Wie der Einzelhandel sind Kirche und Bildung in gleicher Weise betroffen. Denn auch die älteren Jahrgänge sind durch den Lockdown digitaler geworden. Das verändert das Arbeitsfeld der Hauptamtlichen. Sie werden etwa 30% ihrer Arbeitszeit mit der Erstellung oder Vermittlung von Video- u.a. Formaten verbringen. Wenn so Vieles in Theologie und Pädagogik digital geht, müssen neue Konzepte vor Ort für die speziellen Anforderungen der jeweiligen Zielgruppen entwickelt werden, damit die Menschen überhaupt noch kommen. Gelingt da nicht, werden wie im Einzelhandel viele Stellen wegfallen.
Denn so wie viele Einzelhändler aufgeben müssen, werden viele Veranstaltungen, ob in den Gemeinden oder in den Bildungswerken, so nicht mehr stattfinden. Denn was bequemer über den Bildschirm geht, wird man nicht mehr mit dem Auto, dem Bus, dem Fahrrad aufsuchen. Daraus leiten sich drei Folgerungen ab.
1. Die Angebote zu 30% digitalisieren
2. Die Präsenz-Angebote deutlicher von den digitalen unterscheiden
3. Ständig neue Angebote entwickeln.
Für die bezahlten Kräfte heißt das ein Doppeltes:
Digitale Kompetenz und viele neue Formate für die Präsenz-Veranstaltungen, um die Zahl der Angebote zu erhöhen und in kürzeren Abständen Neues zu bieten.
Digitalisierung sichert nicht mehr Präsenz der Zielgruppen nach Corona
Am Einzelhandel kann man es sich verdeutlichen. Wer nicht gerade in der Nähe einer Einkaufsstraße wohnt und die Befürchtung überwunden hat, von seinem Konto oder der Kreditkarte würden Hacker abbuchen, wird sich Vieles nach Hause bringen lassen. Das hat aber zur Folge, dass weniger Menschen in die Stadt kommen. Selbst wenn ein kleines Geschäft einen digitalen Shop einrichtet, bewegt es damit kaum jemand, in die Stadt zu kommen. Das gilt in gleicher Weise für Vortragsveranstaltungen und auch für die üblichen Predigten. Diese sind digital sogar viel leichter abrufbar als ein Küchengerät oder ein Spiel. Denn was Kaufhof u.a. mir mit Preisreduzierungen schmackhaft zu machen suchen, muss ich mir auch nach dem Lockdown nicht mehr im Geschäft ansehen. So muss ich auch nicht zu einer Tagung aufbrechen, um dort über Stunden stillzusitzen, damit ich dann irgendwann den Vortag anhören kann, der eine neue Perspektive eröffnet. Wenn die Referate aufgezeichnet sind, kann ich vorspulen. Mir bleibt dann auch dieses Gefühl von Bräsigkeit erspart, das mir in Bildungshäusern entgegenkommt, oft mit der Ehrerbietung gegenüber den Fachleuten verbunden. Es liegt an dieser Rückwärtsgewandtheit, dass sich weitgehend nur Ältere angesprochen fühlen.
Zuviel Fertiges, zu wenige Projekte
Die Silverhairs bevölkern nicht zufällig das Bild, wenn man, z.B. im Alpha-Kanal der ARD in die Zuhörerschaft der Bayerischen Katholischen Akademie blickt. Da ich selbst zu der Gruppe gehöre, kann ich das Interesse der Senioren gut verstehen, nämlich sich nicht mehr für neue Projekte einsetzen zu müssen. Jetzt ist endlich Zeit, den Dingen gründlicher nachzugehen. Aus dem aktiven Berufsleben bringt man viele Fragen dazu mit, wie eigentlich etwas so geworden ist Diese Erkundungen in die Vergangenheit könnte allerdings auch mit innovativen Impulsen dargestellt werden. In der Regel werden jedoch nur abgepackte Wissenspakete weitergereicht, so dass keine Anregungen und Strategien freigelegt werden, wie man damals etwas hat Realität werden lassen. Vielmehr tragen die meisten Referent*innen ihre Erkenntnisse als abgeschlossene Wirklichkeit vor, ohne zu zeigen, wie frühere Realität, welche sie darstellen, die Gegenwart immer noch mit gestaltet. Geschichte ist ja nicht abgeschlossen. Nicht nur weil man sich mit ihr beschäftigt, bleibt sie präsent, sondern sie wirkt oft mehr als uns, die wir Projekte vorantreiben, bewusst ist. Würden Zusammenhänge eröffnet und die Strategien aufzeigt, die eine religiöse Praxis verankert und Bildungsinitiativen losgetreten haben, könnten solche rückwärtsgewandten Vorträge den jungen Geisteswissenschaftler*innen aktuell helfen, Menschen zu mehr Bildungsanstrengungen, zu mehr Gebet und Engagement für die am Rande zu motivieren.
