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Ist Gott aus der Kirche ausgetreten?

Es sind nicht der Zölibat, die fehlende Frauenordination oder der von älteren verheirateten Männern, Viri probati genannt, weshalb es mit unserer Kirche immer schneller bergab geht, Menschen unzufrieden sind und austreten. Tatsache scheint zu sein, dass die Menschen nicht mehr das, was sie für ihr Leben heute brauchen, in der Kirche finden und dort deshalb nicht mehr suchen.

Die Ergebnisse aus der Amazonassynode enttäuschen viele Insider der Kirche in Deutschland. Man hatte sich andere Resultate erhofft: Öffnung für Frauenämter, für verheiratete Männer, die zum Priester geweiht werden können. Mit diesen Möglichkeiten erhoffen sich viele eine Verbesserung der kirchlichen Situation in Deutschland. Wären diese Erwartungen berechtigt, hätte die evangelische Kirche ja gute Karten, denn da können Frauen sogar Bischöfin werden, die Laien predigen, die Pfarrer heiraten. Aber auch in der evangelischen Kirche macht sich der Mitgliederschwund breit. Die Austritte sind ebenfalls besorgniserregend.

Neue Vorstellungen von Gott

Es ist sicher einerseits eine grundlegende Gottesferne zu beobachten, es scheint so als bräuchten wir Gott nicht mehr in unserem Leben. Andererseits ist eine große Unzufriedenheit mit der Institution Kirche vorhanden, von der ich mich distanzieren muss, wenn sich meine Gottesvorstellung weiter entwickelt. Alte Gottesmuster haben sich überholt, neue sind an ihre Stelle getreten. Andere, religiöse Praktiken wie Yoga u.a. versuchen diesen Platz einzunehmen. Kennen unsere Hauptamtlichen in der Kirche die daraus folgenden Erwartungen bzw. auch die Konsequenzen?
Unsere Kirche versucht noch immer, etwas aufrecht zu erhalten, auch zu vermitteln, was nur noch Insider anspricht, was langjährige Kirchgänger kennen und nutzen. Wer in diesem Kirchensystem nicht beheimatet ist, und das sind inzwischen sehr viele, findet erst einmal nicht Zugang zu einer Eucharistiefeier. Da brauchen die Menschen zuerst einen anderen Zugang zu Gott. Zu einem Gott, der mit ihrem Leben etwas zu tun hat, den sie spüren und erleben können. Einem Gott, der ihr Leben und ihre Freiheit will.

Viele derer, die ausgetreten sind, lebten aus einer Gottesvorstellung, die oft von Angst und Druck geprägt war. Da ging es ums Gehorchen, um tief in den Familien verwurzelte Vorstellungen, die tradiert wurden. Die Menschen sind aber selbstständiger, erwachsener geworden, fühlen sich auch als Demokraten freier und weniger abhängig von Autoritäten. Deshalb können und wollen sie auch diesem tradierten Gottesbild nicht mehr folgen. Mit dem Austritt wollen sie sich auch von dieser inneren Unfreiheit losmachen. Es bräuchte neue Auseinandersetzungen über Gott. Was hat Gott mit meinem Leben zu tun? Gibt es ihn überhaupt? Was bedeutet er für mein Leben? Wer ist Gott für mich? Wie kann ich mich Gott annähern?

Die linke Hirnhälfte bestimmt auch meinen (Nicht-) Zugang zur Religion

An Gott glauben heißt ja, an etwas zu glauben, was nicht empirisch beweisbar ist. Die linke Hirnhälfte hat dabei das Sagen. Wer sich aber auf das individuelle Feld der Erfahrungen begibt, der in der rechten Hirnhälfte, hat im Diskurs mit Wissenschaftlern schon verloren. Sie führen Faktenwissen gegen Erfahrungswissen ins Feld. Das trifft auch auf nicht wenige Theologen zu. Das kann nicht gut gehen, wenn diese unterschiedlichen Kommunikationsebenen nicht in den Ausgleich gebracht werden. Da unser Zeitalter sehr an der Logik, der linken Hirnhälfte orientiert ist, ich würde sogar sagen, leidet, kann sich die rechte nicht im gleichen Maße entwickeln. Das beeinflusst hirnmäßig auch den Zugang zur Transzendenz.

