Anlässlich der Weltsynode 2024 haben die Online-Portale www.explizit.net und www.kath.de eine Artikelserie zum Thema "Synodalität von Kirche" gestartet.
Interview mit Prof. Agnes Wuckelt (stellvertretende Bundesvorsitzende der kfd):
1. Die Weltsynode 2024 hat am 26. Oktober ein Abschlussdokument beschlossen. Wie bewerten Sie dessen Inhalt? Was hatten Sie erwartet? Was hat sie überrascht?
Auch dieser Text ist – es war nicht anders zu erwarten – einer von denen, dessen Lektüre wenig Spaß bereitet. Weniger im Blick auf die Inhalte als auf den Sprachstil: Nur nach innen zu verstehen, selbstreflexiv und selbstreferentiell. Um das ganze „Volk Gottes“ auf den synodalen Weg (die deutsche Bezeichnung, nun definitiv adaptiert) mitnehmen zu können, bedarf es noch einiger Übersetzungsarbeit – über das Sprachliche hinaus. Es verwundert die Aussage, dass die Synodalversammlung „dankbar und froh über die Stimme so vieler Gemeinden und Gläubigen (ist), die die Kirche als einen Ort der Aufnahme, der Hoffnung und der Freude leben“ (Abschnitt 7) – denn diese Stimmen werden im Text nicht hörbar. Allerdings wird auch „die mangelnde Beteiligung so vieler Glieder des Volkes Gottes an diesem Weg der kirchlichen Erneuerung“ beklagt (Abschnitt 36). Wer im Volk Gottes ist hier im Blick?
Das „Volk Gottes“, die Kirche und die Gemeinschaft der Kirchen (Abschnitt 18) sind alle Getauften. Sie sind „missionarische Jünger“, alle und „ohne Ausnahme“ (Abschnitt 4). Dank der Taufe sind alle „Kinder Gottes“, ist jedem Menschen, Frauen und Männern, „gleichermaßen“ und „gleiche Würde“ geschenkt, werden alle zu „Brüdern und Schwestern“, sind „einander anvertraut“ und „im Heiligen Geist „der göttlichen Natur teilhaftig“. (vgl. Abschnitte 21; 22; 46; 60) Das kann gar nicht oft genug gesagt werden.
Jedoch: Die „Autorität der Hirten“ als „besondere Gabe des Geistes Christi“, vermittelt durch das Weihesakrament, bleibe gerade in einer synodalen Kirche bestehen. Die „Entscheidungskompetenz des Bischofs, des Bischofskollegiums und des Bischofs von Rom (sei) unveräußerlich“. Sie habe ihren Ursprung in der von „Christus errichteten hierarchischen Struktur der Kirche“ (Abschnitt 91). Das müsse, so wird zuvor betont, nur „in die richtige Perspektive“ gerückt werden (Abschnitt 33). Die Frage, was dann „Partizipation“, „Konsultation“ und „Beratung“ durch das „Volk Gottes“ als Bedingung dieser Entscheidungskompetenz bedeuten, solle durch Überarbeitung der kirchenrechtlichen Normen geklärt werden (Abschnitt 92). Wenn es aber offenbar der Wille Christi bzw. Gottes ist, dass… kann auch eine neue kirchenrechtliche Norm nichts daran ändern. Da wäre echter Veränderungswille gefragt. Und ein Lesen des Evangeliums als Urtext und nicht in seiner Wirkungsgeschichte würde richtige Perspektiven schaffen!
Der Text ist, gerade im ersten Teil, in der „Wir-Form“ verfasst. Nicht immer ist klar, wer „wir“ ist. Sind es die Synodenteilnehmenden, die von ihren Erfahrungen in der Generalversammlung berichten und diese reflektieren? Die Vorschläge machen und Anregungen geben? Mit „wir“ kann auch „die Kirche“ gemeint sein, die ihre „Sünden beim Namen nennt“ und um Vergebung bittet und sich schämt (Abschnitt 6). Eine Kirche, die Opfer aufnimmt und unterstützt, die sich „von ihrem Leiden berühren“ lässt, Nähe praktiziert und sie aufrichtet (Abschnitt 150). Hier wird es ambivalent – einerseits gehören alle zur Kirche, andererseits versteht sich „Kirche“ – wer ist dann gemeint? – als Gegenüber.
