, in der die christliche Weltsicht nicht mehr selbstverständlich ist. Sie sollen sich nicht geduckt darin bewegen, sondern ausstrahlen, nicht im Beklagen der Zustände steckenbleiben. Sie sollen Verantwortung übernehmen, so wie die Christen nach der Implosion des Kommunismus. Hoffnung einbringen, die die Menschen spüren können.

Priester am Ende der Volkskirche

Die hier skizzierte Rolle des Priesters in einer Minderheitensituation wird sich in der Geschwindigkeit herausbilden wie das Verschwinden der Volkskirche ernst genommen wird. Der Volkskirche entsprach die bisherige Pfarrei. Als Kind wuchs man in diese Gemeinschaft hinein, die sich jeden Sonntag versammelte. Glauben, das Überzeugtsein vom kommenden Reich Gottes und der Person Jesu war damit gegeben. Der Priester sicherte diese Weltsicht, leitete die Gottesdienst und heiligte durch Taufe, Erstkommunion, Firmvorbereitung, Trauung den Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt und mit der Beerdigung den Übergang in eine neue Existenz. Man glaubte, was die anderen glaubten und was die Priester als Weltsicht vermittelten. Diese Struktur, in der Kirche da ist, wo ein Pfarrer wirkt, verkleinert sich. Nach der Umfrage zur Kirchenmitgliedschaft sind es noch 19% der Bevölkerung, die eine explizite christliche Weltsicht bejahen. Auch wenn die Anlage des Fragebogens zu dieser zu niedrigen Bejahung der christlichen Weltsicht führt, ist der Trend nicht so brutal wie die Zahl, aber es gibt ihn. Die Zahl der Kirchenmitglieder wird drastisch zurückgehen. Zugleich wird der christliche Lebensentwurf schwerer durchzuhalten sein. Die Gläubigen, die ihren Glauben in einem diffusen Umfeld nicht in Verborgenheit, sondern mit Ausstrahlung leben wollen, brauchen dafür Begleiter. Eine Glaubenssituation, die nicht von außen bedrängt wird, sondern von innen her ständig infrage gestellt wird, braucht nicht nur mehr Spiritualität, sondern auch Überzeugungskraft, dass Christsein die bessere Lebenspraxis ist. Hoffnung braucht als Fundament die Sicherheit, dass Gott aus den Werken der Schöpfung erkannt werden kann. Für ein durch die Naturwissenschaften, durch Psychologie und Soziologie bestimmte Weltsicht braucht es einen durch Argumente abgesicherte Position. Das Besondere des Christentums war es immer, mehr versprechen zu können. Diese Fundierung stärkt auch die Spiritualitäten, denn sie bleiben dann nicht nur eine, die bloß praktiziert wird, sondern die auf einem breiten Fundament hilft, den Alltag besser zu bewältigen.

Die Kirche in der DDR hat gezeigt, wie das möglich ist. Es gab die theologische Fakultät in Erfurt und die Gemeinden. Diese waren klein, brachten jedoch die Politiker hervor, die gewählt wurden und die Demokratie aufbauten.

Kleine Kirche - wenig Organisation

Die kleiner werdende Zahl der Christen wird die Priester von dem bisherigen Organisationsaufwand befreien. Diejenigen, die in ihrer christlichen Weltsicht, in einer der katholischen Spiritualitäten und in der Liturgie verankert sind, brauchen deshalb die Priester als Organisatoren kaum noch, weil sie selber wissen, wie Kirche geht.
Dann haben Priester Zeit, weil sie nicht mehr die Organisation am Laufen halten müssen. Die sich deshalb auch wieder gründlich mit weltanschaulichen Fragen auseinandersetzen können, die wieder Zeit haben, zu lesen.

Priester – Hirte der Charismen

Das ist die strukturelle Seite, die den Priester wieder mehr Priester sein lässt. Um diese Weise, Priester zu sein, auch in sich zu verankern, kann sich der Priester neu von seinem Charisma her verstehen. Er folgt wie die Gläubigen einer Berufung. Weil er sich mit der eigenen Berufung viel intensiver auseinandersetzen muss, können sich Menschen an solchen Priestern orientieren, um ihre Berufung zu finden und zu leben. Das geschieht ohne Worte. Der Generalobere der Jesuiten erklärt das so: Ein Jesuit soll nicht durch Viel-Tun, sondern durch sein Da-Sein wirken. Der Provinzial der Jesuiten für Frankreich und das französischsprachige Belgien versteht das konkret so, dass ein Jesuit Menschen dazu führt, ihre Berufung zu entdecken und zu leben. Damit sind nicht nur die Berufungen gemeint, sich dem Orden als Mitglied anzuschließen. Bereits der Ordensgründer Ignatius stellt als erstes die Frage, ob das Ordensmitglied "zufrieden in seiner Berufung leben kann." Das ist kein Privileg von Ordensleuten oder Diözesanpriestern.

Text: Eckhard Bieger SJ

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Kategorie: Kirche

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