Beter vor der Universität, Amiens, Kathedrale Foto. E.B.

Theologie: gebets-neutral

Die Wissenschaft von Gott forscht und bildet aus. Sie erforscht die Schriften, deutet die religiösen Darstellungen, analysiert die Riten und erklärt, wie gebetet wurde. Eigentlich müsste das zu einem intensiveren Gebet, zu mehr Gottesdienstbesuchern, zu einem intensiveren religiösen Leben führen Doch die Zahl der Gottesdienstbesucher geht weiter zurück, die mittlere Generation und noch mehr die Jüngeren werden nicht mehr gewonnen. Woran kann es liegen, dass die Theologie so wenig Gebets-produktiv ist.

Das Ergebnis eines kleinen Symposions klingt einfach, ist es aber nicht:
Die Beter nehmen einen ganz anderen Blick als die Theologie ein. Sie beginnen von innen, bringen ihre Person ins Spiel, indem sie sich auf etwas Größeres, einen Größeren hin orientieren. Beten hat zwar die Themen der Theologie, es funktioniert aber anders. Zudem ist die Theologie zu einer Wissenschaft im neuzeitlichen Sinn geworden, die „wissenschaftlich“ auf das religiöse Leben blickt, vor allem, wie es sich schriftlich niedergeschlagen hat.

Die frühe Theologie hat beim inneren Menschen begonnen

Das Beten kommt von innen her, es bildet sich aus der Person heraus. Auch in den formulierten Gebeten, so in den Psalmen, betet das Ich, noch mehr im frei gesprochenen und nur schweigend ausgedrückten Sprechen zu Gott hin.  Die Theologie dagegen blickt von außen auf das Religiöse bis dahin, dass sie die Organisation der religiösen Institutionen und ihr Rechtssystem darstellt. Den Unterschied zwischen der Theologie und dem Beten hat schon der alexandrinische Bischof Athanasius herausgestellt. Theo Kobusch schreibt über die von Athanasius verfasste Biographie des Mönchvaters Antonius: „Antonius sieht die Überlegenheit des Glaubens gegenüber dem Beweis in der Entstehungsweise begründet: Der Glaube kommt aus dem Innersten der Seele, der Beweis aber (oder „die Dialektik“) verdankt sich der Kunst der ihn Zusammenstellenden. Der Glaube ist die innerlich angenommene Überzeugung von der Sache, der Beweis ein von außen an die Sache herangetragenes Wissen, das zum Erfassen der Wahrheit, wie Antonius betont, nicht unbedingt notwendig ist.“  Selbstwerdung und Personalität, S. 124f, dort auch die Fundstellen bei Athanasius

Die Theologie hält den Schwund des Betens nicht auf

Im Blick auf das reale Beten muss man konstatieren, dass es ständig zurückgeht. Nicht nur kommen weniger Christen zu den Gottesdiensten, das persönliche Gebet hat kaum noch seinen selbstverständlichen Platz im Tagesablauf.
Geht man davon aus, dass Beten genauso wie Rechnen und der schriftliche Ausdruck trainiert werden müssen, dann ist die Frage, was die Religionslehrer und - Lehrerinnen, die Seelsorger und Seelsorgerinnen in ihrer Ausbildung mitbekommen. Setzt man mit der Frage am faktischen Religionsunterricht an, kann man von da aus die Leistung der theologischen Ausbildung besser einschätzen.

Unterricht:  Einübung ins Religiöse oder Theologie im Taschenformat

Im Vergleich zwischen Religions- und Mathematikunterricht wird ein gravierender Unterschied deutlich: im Mathematikunterricht lernt man Rechnen, weil man das später braucht, vor allem in den technischen und kaufmännischen Berufen. Entsprechend der Entwicklung der Computer sollte auch das Programmieren und zumindest die Handhabung von HTML „trainiert“ werden. Anders der Religionsunterricht. Dieser ist kaum anwendungsorientiert, sondern gleicht dem Kunstunterricht. Man lernt in diesem Fach nicht Malen, Zeichnen, Gestalten, sondern analysiert Kunstwerke. Es ist ein gravierender Unterschied, ob man Flöte spielen oder ein Flötenkonzert analysieren lernt.
Könnte es nicht sein, dass derjenige, der Flöte spielen gelernt hat, sehr viel leichter ein Flötenkonzert interpretieren kann. Im Religionsunterricht war das auch so, dass vergleichsweise das Flötenspiel gelernt wurde. Da wurden Gebete und Lieder gelernt und eingeübt. Diese Fähigkeiten waren dann in den verschiedenen Gottesdiensten und im persönlichen Beten gefragt. Wie Liederbücher das Singen unterstützen, so Gebetbücher das Beten. Da inzwischen die Gebetbücher in der Kirche liegen, unterstützen sie auch nicht mehr das Beten zu Hause.

