In der Katholischen Kirche in Deutschland wird das Mehrheits-Modell durchgespielt. Der Synodale Weg hat sich als Parlament mit letzter Entscheidungskompetenz verstanden. Das Papstmodell, das die letzte Entscheidung einer Person angetraut, wird daher als „undemokratisch“ abgelehnt. Es ist aber nicht so anders als in manchen Demokratien. In den USA oder Frankreich liegt die letzte Entscheidung, ob ein Gesetz oder eine Verfügung verbindlich wird, beim Präsidenten, in Diktaturen sowieso. Jedes der beiden Modelle geht von einer Annahme aus. Die einen trauen der Mehrheit zu, die für den Staat, für die Institution notwendigen und auch tragfähigeren Entscheidungen zu treffen. Die anderen lassen einer gewählten Person die Letztentscheidung zu. Weiß die Mehrheit jedoch mit größerer Sicherheit, was besser ist oder ist es das, was eine Person als verbindlich erklären kann?
Was geschieht mit den Minderheiten?
Das Mehrheitsprinzip kommt durch Abstimmung zu Entscheidungen. Der Synodale Weg der Katholiken in Deutschland traut diesem Modell auch darin, dass die Minderheit sich einfügen wird und es zu keiner lang andauernden Spaltung kommt. Das entspricht dem Parlamentarismus, der eine Opposition kennt, die allerdings mit jeder Wahl die Chance erhält, zur Mehrheit zu werden. Diese Regierungsform hat jeweils eine Minderheit. Damit setzt der Parlamentarismus voraus, dass die Mehrheit besser weiß, was für das Land, die Kirche oder einen Verband zielführend ist. Der Parlamentarismus trägt in sich das Risiko, dass sich aus zu vielen Parteien keine stabile Mehrheit mehr bildet. Die Niederlande haben das gerade durchgespielt. Dieses Risiko wird durch das Mehrheitswahlrecht minimiert, weil dieses meist ein Zweiparteiensystem hervorbringt.
Das Präsidial-Modell
Nicht nur die Katholische Kirche, sondern auch die USA und Frankreich kennen also einen direkt gewählten Präsidenten mit umfassenden Befugnissen. In Deutschland sieht die Verfassung eine Mischform vor, in der der Bundeskanzler, die Bundeskanzlerin, „die Richtlinien der Politik bestimmen“, allerdings nur so lange, wie die Mehrheit im Parlament hinter ihnen steht. Das Risiko des Modells, das einer Person so viel Entscheidungskompetenz überträgt, ist deshalb groß, weil Politiker ihre Machtfülle dafür nutzen können, die Unabhängigkeit des Parlaments und der Gerichte auszuschalten. Russland ist dafür ein Beispiel.
Das für eine Religionsgemeinschaft "bessere" Modell
Was für ein Modell dient den Zielen einer Kirche besser und wie sollten seine Risiken minimiert werden? Die Risiken für die christliche Kirche lagen wohl von Anfang an in Spaltungen, obwohl es nur eine Gründerpersönlichkeit gibt. Der Theologe und Missionar Paulus wollte damals nicht die drohende Spaltung zwischen den Christen aus dem Judentum und denen aus anderen Völkern herbeiführen. Stattdessen wollte er die Autorität der Jerusalemer Ursprungsgemeinde anerkennen. Trotzdem kam es immer wieder zu Spaltungen, die die Christenheit erheblich schwächten. Denn schon nach wenigen Jahren zeigte sich, dass die Einheit der christlichen Gemeinden keine Selbstverständlichkeit war. Auch mussten immer wieder Antworten auf neue wirtschaftliche und politische Verhältnisse gefunden werden. Noch schwieriger sind die Herausforderungen durch neue kulturelle Strömungen. Die Einheit konnte nicht bewahrt werden. Zuerst zerbrach sie zwischen West und Ost und dann innerhalb der lateinischen Christenheit. Da anders als der Staat ein Papst über kein Steuerrecht noch über Behörden in den einzelnen Sprengeln verfügt, hat der Papst als Oberhaupt der lateinischen Christenheit die Ernennung der Bischöfe schrittweise an sich gezogen. Das gibt den Bischöfen eine größere Sicherheit als Ministern und Leitern staatlicher Institutionen, nicht abgesetzt zu werden, denn sie sind durch die Weihe und die finanzielle Unabhängigkeit nicht einfach an Weisungen des Papstes gebunden. Dieser ist auf die Loyalität der Bischöfe viel mehr als ein Regierungschef auf die seiner Minister und Beamten angewiesen.
In Bezug auf die ständige Tendenz zu Spaltungen hat das Papsttum zwei weiteren Einigungsfaktoren:
· Die Beschlüsse eines Konzils brauchen, wenn es einschneidende Reformen durchzusetzen gilt, einen starken „Regierungschef“. Das zeigte sich schon für die Konzilien von Nicäa und Chalzedon. Obwohl der römische Papst nicht teilgenommen hatte, war er entscheidend an der Umsetzung beteiligt.
· Ein starkes Papstamt gab Leo III. die Möglichkeit, Karl d.Gr. die Kaiserwürde zuzusprechen und Gregor VII., Kaiser Heinrich IV. eine erste Trennung von Staat und Kirche abzuringen. Das steht für die Orthodoxie noch an, wie sich im Ukrainekrieg deutlich zeigt. Schweden macht erste Schritte, die lutherische Kirche aus der Position einer Staatskirche herauszulösen.
