Foto Weltsynode 2024: Christian Schnaubelt / kath.de

Synodalität und Alleinentscheider

Synodal angelegte Entscheidungsprozesse sollen alle einbeziehen. Da die Mehrheit nicht die Minderheit überstimmt, produziert Synodalität aus sich heraus keine Opposition. Ist dann alles klar? Oder brauchen die Katholiken dann überhaupt einen allein bestimmenden Papst bzw. Bischof? Ein Einordnung aus jesuitischer Sicht.

Ich schreibe als Mitglied des Jesuitenordens. Der Gründer, Ignatius von Loyola, hat die Entscheidung durch nur einen Verantwortungsträger in der Ordensregel festgelegt. Auch in der Achtundsechziger-Phase wurde diese Leitungsstruktur nicht infrage gestellt. Der jeweilige Verantwortungsträger muss sich beraten, bevor er eine Entscheidung trifft. Anschließend hat Papst das Dokument über Synodalität, das nach dreijähriger Beratung im Oktober 2024 von einer weltweit zusammengesetzten Synode verabschiedet worden ist, in Kraft gesetzt. Es entspricht den Kompetenzen, die dem Papst wie den Bischöfen bisher schon übertragen wurden. Warum hält sich die Praxis, dass ein Beschluss erst verbindlich wird, wenn ein Einzelner es unterschrieben hat?

1. Damit eine Entscheidung umgesetzt wird, braucht es einen Amtsträger mit Kompetenzen. Wir Jesuiten wünschen uns einen Provinzial, der entscheidet. Dieser hat die Funktion ähnlich einem Bischof. Der Verantwortliche für eine örtliche Gemeinschaft soll das gerade nicht sein, sondern nur die Entscheidung treffen, die die Mitglieder wollen. Meist entscheidet nicht der Superior, sondern einige durchsetzungsfähige Mitglieder. Deren Entscheidungen sind meist negativ. "Das machen wir nicht." Ein anderes Beispiel: Dass es einen Letztentscheider braucht, zeigt sich am deutschen “Synodalen Weg“. Dieser hat mehrere Dokumente verabschiedet, die aber Papier geblieben sind. Das führt zu einem weiteren Gesichtspunkt.

2. Der Wille zur Umsetzung: Am synodalen Weg ist auch ablesbar, dass Beschlüsse nicht ernst genommen werden, wenn keine Autorität sichtbar ist, die befugt und kraftvoll ist, die Entscheidung auch durchzusetzen. Da der Vorsitzende einer Bischofskonferenz keine Weisungsbefugnis gegenüber anderen Bischöfen hat, bleibt ein Beschluss wirkungslos, wenn einzelne Bischöfe dagegen opponieren. 

3. Eine einzige Leitungskraft hat einen Überblick über das Ganze: Der Papst und der Präsident mit vielen Kompetenzen, wie in den USA oder Frankreich, kennen die größeren Zusammenhänge. Der Papst nicht nur, weil jeder Bischof alle 5 Jahre mit den anderen eines Landes nach Rom kommen muss, sondern weil die schwierigen Probleme und Konflikte meist auf seinem Schreibtisch landen. 

4. Wer den größeren Überblick hat, kann die Risiken einer Entscheidung abschätzen. Er oder sie spürt normalerweise eine größere Verantwortung für den Zusammenhalt, während regionale Verantwortliche eher darauf schauen, welche Konsequenzen eine Entscheidung für ihren Bereich hat. Der für das Ganze Verantwortliche hat aus seiner Rolle heraus eher den Blick für das Ganze.  

5. Eine starke Leitung ermöglicht mehr Binnendifferenzierung. Das ist bereits an den verschiedenen Orden in der Katholischen Kirche ablesbar. Franziskanisch ist sehr anders als benediktinisch. ignatianisch anders als dominikanisch. 

6. Päpste haben auch intensiver und breiter die Mission gefördert. Ohne das Papsttum wäre die Katholische Kirche nicht weltweit präsent. 