Theologie kommt nicht zur Praxis

Wie es der Taschenbuchausgabe der Theologie, nämlich dem Religionsunterricht es zu wenig gelingt, eine Gebetspraxis zu vermitteln, so auch offensichtlich der Theologie nicht. Woran liegt das, kann die Theologie doch zeigen, dass das Gebet notwendig dazu gehört. Von religiösen Protagonisten, ob Moses oder Mohammed wird berichtet, dass das Beten einen festen Platz in ihrem Leben hatte. Die Evangelien erwähnen das intensive Beten Jesu. In der Bibel finden sich nicht nur die 150 Psalmengebete, sondern viele Hymnen, die Klagelieder und das auf Jesus zurückgehende Vaterunser.
Es ist der Graben zwischen Religionswissenschaft und persönlichem Glauben. Versteht sich die Theologie als Lehre über die Religion, dann nimmt sie die Position des Beobachters ein. Beginnt sie bei der persönlichen Beziehung des einzelnen zu Gott, dann müsste sie mit dem Gebet beginnen und dem einzelnen dann ermöglichen, für die Beziehung zu Gott einen größeren Rahmen zu gewinnen. Sie würde dann zu dem Theologiebegriff der ersten christlichen Generationen zurückkehren, die das religiöse Leben als Formung der Persönlichkeit verstanden. Es blieb nicht bei der Theorie, sondern die Lehre wurde als Anleitung zum richtigen Leben gesehen. Orientiert an der Person Jesu und der Heiligen wurde zu einem tieferen Verständnis des Lebens hingeführt, nicht zuletzt dadurch, dass Schuld und Erlösung thematisiert wurden. Das führte zu großen theologischen Werken, ob bei Basilius oder Augustinus. Es ging aber immer darum, dass sich der Mensch entwickeln kann. Das war auch der innere Drehpunkt der Philosophie. Diese wurde nicht als Theorie verstanden, sondern als geistige Beschäftigung zur Herausbildung der eigenen Person. "Selbstwerdung und Person" titelt Theo Kobusch seine Darstellung der spätantiken wie der beginnenden christlichen Philosophie.

Fragt Theologie nach Persönlichkeitsentwicklung?

Geht es der "real existierenden" theologischen Ausbildung um Entwicklung ihrer Hörer? Oder ist nicht dieses Fach durch so viele Reformschritte gegangen, dass am Ende nur noch Wissen abgefragt wird. Als Teil der Geisteswissenschaften ist die Theologie wie die meisten anderen Fächer nicht beim Verstehen, sondern bei einer Abfrage von Wissen angekommen. Prüfungen können durch Auswendiglernen bestanden werden, die möglichst wortgetreue Wiedergabe einer Vorlesung gilt für Studierende als Weg zur guten Note. Es gibt ein einfaches Indiz, ob aus Studierenden Theologen und Theologinnen geworden sind. Können Sie selbständig theologisch denken, d.h. dann predigen und fortbilden, so dass sie nicht nur Lexikonwissen weitergeben, sondernde die Personwerdung ihrer Schüler bzw. Seminarteilnehmer im Blick haben? Lesen die Absolventen theologische Bücher, weil sie in ihrer Praxis weiterkommen wollen. Diskutieren sie überhaupt theologische Themen? Die gleichen Fragen könnte man an das Philosophiestudium stellen.

Die Überlegungen sind in dem ökumenischen Kreis entwickelt worden, der der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Gebet mehr Raum in den Kirchen zu eröffnen sucht.


Kategorie: Kirche

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