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Gut reden: die Kirche in Deutschland

Wir "Profi-Katholiken" sind besonders gut darin, unsere Kirche schlechtzureden. Ich nehme mir vor, das im neuen Jahr sein zu lassen. Denn ich beleidige die Vielen, die sich für Kinder, Migranten, für Demenzkranke uva. einsetzen, die ihren Beruf nach christlichen Werten praktizieren. Ein Kommentar von Dr. Eckhard Bieger SJ.

Wir Hauptamtlichen sprechen von Ehrenamtlichen. Wir unterstellen ihnen, dass sie wegen der zu erwartenden Ehre das tun, was wir für ein ordentliches Gehalt meist nicht besser hinbekommen. Ist „ehrenamtlich“ nicht schon eine Missachtung derjenigen, die aus christlichem Wertbewusstsein das tun, wovon die Kirche lebt. So etwas wie Kirche lebt ja nicht von der Organisationsarbeit der Hauptamtlichen, sondern von dem Glaubenssinn ihrer Mitglieder und dem daraus entspringenden Gestaltungswillen. Wo diese tiefe Überzeugung die Organisation prägt, gibt es keine Dauerkritik. Denn es gibt genug zu tun – bei der Tafel, der Hausaufgabenhilfe, bei der Begleitung zu Behörden, bei Krankenbesuchen und nicht zuletzt im Gebet. Denn wer kritisiert die Caritas? Die Menschen, die dort engagiert sind, haben diejenigen im Blick, die Hilfe brauchen. Sie können allenfalls sich selbst kritisieren. Das ist bei Liturgie und religiöser Unterweisung nicht so klar. Da stellt die Botschaft Jesu Anforderungen, die die Mitglieder „schlucken“ müssen. Sie sind nicht mehr Empfänger von Hilfe, sondern Adressaten von fordernden Worten Jesu.

Forderungen passten ins 19. Jahrhundert

Das war im 19. Jahrhundert und bis zur Achtundsechziger Bewegung gesellschaftlich erwünscht, nämlich Disziplin, scharfe Prüfungen, Pünktlichkeit, Gehorsam. Das konnte das Katholische, vor allem in seiner rheinischen Ausprägung, deshalb oft lockerer nehmen als die Schule oder die Behörde, weil „der liebe Gott nicht so ist”. Deshalb mussten die Katholiken die Achtundsechziger-Revolution nicht so verbissen mitmachen. Der Preis für die Distanz ist allerdings erheblich. Man ist in den siebziger Jahren stecken geblieben und hat die neuen Belastungen der technisierten und digitalisierten Welt nicht genügend wahrgenommen. Sie müssten wie Disziplin und Fleiß im 19. Jahrhundert in der katholischen Binnenwelt verstanden und mitgetragen werden. Auch wenn Priester und andere Hauptamtliche Jeans tragen, reflektiert ihre Ausstrahlung nicht das Fertigwerden mit der Informationsflut und dem spezifischen Stress einer digitalisierten Welt. Zudem hat sich etwas Entscheidendes geändert. Die Medien ergänzen nicht mehr bloß das Religiöse, es lebt in den digitalen Medien.

Die religiöse Praxis findet immer mehr in den Medien statt

Die Menschen brauchen die Gottesdienste oder gar die Beichte nicht mehr jede Woche. Wie das Kinogefühl erhalten bleibt, wenn man einige Male im Jahr den Weg in einen solchen Saal mit seinem spezifischen Geruch findet, bleibt die Kirchenatmosphäre erhalten. Etwas Weiteres wird am Vergleich mit dem Kino deutlich: Wie der Bildschirm genug Filme bereithält, so Fernsehen und Radio genug Gottesdienstübertragungen. Das kommt dem Auswahlverhalten entgegen, das im Konsum üblich geworden ist. Die große Auswahl lässt sich eher online als in einem Kaufhaus ausbreiten. Ähnlich finde ich im Internet eher die Spiritualität, die zu mir passt. Aber Religiosität funktioniert wie ein Konzert oder ein Film.