Gegenüber insbesondere „der Armen“, die allerdings „oft die Mehrheit der Gläubigen bilden“, von denen sie lernt, „sie als Subjekte der Evangelisierung zu betrachten“ (Abschnitt 19). Gegenüber auch von Behinderten, Kindern und Jugendlichen, denen zuzuhören sei und von denen profitiert werden kann. Damit soll zwar Wertschätzung des „Reichtums“, den sie einbringen, ausgedrückt werden, wird aber zugleich eine einseitige und vereinnahmende Sichtweise aus Perspektive der „Kirche“ deutlich. Im Blick auf behinderte Menschen wird dieses Problem erkannt: Sie machen „ihre Erfahrungen von Leid, Ausgrenzung und Diskriminierung … sogar aufgrund paternalistischer Mitleidshaltungen“ (Abschnitt 63). Diese Erkenntnis wäre dringend auszuweiten, auch im Blick auf die zu Beginn der Versammlung durchgeführte „Bußvigil“. Ziel sei eine „barmherzige Kirche“, die „fähig ist, alle an der Vergebung und Versöhnung teilhaben zu lassen“ (Abschnitt 6): Wer soll hier barmherzig wem vergeben? Wie kann Vergebung erbeten werden, ohne die Betroffenen zum zweiten oder erneuten Mal zum Opfer zu machen?
Diese und andere Fragen gehören in den dritten Teil des Textes, in dem es um „kirchliche Entscheidungsfindung, Entscheidungsprozesse und eine Kultur der Transparenz, Rechenschaftspflicht und Bewertung“ geht. Es ist wichtig im Blick zu halten, dass dabei nicht nur „technische“ Aspekte, sondern auch „theologische, biblische und spirituelle Grundlagen“ wesentlich sind (Abschnitt 80). Die Erkenntnis, dass „die Praxis der Rechenschaftspflicht gegenüber den Vorgesetzten über die Jahrhunderte hinweg beibehalten wurde“, aber „die Dimension der Rechenschaftspflicht, die die Autorität gegenüber der Gemeinschaft zu leisten hat, wiederhergestellt werden“ muss (Abschnitt 99), ist bemerkenswert, aber auch längst überfällig.
2. Sie hatten im Vorfeld der Weltsynode 2024 gesagt "Das Frauenbild der Kirche muss kritisch überprüft werden". Hat sich ihre Einschätzung nach der Synode geändert oder fühlen Sie sich bestätigt?
Der Text ist – was zu erwarten war – nicht gegendert. Doch an einigen Stellen wird von „Männern und Frauen“ (10mal) und von „Brüdern und Schwestern“ (8mal, wovon einmal die Schwestern zuerst genannt werden) gesprochen. Im Fokus steht die „Verschiedenheit“ bzw. „Differenz“ der Geschlechter, die es zu beachten gelte. Von „Frauen“ allein wird gesprochen, wo die „Sünde“ gegen sie bekannt wird (Abschnitt 6). Dem entspricht die Aussage, dass die „wiederholten Äußerungen von Schmerz und Leid von Frauen aus allen Regionen und Kontinenten, sowohl von Laien als auch von Ordensfrauen, während des Synodenprozesses zeigen“, dass „wir“ (wer ist das?) „die gleiche Würde“ von Männern und Frauen nicht respektieren (Abschnitt 52). Eine „stärkere Beteiligung von Frauen“ in Gremien sei „zu fördern“ (Abschnitt 106) und bei der Dokumentation von Berichten müsse jeweils das Geschlechterverhältnis der Beteiligten angegeben werden (Abschnitt 102).
Frauen erscheinen (mit Recht!) als diejenigen, denen Unrecht widerfährt, als diejenigen, die gefördert werden müssen. Obwohl die „Frauenfrage“ bereits weit vor der Generalversammlung im Oktober 2024 aus den Themenspektren des ersten Teils dieser Versammlung 2023 ausgegrenzt wurde, war sie durchgängig Thema. Auf vielfältige Weise und aus unterschiedlichen Richtungen wurde eingefordert, die Frage nach der Situation von Frauen in der Kirche in den Blick zu nehmen – mit dem Ziel, sie zu verbessern. Nicht nur Frauen selbst, die sich selbstbewusst und gemeinschaftlich in und am Rande der Versammlung zu Wort gemeldet haben, auch Amtsträger stimmten in diese Forderung ein.
Auf diesem Hintergrund wurde der Abschnitt 60 in das Abschlussdokument aufgenommen – zwar mit der größten Anzahl von Nein-Stimmen (97), die ein Abschnitt bei der Abstimmung erreichen konnte, aber immerhin doch mit 258 Ja-Stimmen. Er thematisiert, dass Frauen aktiv und selbstbestimmt in Geschichte und bis heute die Kirche gestaltet haben und gestalten. Herausgehoben wird
- die „herausragende Rolle vieler Frauen in der Heils- und Kirchengeschichte,
- dass Maria von Magdala „mit der ersten Verkündigung der Auferstehung betraut wurde“,
- dass Maria, die Mutter Gottes, „zusammen mit vielen anderen Frauen, die dem Herrn gefolgt waren“, am Pfingsttag anwesend war,
- dass und auf welche Weise Frauen heute bereits wohltätig, leitend, lehrend und forschend in Einrichtungen, Gemeinden, Diözesankurie und in der römischen Kurie tätig sind.