Die Risiken der Papstkirche
Die Stellung des Papstes blieb nicht unwidersprochen. Da das Papstamt vor allem mit der Autorität des Lehramtes Einfluss ausüben kann, tendiert es zum Beharren auf dem, was die Kirche bisher als ihren Glauben definiert hat. Sowohl die Erkenntnis, dass die Erde nicht das Zentrum des Weltalls ist, als auch die Entwicklung des Parlamentarismus wurde bekämpft, statt aufgenommen. Die Herausstellung der päpstlichen Unfehlbarkeit kann auch als Reaktion des I. Vatikanischen Konzils auf die Demokratiebewegungen verstanden werden.
Die aktuellen Dynamiken in der Römischen Kirche
Vergleicht man den deutschen Synodalen Weg mit dem römischen synodalen Prozess, wird wohl ein Faktor die Kirche nachhaltig verändern. Es ist die Synodalität auf allen Ebenen. Das wird am deutschen Synodalen Weg deutlich. Dieser versteht sich wie ein Parlament. Es werden Entscheidungen mit Mehrheit beschlossen, die dann für alle bindend sind. Da jedoch eine Autorität mit Durchsetzungskraft fehlt, sind sie auf die Bereitschaft der Gläubigen angewiesen, damit sie übernommen werden. Wie sich konkret gezeigt hat, kommt es mit dem Mehrheits-Modell zu keiner Einstimmigkeit. Das hat zur Folge, dass die Ergebnisse Empfehlungen geblieben sind. Beim Konzil in den sechziger Jahren war das anders. Da hat Papst Paul VI. dafür gesorgt, dass es jeweils eine Zustimmungsquote von über 90 % gab, ehe er ein Dokument in Kraft gesetzt hat. Damals waren es über 2.498 Bischöfe, der deutsche Synodale Weg wurde nur 230 Personen.
Ein Einzelentscheider braucht Zustimmung
Päpste wie Bundeskanzler:innen verlieren erheblich an Autorität, wenn sie einsame Entscheidungen treffen. Paul VI. hat die Pillen-Enzyklika ohne Rücksprache mit den Bischöfen veröffentlicht. Angela Merkel hat ohne Rücksprache mit den Länderchefs 2015 etwa 800.000 Migranten aufgenommen.
Entscheidungen nicht ohne die Betroffenen
Das synodale Prinzip setzt bei den Betroffenen einer Entscheidung an und versucht, mit ihnen herauszufinden, wohin der Geist Gottes nicht nur die gesamte Kirche lenkt, sondern die einzelnen Gemeinden, Sozialeinrichtungen, Kindergärten, Bildungseinrichtungen. Die Entscheidung wird nicht am Anfang zur Diskussion gestellt, sodass die Alternativen bereits formuliert sind. Das ist für Abstimmungen notwendig, weil es um Ja oder Nein geht. In der synodalen Entscheidungsfindung weiß niemand, auch die Leitung nicht, wohin der Prozess läuft, nur das Problem ist deutlich. Die Beteiligten erwarten nicht, dass eine Lösung schon vorliegt, sondern sie diese mit der Führung des Heiligen Geistes erkennen werden. Dieser spricht nicht direkt, sondern durch einen Menschen. Das setzt die Stimme der Anderen nicht außer Kraft, sie sind nämlich gefragt, herauszufinden, ob ein Vorschlag vom Geist Gottes kommen kann. Der Lösungsvorschlag kann von einer einzelnen Person kommen oder aus einer Praxis, die in einem Land oder in einer kirchlichen Gemeinschaft schon praktiziert wird. Bisher wurde dieses Prinzip bereits anerkannt, indem der Papst die Bischöfe befragte. Das wurde bisher schon praktiziert, indem der Papst zu wichtigen Entscheidungen die Bischöfe auf allen Kontinenten befragte. Neu ist seit der Verabschiedung des Schlussdokuments über Synodalität, dass nicht mehr nur den Bischöfen die Kompetenz zugesprochen wird, den Geist Gottes zu erkennen. Neu ist auch, dass Zuhören am Anfang steht, weil die Leitung nicht wissen kann, durch wen in der Runde der Geist Gottes am deutlichsten spricht. Wenn der Papst selber zum Hörenden wird, unterwirft er sich dem Prinzip, das nicht auf ihn, sondern auf den Geist zu hören ist. Für das Schlussdokument der Versammlung hat er das praktiziert. Er hat es nicht nur zustimmend zur Kenntnis genommen, sondern inzwischen in Kraft gesetzt. Die Kirche war schon in der ersten Generation synodal gebaut. Bei schwierigen Entscheidungen soll eine Beratung vorausgehen. Dieses Modell soll jetzt für alle Entscheidungsebenen wiederbelebt werden. Es wird außer Kraft gesetzt, wenn ein Papst und andere Letztentscheider schon vor dem Prozess festgelegt haben, was das Ergebnis sein soll.
Weiterführung: Der Synodalen-Prozess, den der Papst 2021 auf den Weg gebracht hat, bedarf einer anspruchsvollen Methodik, die schon an der Sitzordnung deutlich wurde. Die Teilnehmer saßen nicht auf Stuhlreihen hintereinander, sondern um Tische herum. Jede Gruppe hatte einen Moderator. Das Modell, das die Synode in Rom im Oktober verabschiedet hat, orientierte sich an dem Leitungsmodell, das Ignatius v. Loyola für den Jesuitenorden entwickelt hat. Nämlich, dass der Letztentscheider nicht an das Votum des Gremiums gebunden ist, das den Prozess einer „geistlichen Unterscheidung“ durchlaufen hat.
Beide Themen werden aufgegriffen.
- Die Methodik „Synodalität“
- Das Leitungsmodell des Ignatius v. Loyola
Ein Kommentar von Dr. Eckhard Bieger SJ.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!