Die Risiken dieses Leitungsmodells sind aus der Geschichte ablesbar

Immer wieder nutzen Präsidenten mit großen Befugnissen die Polizei und den Geheimdienst dafür, ihre Wiederwahl zu erzwingen. Weil die zentrale Person die entscheidenden Posten besetzt, kann sie ihre Macht befestigen. Das gilt auch für den Papst. Er kann nicht nur Bischöfe einsetzen, sondern auch das Kardinalskollegium auswählen, welches dann seinen Nachfolger wählt. Da er jedoch über keine Polizei verfügt, die weltweit ein Durchgriffsrecht ausüben könnte, sind seine Mittel im Vergleich zu einem Präsidenten begrenzt. Ein Spitzelsystem kann er allerdings aufbauen, das gab es unter Pius X. 
Ein weiteres Korrektiv ist die Zustimmung der Gläubigen. Päpstliche Macht bleibt dem jeweiligen Amtsinhaber so lange sicher, als die Gläubigen papsttreu sind. Luther konnte eine selbstverschuldete Schwäche regierender Päpste nutzen, um eine eigene Kirche zu gründen. Allerdings konnte er seine Gründung nicht stabil halten. Da er die Monopolstellung des obersten Verantwortlichen infrage gestellt hatte, konnte er diese für seine Gründung nicht etablieren. Schon im 16. Jahrhundert kam es zu weiteren Kirchenspaltungen innerhalb der protestantischen Christenheit, nicht in der römischen Kirche. Anders als Calvin hat Luther die mühsam erkämpfte Distanz zu den Staaten aufgegeben, indem er die Fürsten auch zu Kirchenpräsidenten machte. An der Distanz zu den jeweils politisch Herrschenden haben regionale Kirchenführer weniger Interesse, weil ihre Wahl nicht „von Gnaden“ eines Papstes, sondern durch das Staatsoberhaupt bestimmt wird. Dieses Dilemma löste sich erst durch die parlamentarische Demokratie auf. 

Die Risiken eines Herrschaftsmonopols können durch Aufteilung der Kompetenzen entschärft werden. Das fordern deutsche Katholiken seit Jahrzehnten durch das Stichwort „Demokratisierung der Kirche“. Allerdings muss man mit diesem Modell andere Risiken in Kauf nehmen. Kollegien haben nur so lange Einfluss, wie sie nicht zerstritten sind. Das gilt nach der Einschätzung ausländischer Beobachter für die deutsche Bischofskonferenz. Ohne Einmannleitung ist der Blick für das Ganze meist nicht ausgeprägt genug. Von außen wird die Institution leicht als wenig geschlossen wahrgenommen, wenn mehrere verbindlich für das Ganze sprechen. Diese Konzentration auf eine Person macht die Institution, den Verband, die Partei auch angreifbarer. Das zeigt sich in der Missbrauchsdebatte. In der Katholischen Kirche trägt der Bischof die Verantwortung. Die Evangelischen Landeskirchen bieten weniger Angriffsfläche, weil nicht deutlich ist, wer in solchen prekären Fragen hätte eingreifen müssen.

Parlamentarische Demokratien wie die USA und Frankreich übertragen dem Präsidenten große Kompetenzen. Sobald ein solcher Vorsitzender Weisungsrecht gegenüber Kollegen und Kollegien hat, entstehen ähnliche Risiken wie bei dem Einmannprinzip.

Das Abwägen des Pro und Contra zeigt, dass kein System garantiert, dass die Macht so begrenzt werden kann, dass die Verfassung wie die Regelungen, die Gründer festgelegt haben, wirksam bleiben. Gerade die übertragene Macht bietet die Möglichkeit, die vorgegebenen Grenzen, die die Verfassung zieht, zu missachten.  Um den Machtmissbrauch zu wehren, ist die Ethik notwendig. In beiden Systemen menschelt es. In beiden kommt es auf die Integrität des Amtsträgers an. 

Eckhard Bieger S.J.


Kategorie: Kirche

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