„Diese Versammlung ruft dazu auf, alle Möglichkeiten, die das geltende Recht in Bezug auf die Rolle der Frau bereits vorsieht, in vollem Umfang zu nutzen, insbesondere dort, wo sie noch nicht ausgeschöpft werden. Es gibt keinen Grund, warum Frauen keine Führungsaufgaben in der Kirche übernehmen sollten: Was vom Heiligen Geist kommt, kann nicht aufgehalten werden.
Auch die Frage des Zugangs von Frauen zum diakonischen Dienst bleibt offen. Diesbezüglich sind weitere Überlegungen erforderlich.“ Die Frage nach dem sakramentalen Diakonat der Frau ist – so der Berichterstattung zu entnehmen – mühsam abgerungen werden. Dass sie „offen bleibt“ (weil die Zeit noch nicht reif ist) und dass „weitere Überlegungen erforderlich“ seien, lässt kaum Hoffnung keimen.
Es stimmt: Die fehlende Anerkennung und Beteiligung von Frauen geht „zu Lasten des Dienstes an der gemeinsamen Sendung“ des Volkes Gottes. Dies wird jedoch von denen verschuldet, die zwar die „gleiche Würde“ von Männern und Frauen betonen, aber zugleich ihre Verschiedenheit. Und diese auch definieren. Dies spiegelt sich etwa in der Auslegung der Erzählung vom Ostermorgen (Abschnitt 13). Maria von Magdala wird „von Liebe getrieben“ und verkörpert „das Herz der Synodalität“, Petrus erhält als älterer Mann den Vortritt und weil ihm – trotz seiner Verleugnung – „die Aufgabe der Führung übertragen wurde“. Stünde nicht ihr, die als erste beim Grab ist, die als erste den Verkündigungsauftrag erhält, die Führungsrolle zu?
Unter der Perspektive des Verschiedenseins erhält jeder und jede Charismen, die „mit Demut und schöpferischer Initiative in den Dienst des Reiches Gottes zu stellen“ sind (Abschnitt 25). „Die Unterschiede in Berufung, Alter, Geschlecht, Beruf, Lebenslage und sozialer Zugehörigkeit, die in jeder christlichen Gemeinschaft vorhanden sind, bieten jedem die für die persönliche Reifung unerlässliche Begegnung mit dem Anderssein.“ (Abschnitt 34) So habe sich „das Bestreben herauskristallisiert, die Möglichkeiten der Teilnahme und der Ausübung einer differenzierten Mitverantwortung aller Getauften, Männer und Frauen, zu erweitern“ (Abschnitt 36). Allerdings: Die „Vielfalt der Gaben und Aufgaben“ sowie die „Verschiedenheit von Alter, Geschlecht und sozialer Zugehörigkeit innerhalb der Kirche sind eine Einladung an jeden Einzelnen, die eigene Parteilichkeit zu erkennen und anzunehmen, auf den Anspruch zu verzichten, im Mittelpunkt zu stehen, und sich zu öffnen, um andere Perspektiven aufzunehmen“ (Abschnitt 42). Diese Aussage spricht für sich und lässt nicht nur ahnen, wer hier verzichten und einen Perspektivwechsel vorzunehmen hat. Wir befinden uns in einer gottgewollten Struktur, die von hierarchisch-patriarchal definierter Verschiedenheit geprägt ist. Die Arbeit am Frauenbild hat noch nicht wirklich begonnen.
3. Welche Impulse erhoffen Sie sich von der Weltsynode 2024 für die kath. Kirche in Deutschland und welche Schritte zu einer synodaleren und gleichberechtigteren Kirche sollten in Deutschland auf die Weltsynode folgen?
