Wenn der doch noch gewählte Thüringer Ministerpräsident seinem Gegenkandidaten den Handschlag verweigert, frage ich mich: Reicht eine solche Geste oder hat der wiedergewählte Ministerpräsident eine Antwort auf die Frage, warum fast ein Viertel der Thüringer eine Protestpartei gewählt hat.
Eine Stimme für die AfD sagt nicht, dass damit die anti-parlamentarische Agenda des Thüringer Vorsitzenden geteilt wird. Sie ist nur Ausdruck einer Ablehnung der anderen Parteien. Jedoch ist zu beobachten, dass Thüringen Ideengeber der wieder erwachten NS-Ideologie beherbergt (Götz Kubitschek, Thorsten Heise und Tommy Frenck). Ein verweigerter Handschlag reicht da nicht, um dieses Ideengut zu neutralisieren. Man würde gerne erfahren, wie die neue Regierung auf die tiefe Unzufriedenheit von 22% der Thüringer mit der bisherigen Politik ist.
Der Handschlag ist wichtiger als das Programm der neuen Regierung
Die Verweigerung des Handschlags ist das Thema der Nachrichten geworden. Das bringt Zustimmung bei denen, die eine scharfe Abgrenzung von der AfD gutheißen. Aber was werden die Wähler dieser Partei von der Geste halten? Was doch mehr interessieren würde, wäre eine Politik des Ministerpräsidenten, die das Wählerpotential der AfD nicht weiter vergrößert, sondern verkleinert. Es ist auch offensichtlich so, dass Protestwähler, die früher die PDS gewählt haben, zur AfD übergelaufen sind. Das sind Parteigänger der SED gewesen, die die vom Westen importierten und von der Mehrheit gewünschten politischen Strukturen ablehnen. Die Reaktion der Parteien deuten auf eine positive Einflussnahme der AfD-Wähler hin. In die Politik der Neuen Bundesländer ist Bewegung gekommen. Die Wähler der AfD haben, so Beobachter der Verhältnisse, die Parteien zum Handeln gebracht. Was für Sachsen die Leuchtturm-Politik war, nämlich Dresden, Leipzig, Chemnitz massiv zu fördern und die Mittelstädte und Dörfer sich selbst zu überlassen, scheint auch in Thüringen die Protestwähler der AfD in die Hände getrieben zu haben. In diesem Bundesland heißen die Städte Erfurt, Weimar und Jena. Die Unzufriedenheit und die Untätigkeit der Politik haben viele Nicht-Wähler, die sich durch die Behäbigkeit der Mandatsträger provoziert fühlten, an die Urne zurückgeführt
Höckes gab es schon die ganzen Jahre
Die Parteien machen es sich zu einfach, wenn sie die Köpfe der AfD angreifen. Die Positionen der AfD-Größen wurden doch über all die Jahre schon vertreten, es gab die DVU, die Republikaner, die NPD. Manchmal konnten sie Wähler auf sich ziehen, es gab jedes Mal besorgte Stimmen, aber dass ein Vertreter, der am rechten Rand der AfD agiert, so lange lächelnd im Fernsehen gezeigt wurde, ist eine neue Dimension. Erst erfolgte der elementare Fehler des zweitägigen Ministerpräsidenten Kemmerich, der nicht so viel Vorausschau entwickeln konnte, um mit einem solchen Schachzug der AfD zu rechnen, danach setzte sich der strategielose Umgang mit der AfD fort. Der Ministerpräsident muss ein überzeugendes Programm dagegen setzen, sonst wird bei der nächsten Wahl die AfD stärkste Partei und hat damit Erstanspruch auf den Posten des Ministerpräsidenten. Ramelow wird kaum Höcke zur parlamentarischen Demokratie bekehren, aber er an ihm ist es, dass Höcke für weniger Thüringer wählbar bleibt.
Das bedenkliche Erbe der SED: Rebellion der Jugend und Skinheads
Die Vorläuferpartei der Linken erklärte den DDR-Staat als antifaschistisch. Es trifft zu, dass die Kommunisten von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, jedoch fanden, wie in der westlichen Bundesrepublik, ehemalige Nationalsozialisten Unterschlupf im neuen Staatsapparat. Es gab aber eine andere, fatale Dynamik, die im Westen kaum bekannt ist: Pro-Nazi-Parolen und Hakenkreuze wurden zum besten Mittel, gegen den kommunistischen Staat zu rebellieren. Die beste Strategie, einen Schul-Rektor schachmatt zu setzen, war, ein Hakenkreuz in die Klotür zu malen. Der Schüler konnte sicher sein, dass dem Rektor vorgehalten wurde, wie so etwas an seiner Schule möglich sei. Dann gab es vor der Wende eine Duldung der Skinheads durch die SED. Die längst obsolet gewordene Popper-Szene war den Parteioberen ein Dorn im Auge, weil diese Bewegung nicht nur vom Westen importiert worden war, sondern auch sich bourgeois zeigte. Deshalb wurde den Skinheads erlaubt, die Popper zu verprügeln. Ebenso waren die Die Weitergabe dieses Gedankengutes müsste genauer untersucht werden.
Die Linke täte gut daran, den Ursachen auf die Spur zu kommen. Höcke ist ein Kristallisationspunkt, aber warum gewinnt er so viele Wähler, dass er Vorsitzende der zweitgrößten Fraktion werden konnte. Denn für die Mentalitäten, die sich in der ehemaligen DDR gebildet haben, benennen machen die Linke eher als Verursacher als Verteidiger der Demokratie.
Ein Kommentar von Eckhard Bieger SJ
Thüringen: Ein verweigerter Handschlag reicht nicht aus
Kategorie:
Politik
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