Nicht die Vergangenheit, die Gegenwart gestaltet die Zukunft
Die Beschäftigung mit der Vergangenheit ist risikofrei, für die Gegenwart Konzepte zu entwickeln ist wesentlich schwerer und mit unsicheren Erfolgsaussichten belegt. Da das jetzige Publikum für Vortragsveranstaltungen wie für die bisherige Form der Messe aus bald nicht mehr körperlich in der Lage ist, weitere Fahrten auf sich nehmen und dann auch nicht mehr das Haus verlassen kann, werden Pfarreien und Bildungswerke nur überleben, wenn sie die jetzt jüngeren Altersgruppen gewinnen. Die Vergangenheit sollte man Arte und den anderen Fernsehkanälen überlassen.
Neue Konzepte für neue Lebensentwürfe
Das bedeutet, Kirche und Bildung auf Innovation umzupolen. In die Gesellschaft hineingehen und diese aktiv gestalten. Das war früher Katholizismus. Dieser Wille zur Mitgestaltung war noch in den ersten Jahren der Bundesrepublik lebendig und hat über die CDU das Gesicht der jungen Republik geprägt. Das Zentralkomitee, in dem sich der Laien-Katholizismus handlungsfähig gemacht hatte, ist aus diesem gesellschaftlichen Engagement auf innerkirchliche Themen wie „Machmissbrauch“, „Zölibat“ und „katholische Sexualmoral“ umgeschwenkt. Bis in die sechziger Jahre wirkte das gesellschaftliche Potential des Katholizismus noch, welches in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgebrochen war. Hatten sich die Katholiken mit der Industrialisierung und deren sozialen Folgen auseinandergesetzt und dann den Neuanfang nach den 12 Jahren Nationalsozialismus aktiv mitgestaltet, lässt der Laienkatholizismus heute die totale Datenkontrolle, den bereits durch Algorithmen bewirkten Umbau der Arbeitswelt, die immer größer werdenden Bildungslücken sprachlos an sich vorbeiziehen und geht nur zögerlich auf den viel versprechenden ökologischen Umbau sowohl der Städte wie der Landwirtschaft zu. Es entsteht eine neue Welt und die Katholiken sind nicht dabei, obwohl es von Rom die wegweisenden Enzykliken und damit genügend Ansatzpunkte gibt, vor Ort innovativ zu werden.
Kirchengemeinden, Verbände und sogar die Theologie könnten innovativ werden
Die Caritas-Einrichtungen sind es bereits. Mit Tafeln, Flüchtlingsintegration, Schuldnerberatung und vielen therapeutischen Angeboten sind sie längst nahe an den Bedürfnissen der Menschen. Die Pfarreien wie die Erwachsenenbildung können sich von dem innovativen Geist, der nach Corona wohl die Gesellschaft erfassen wird, mitreißen lassen: Damit die Menschen zur Kirche kommen, weil in der Kirche etwas los ist.
Noch einmal der Vergleich mit dem Einzelhandel: Um einen Set Töpfe zu kaufen oder Socken und Hemden, braucht niemand mehr in die Einkaufszentren zu fahren. Führen die Rolltreppen in den Kaufhäusern und städtischen Einkaufstürmen in neue Konsumerlebnisse oder wissen die Kunden schon, was sie erwartet? Was erfinden Kaufhof&Co, um Kauferlebnisse zu generieren, die das Internet nicht bietet? Übertragen die Frage: Haben Bildungsveranstaltungen den besonderen Reiz, den mir der Bildschirm nicht vermitteln kann. Und noch schwieriger gefragt: Brauchen Gläubige den Gottesdienst, damit der Sonntag zum Sonntag wird?
Die digitalen Medien sind für das Alte da
Innovation ist angesagt, das Bestehende kann man den digitalen Medien anvertrauen. Um es noch strikter zu unterscheiden: Das, was die digitalen Medien können, müssen Bildungswerke und Pfarreien nicht mehr als Präsenzveranstaltungen anbieten. Corona hat viel Raum für Neues eröffnet. Das wird geweckt, wenn die Katholiken ihre Distanz zu der digitalen, algorithmisierten, im ökologischen Umbau befindlichen Gesellschaft aufgeben. Wer soll das machen: Die jüngeren Jahrgänge, denn sie müssen die neue Arbeitswelt, ökologisch überlebensfähigen Städte, das klimaneutrale Verkehrswesen und die Artenvielfalt ermöglichende Landwirtschaft bauen. Die Älteren, die jetzt die Pfarreien bestimmen, sollten ihr Engagement nicht so anlegen, dass mit ihrem Ausscheiden die Kirche aufhört, präsent zu sein. Wenn sie den Dreißigjährigen Raum geben und die Zwanzigjährigen, die Generation Z genannt, aus ihrer Abhäng-Mentalität herausstoßen. Die vielen Veränderungen erfordern eine Verdopplung der Bildungsanstrengungen. Wer soll das in die Hand nehmen. Im 19. Jahrhundert waren es die Laien.
Der riesige Turm der Stadtkirche von Nördlingen demonstriert Einfluss – er dient als Feuerwache, unter ihm das intellektuelle Zentrum der Stadt mit Bibliothek und Schule, an der Außenwand die Maße, Platz für das Marktgeschehen, der best ausgestattete und größte Versammlungssaal, die besten Malereien und Skulpturen. Die mittelalterliche Kirche hatte einfach ein überlegenes Marketing.
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