„Der synodale Prozess endet nicht mit dem Ende der gegenwärtigen Versammlung der Bischofssynode, sondern umfasst auch die Umsetzungsphase.“ Alle Ortskirchen sind gebeten, „konkrete Wege und Ausbildungswege zu identifizieren, um eine greifbare synodale Umkehr in den verschiedenen kirchlichen Realitäten … zu bewirken. Eine Bewertung der Fortschritte in Bezug auf die Synodalität und die Beteiligung aller Getauften am Leben der Kirche sollte ebenfalls in Betracht gezogen werden. Wir schlagen vor, dass die Bischofskonferenzen und Kirchensynoden sui iuris Personen und Ressourcen bereitstellen, um den Weg des Wachstums als synodale Kirche in der Mission zu begleiten und den Kontakt mit dem Generalsekretariat der Synode aufrechtzuerhalten“. (Abschnitt 9)
Mit diesem einleitenden Text wird Wesentliches benannt. Die Weltsynode geht weiter – wie der Synodale Weg in Deutschland, dessen Mitglieder die Errichtung des Synodalen Rates beschlossen haben. Die Wege kreuzen sich, unterschiedlich und ähnlich zugleich, inhaltlich und unter zeitlicher Perspektive. Hier wird nicht nur „in Betracht gezogen“, alle Getauften zu beteiligen, hier sind Frauen und Männer im vorbereitenden Ausschuss unterwegs. Wie weitere Menschen in diesen laufenden Prozess eingebunden werden können und müssen, ist zu beraten und zu entscheiden. Die Deutsche Bischofskonferenz kann weiterhin „sui iuris“ (nach römischem Recht von der patria potestas befreit, also) eigenständig Personen benennen und Ressourcen bereitstellen, um effektive Arbeit mit dem Ziel der Transformation der Kirche zu gewährleisten. Es bleibt ihr anheimgestellt, auch Laien und Laiinnen damit zu beauftragen, den „Kontakt mit dem Generalsekretariat der Synode aufrechtzuerhalten“.
Die Beschlüsse des Synodalen Wegs, insbesondere die in den Handlungstexten beschriebenen, zeigen klare Schritte auf. Der Grundtext „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche. Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ ist dem Abschlussbericht schon einige Schritte voraus. Und der Handlungstext „Synodalität nachhaltig stärken, Ein Synodaler Rat für die katholische Kirche in Deutschland“ ebenfalls. Auch die „Einbeziehung der Gläubigen in die Bestellung des Diözesanbischofs“ ist beschlossen. Es braucht nur noch den Mut, die Ausdauer, das Beharrungsvermögen und die Überzeugungskraft zur Umsetzung, bei Laiinnen und Laien wie Bischöfen.
Es braucht aber auch die entsprechende Kommunikation in die jeweiligen Diözesen, Pastoralen Räume und Gruppen vor Ort. Vielerorts herrscht die Meinung vor, der Synodale Weg habe nichts gebracht und von „Rom“ komme sowieso nichts. Teilweise ist dies dadurch bedingt, dass der Informationsfluss aus der Synodalversammlung und den Synodalforen immer wieder stockte. „Wir verhehlen nicht, dass wir in uns selbst Ermüdung, Widerstand gegen Veränderungen“ erlebt haben, heißt es auch im Abschlussbericht der Weltsynode (Abschnitt 6). Das ist nüchtern zu betrachten und ins Wort zu bringen.
Vorschläge für eine geschlechtergerechtere Kirche finden sich ebenfalls bereits in den Beschlusstexten des Synodalen Weges: Im Grundtext „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ – von dem aus sich der Abschnitt 60 des Abschlusstextes fundiert vertiefen und erweitern lässt. Der Handlungstext „Verkündigung des Evangeliums durch beauftragte Getaufte und Gefirmte in Wort und Sakrament“ bietet weiterführende Konkretionen dessen an, was sich im Abschlussdokument findet: in vollem Umfang alle Möglichkeiten auszuschöpfen, „die das geltende Recht in Bezug auf die Rolle der Frau bereits vorsieht“.
Es ist darauf hinzuarbeiten, dass liturgische Bücher unter Geschlechterperspektive überarbeitet werden und die Leseordnung auf den Prüfstand gestellt wird. Eine spezielle Studiengruppe könnte (nicht nur im Vatikan) überdenken, „wie die liturgischen Feiern die Synodalität besser zum Ausdruck bringen können; sie könnte sich auch mit der Predigt im Rahmen der liturgischen Feiern … befassen.“ (Abschnitt 27) Auf diese Weise kann auch in den Gemeinden ein Bewusstsein „für die Frauenfrage“ geschaffen oder verstärkt werden.
Und ein Letztes: Es braucht die Bereitschaft von Frauen, auf allen Ebenen und in allen Gremien der Kirche mitzuarbeiten, ihre Kompetenzen einzubringen. Sie müssen Rechenschaft von denen einfordern, auf deren Seite immer noch die letztgültige Entscheidungsmacht liegt, ob ihre Bereitschaft und ihre Berufung wahr- und aufgenommen werden. Nicht der Zugang, sondern die Verweigerung des Zugangs ist begründungspflichtig!
Das Interview führte Christian Schnaubelt - Chefredakteur und Herausgeber von kath.de.
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