„Cé-li-ne! Nicht schlappmachen!“ Schrill schallt Ullas Stimme durch die ganze Halle. Ulla heißt eigentlich Claus. Er amüsiert sich köstlich über seinen schlaksigen Leidensgenossen. Der liegt halb auf seinem linken Arm und auf dem rechten Bein und versucht, auf dem Boden der Sporthalle zu balancieren. Leicht fällt diese Übung keinem der zwölf Männer, die beim wöchentlichen Training des Frankfurter Volleyball Vereins (FVV) im Gutleutviertel von ihrem Trainer in die Mangel genommen werden. Dabei zählen Konditions- und Krafttraining mindestens genauso viel wie Technik mit dem Ball, Taktik auf dem Feld und Teamgeist in der Gruppe. Céline, mit bürgerlichem Namen Philipp Ripkens, ist der einzige Heterosexuelle in der Mannschaft.
Neuer Name –neue Identität?
„Sexualität ist hier aber gar nicht so präsent wie man vielleicht denkt“, findet Trainer Manuel. „Es geht uns vor allem ums Spiel.“ Der muskulöse 25-Jährige mit kurz getrimmtem rotem Vollbart will seine Jungs auf Leistung bringen. Philipp hat das Team beim Unisport kennengelernt. Seinen Spitznamen Céline nimmt er mit Humor. „Vielen wird hier ein kreativer Frauenname verliehen“, ruft der schlanke 30-Jährige atemlos durch den Bällehagel, denn mittlerweile bombardieren ihn drei seiner Mitspieler mit Volleybällen, die er abwehren soll. Seinen Namen verdankt er Céline Dion. „Einer aus dem Team hat an Terence und Philipp aus der Serie Southpark gedacht, die aus Kanada kommen. Daher stammt auch die Sängerin Céline Dion – fertig war meine neue Identität.“ Der FVV wurde 1985 mit dem Beinamen „Frankfurts schwuler Sportverein“ gegründet und bietet von Badminton über „PositHIVsport“ und Turmspringen insgesamt 22 Sportarten an.
„Schwule und Heterosexuelle sollen sich in Zukunft mehr vermischen“
„Wir wollen jungen Leuten, die vielleicht gerade ihr Coming-out hatten, ein Umfeld bieten, in dem sie sich wohlfühlen“, erklärt Georg Novak. Der 42-Jährige ist im Vorstand des Vereins und betreut den Sportbetrieb, kümmert sich um Hallen und Sportplätze. Zwar meldeten sich vor allem Schwule für das Training an, eine abgeschlossene Schutzzone sei der Verein jedoch nicht mehr. „In Zukunft sollen sich Schwule und Heterosexuelle mehr vermischen“, hofft Novak. In den 1980er-Jahren wäre das nicht denkbar gewesen. „Da wollte sich keiner in seinem normalen Verein outen“. Als der FVV gegründet wurde, war Homosexualität tabuisiert, Aids war gerade aufgekommen, die Vorurteile gegen Schwule waren groß. Aber auch heute ist Philipp in seinem heterosexuellen Umfeld mit noch bestehenden Vorurteilen konfrontiert. „Oft werde ich gefragt, was denn da unter der Dusche passiert und wie man sich das vorstellen soll“, erzählt er. „Ich sehe es als meine Aufgabe, diese falschen Vorstellungen in meinem Bekanntenkreis zu korrigieren.“
Volleyball ist kein klassischer Männersport
Das harte Training ist inzwischen vorbei, jetzt haben sich die Spieler auf beide Seiten des Netzes verteilt und pritschen, baggern oder schlagen den Ball in die andere Hälfte. Die Schuhe quietschen über den Hallenboden, die Männer feuern sich gegenseitig an, immer wieder hört man den Schlachtruf „Main-Power!“. Gerade diese psychische Energie brauchen die Jungs. Sie spielen nämlich nicht nur europaweit gegen andere schwule Teams, sondern auch bei Turnieren der hessischen Volleyballliga, wo es gegen ‚normale‘, also heterosexuelle Vereine geht. Céline unterstützt auch dort seine schwulen Teamkameraden und steht mit auf dem Feld. Volleyball ist im Gegensatz zu Fußball kein klassischer Männersport. Trotzdem ist es für manche heterosexuelle Teams ein echtes Sakrileg, gegen „die Schwulen“ zu verlieren. „Da bekomme ich die Vorurteile zu spüren, die man als Schwuler tagtäglich abbekommt“, erklärt Céline. „Sobald ich dort mitspiele, bin ich ein Schwuler und werde auch so behandelt.“
Das Zusammenspiel zählt
Per Handschlag wird Céline jetzt ausgewechselt, steht einige Minuten am Spielfeldrand und schaut zu. Gedankenversunken zwirbelt er an seinem Bart. Mit seinen langen Armen und seiner guten Fitness ist er ein Leistungsträger in der Mannschaft, seine lockere Art und sein unverkrampfter Umgang machen ihn beliebt. Fühlt er sich trotzdem manchmal als Außenseiter, zumindest als ein andersartiger, der mit Distanz auf die Gruppe blickt? Doch schon einen Moment später klatscht ihn jemand ab - Raúl aus Peru, der sich beständig weigert, Deutsch zu sprechen, und den doch alle irgendwie verstehen - selbst der 55-jährige Hayato aus Japan. Inklusion findet hier nicht nur zwischen Heterosexuellen und Schwulen statt, davon ist Philipp Ripkens überzeugt: „Es ist egal wie der andere ist, wichtig ist, dass wir zusammen spielen.“
Matthias Alexander Schmidt
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