Am Problem vorbei

Wenn für die Kirchenmisere das Zölibat oder die fehlende Frauenordination herhalten soll, dann diskutieren wir an dem eigentlichen Problem vorbei. Natürlich gibt es viel Kritisches, was wir beobachten, was uns stört, was sich nicht gut entwickelt hat, aber das hat wenig damit zu tun, dass wir eine Gesellschaft in Deutschland sind, die mit Gott überhaupt nicht mehr rechnet. Was ist in unseren Seelen los, dass wir Gott anscheinend nicht mehr brauchen?

Ohnmacht auch der Hauptamtlichen

Das Leben rast so schnell an uns vorbei, bietet derartig viele Möglichkeiten sich zu engagieren, sich abzulenken, Spaß zu haben, dass oft die Zeit für Kontemplation fehlt. Kontemplation ist aber der Zugang zu den Fragen nach dem Sinn meines Lebens, nach dem Größeren in der Welt.
Manchen ist es zu anstrengend, sich diesen Fragen zu stellen, weshalb wir am Leben sind, wem wir das Leben zu verdanken haben und um was es überhaupt in unserem Leben gehen soll.

In der jüngeren Generation geschieht etwas in ihren Seelen, was sie schwer artikulieren können, aber das sie spüren. Es sollte uns aufmerksam werden lassen. Sie sehen, wie Eltern oder Vorgesetzte unter Arbeitsbelastungen stehen, die Work-Life Balance nicht ausgeglichen ist. Viele wollen sich diesem Druck nicht aussetzen, entziehen sich einem solches Leben, reagieren mit Verweigerung. Das hat für die Zukunft schwerwiegende Folgen, denn es droht eine ganze Generation, die eigentlich in einigen Jahren in Führung und Verantwortung für unsere Gesellschaft gehen muss, auszufallen. Für kirchliche MitarbeiterInnen ist das anscheinend kein Thema, mit dem sie auf diese Generation zugehen könnten. Sie greifen diese Not nicht auf, suchen nicht nach dem spirituellen Ansatz, den die Millennials und die Genration Z in sich tragen. Wo kann Kirche einen Zugang zum „guten“ Leben besser leisten, als da wo es um die Not, die Existenz junger Menschen geht?
Möglicherweise wird die „Greta“- Generation die Mitarbeiter*innen aufwecken, ihnen vielleicht sogar ihr Ureigenes abnehmen, denn sie kämpft explizit für die Bewahrung der Schöpfung. Ein Grundthema unseres Christseins.

Auf die nachwachsenden Generationen zugehen

Wir haben so viele Ämter in der Kirche, die sich mit den aktuellen Lebensfragen der unterschiedlichen Generationen auseinandersetzen könnten, um eine vielfältige, lebendige Kirche mit ihnen zu bauen, in der sich jede Generation mit ihren spezifischen Fragen, Sorgen, Nöte aufgehoben fühlen könnte. Denn Gott will unser Leben. Für die „Jungen“ muss Gott erfahrbar sein ohne gleich an der Eucharistie teilnehmen zu müssen. Es braucht mehr Verflechtung mit dem eigenen Leben. Mir scheint aber auch, dass hauptamtliche Mitarbeiter*innen sich selbst in einer ohnmächtigen Situation befinden, aus der sie sich ganz schwer befreien können. Möglicherweise stecken auch sie in einer spirituellen Krise. Es täte gut, wenn sie sich dazu bekennen könnten, denn wir spüren es sowieso. Auch ihre Not würde glaubwürdig.

Trauen wir Gott noch zu, dass er bei uns ist? Oder glauben wir, dass er sich schon davon gemacht hat?

Die Ohnmacht spüren wir alle. Keiner weiß eigentlich, wie das weitergehen soll. Gott kommt in unserer Kirche oft nur noch an bestimmten Fixpunkten ins Spiel. Wenn es um Geburt, Hochzeit oder Tod geht. Dass Gott aber uns in unserem Leben begleitet, uns ganz nahe sein will, mit uns einen Bund geschlossen hat, damit unser Leben gelingen kann und wir ein „gutes“ Leben haben, ist aus dem Gedächtnis verschwunden. Aber so ungläubig wie es sich gesellschaftlich anfühlt sind die Menschen nicht. Sie haben Sehnsüchte nach Transzendenz, sie spüren, dass ihnen etwas fehlt, sie suchen nach Spiritualität, denn sie ahnen, dass es noch andere Kräfte im Leben gibt als nur das, was beobachtbar, berechenbar und experimentell überprüfbar ist.


Kategorie: Kirche

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