Selbermachen statt religiös konsumieren

Als die Kirche noch nicht so viel Geld hatte und die Priester voll mit Liturgie und Religionsunterricht, Kommunionvorbereitung, Beichthören und Krankenbesuchen ausgelastet waren, organisierten die Laien sich in den örtlichen Gruppen der Verbände. Die haben sich aufgelöst und wurden auch von den Priestern nicht mehr gefördert. Damit wurde die Pfarrei immer mehr zu einem Unternehmen, in dem Hauptamtliche Programme erarbeiten, die die Gläubigen nutzen können. Das verändert grundlegend die Beziehung zur Kirche. Die Gemeinde wird nicht mehr wie früher von den Verbänden gestaltet, sondern vom Team der Hauptamtlichen. Für das Kirchenmitglied findet wie bei einem Konzert oder einem Weihnachtsmarkt das jeweilige Angebot auch ohne mich statt. Das war bei der Mitgliedschaft in einer Gruppe früher nicht so. Kolping oder Jungengruppe fanden eben nur statt, wenn die Kolping-Brüder, die Katholische Junge Gemeinde, die Pfadfinder u.a. zu den Treffen kamen und an Fahrten teilnahmen. Im Unterschied zu den Bistümern heute sorgten die Verbände auf Diözesanebene für Schulungen, nicht zuletzt der Leitungskräfte. Heute können die Fortbildungsangebote der Bistümer fast nur die Hauptamtlichen nutzen. Da die Ehrenamtlichen als Helfer für die Projekte der Hauptamtlichen gesehen werden, scheinen sie keine Fortbildung zu brauchen. Auf die Spitze getrieben hat die „Amtskirche“ das Hauptamtlichen-Prinzip in Frankfurt. Gebetsgruppen von Frauen wollten sich treffen. Für den Raum in der Hauptpfarrei sollten sie € 70.- Saalmiete zahlen. Wären sie von einem oder einer der Hauptamtlichen organisiert worden, hätte es noch kostenfrei Kaffee gegeben.

In den Gruppen liegt die Zukunft der Kirche

Die Frankfurter Gebetsgruppen haben sich ohne Hilfe von Hauptamtlichen gebildet. Diese Gruppen sind wie die früheren Verbände auf Gegenseitigkeit aufgebaut. Ich gehöre nicht einfach dazu, weil ich katholisch bin, sondern weil ich Gruppenmitglied bin. Auch finden die Treffen zum Bibelteilen, gemeinsamen Gebet, für Besuche im Krankenhaus, für die Integration von Migranten, von Umweltgruppen, Nachbarschaften nur statt, wenn ich sie nicht wie ein Angebot sehe, sondern etwas beitrage. Ich gehöre dazu, ohne mich findet das Treffen der Gebetsgruppe oder das Sozialprojekt nicht statt. Ich bin dort nicht nur Teilnehmer, sondern gestalte mit, die Anderen kennen mich und werden mich nicht rauswerfen. Über das Internet sind wir miteinander verbunden. Es gibt nicht die Schwelle, mit jemandem ins Gespräch zu kommen, die ich nach dem Gottesdienst hin wieder spüre. Es sind vor allem die Frauen, die diese neue Kirche bauen. So war es von Anfang an. Die Frauen haben Jesus verstanden, die Apostel immer noch nicht so gut.

Kleine christliche Gemeinschaften gab es schon immer

Diese Gemeinschaften waren als Familienkreise Rückhalt der Kirche in der ehemaligen DDR. Sie trafen sich in den Wohnungen, um die Stasi herauszuhalten. In Afrika sind es in allen Ländern nachbarschaftlich organisierte Gruppen, die sich an einem Wochentag treffen und sich selber leiten. In der deutschen Kirche waren es seit 1848 die Verbände. Hier gehöre ich nicht einfach dazu, sondern kenne jeden und jede. Diese Organisationsform ist viel elastischer und sehr viel preiswerter. Sie muss nicht von bezahlten Hauptamtlichen organisiert werden.

Noch eine Beobachtung zu den Priestern

Als kleiner Messdiener habe ich den Pfarrer und die zwei Kapläne voll ausgelastet erlebt. Nicht nur mit Messen, sondern Andachten, Erstkommunionunterricht, Krankenbesuche, vielen Beichten und 1 Stunde Breviergebet. Die Pfarrei mit ihren Aktivitäten war Sache der Verbände. Heute sind die Pfarrer in den Großpfarreien Geschäftsführer eines mittelgroßen Betriebes. Dabei ohne jeden Ehrgeiz, ihren Betrieb zu vergrößern. Sie haben den Beruf gewählt, um Seelsorger zu sein. Einige finden in die Rolle eines Geschäftsführers. In vielen Kommunikationstrainings konnte ich beobachten, dass die meisten die Sorge um die Großpfarrei als Last erleben. Zudem haben realistisch gesehen die deutschen Diözesen schon jetzt zu wenig Priester, die diese Großpfarreien leiten können. Die Priester müssen entlastet werden, indem Diakone u.a. die Organisation übernehmen, also Gottesdienstpläne, Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen organisieren. Die Priester sind dann frei, mit den Gruppen und am Sonntag in der zentralen Kirche zu feiern. In Kürze, wenn die Zahl der Kirchenaustritte nicht abnimmt, werden die Hauptamtlichen entdecken, dass die Gruppen, die sich selbst gebildet haben, der Boden sind, aus dem die Kirche wachsen wird. Deshalb sollten wir Hauptamtliche 2025 anfangen, in diesen Gruppen die Zukunft zu sehen.

Wie eine solche Gemeinde funktioniert, die sich selbst gebildet hat, wird Thema eines nächsten Beitrags.

Ein Kommentar von Dr. Eckhard Bieger SJ


Kategorie: Kirche

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