Foto: ZdK / Peter Bongard

Söding: "Kirchen sind in der Pflicht ihre Stimme zu erheben"

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner hat sich in einem Interview bei Domradio.de dafür ausgesprochen, dass sich Kirchen nicht mehr zu allen gesellschaftlichen Fragen äußern sollen. explizit.net und kath.de befragten dazu den Theologen Prof. Thomas Söding, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK).

1. Herr Prof. Söding, die neue Bundestagspräsidentin Klöckner hat sich in einem Interview bei Domradio.de dafür ausgesprochen, dass sich Kirchen nicht mehr zu allen gesellschaftlichen Fragen äußern sollen? Wie bewerten Sie diese Aussage aus Ihrer theologischen Sicht? 

Die Kirchen sind dafür da, den Glauben an Gott zu bekennen, die Liebe zum Nächsten zu üben und die Hoffnung auf Erlösung zu wecken. Das ist nicht nur privat, es ist auch politisch. Der Schutz des menschlichen Lebens, gerade am Anfang und Ende, ist das eine. Aber in Sachen Krieg und Frieden, beim gesellschaftlichen Zusammenhalt, bei der Solidarität mit den Armen, bei der Bildungsgerechtigkeit und Gesundheitsfürsorge, beim Kampf um die Bewahrung der Schöpfung und bei der Übernahme globaler Verantwortung sind die Kirchen gleichfalls gefragt. Es ist ihre Pflicht, die Stimme zu erheben. Sie müssen dann Kritik vertragen – aber die Politik muss sich auch Kritik von den Kirchen gefallen lassen. Hauptsache, dass die echten Probleme präzise benannt und so gut gelöst werden, wie es geht.

2. Sie engagieren sich im Präsidium des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Worauf sollte sich Ihrer Meinung nach das ZdK bei gesellschaftspolitischen Fragen konzentrieren? Welche Bedeutung haben gesellschaftspolitische Stellungnahmen für das ZdK?

Das ZdK hat einen politischen Auftrag und nimmt ihn wahr. Katholische Lobbyarbeit wäre zu wenig. Das ZdK vertritt in Berlin nicht Spezialinteressen der Kirchen, sondern setzt sich für das christliche Menschenbild ein, für Solidarität und Subsidiarität, für Nachhaltigkeit. Es macht die Prinzipien christlicher Ethik gerade dann geltend, wenn es um reine Interessenspolitik gehen soll. Aber das ZdK achtet auch die Mühen der Ebene, die Suche nach Kompromissen, die Konzentration auf das Machbare. Es reicht nicht, nur die berechtigten Interessen einzelner Gruppen zu verstärken, der Blick aufs Ganze muss geöffnet bleiben, auf andere Interessen und andere Gruppen, auf Risiken und Nebenwirkungen, auf neue Ideen und vergessene Traditionen. Komplexe Herausforderungen brauchen differenzierte Antworten. Minderheitenschutz braucht Mehrheiten. Politik braucht Ethik. Hier muss das ZdK weiter liefern. 

3. Seit der Migrationsdebatte konnte das Verhältnis zwischen CDU / CSU sowie den Kirchen und kirchlichen Verbänden durchaus als "angespannt" beschrieben werden. Erwarten Sie durch die zukünftige "Groko" - Bundesregierung eine Veränderung im Verhältnis zwischen Kirchen und Politik gegenüber der vorherigen "Ampel" - Koalition? 

Vieles, was im Koalitionsvertrag steht (und nicht steht), begrüßt das ZdK: die weitere Unterstützung der Ukraine, den Aufbau europäischer Selbstverteidigungsfähigkeit, das Bekenntnis zu einer wertebasierten Außenpolitik, die Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft, die Wahrung des gesellschaftlichen Friedens in der Abtreibungsfrage. Beim Thema Migration hat es immer schon zwischen Kirche und Regierung gehakt. Der Koalitionsvertrag zwischen der Union und der SPD sieht, dass soziale und politische Fluchtursachen in den Heimatländern bekämpft werden müssen. Dass das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit unabhängig bleibt, ist eine gute, dass sein Etat gekürzt werden soll, eine schlechte Nachricht. Das Ende aller freiwilligen Aufnahmeprogramme und das Aussetzen des Familiennachzugs sind Kurzschlüsse. Wie wichtig internationale Klimapolitik ist, auch im Blick auf Migrationsursachen, wird nicht klar genug. Deutschland braucht qualifizierte Einwanderung, Deutschland braucht auch die Qualifizierung von Geflüchteten. Deutschland braucht, mitten in Europa, Grenzen, die das Land nicht abschotten, sondern sicherer machen. Das ZdK setzt sich für die Geltung der Menschenrechte, für die Beibehaltung des Asylrechts, für revisionsfeste Verfahren und für europäische Lösungen ein, die nicht nur auf dem Papier stehen.

Das Interview führte Christian Schnaubelt, Chefredakteur und Herausgeber von explizit.net und kath.de.

Hinweis: Das Interview von Julia Klöckner bei Domradio.de kann hier nachgelesen werden:
https://www.domradio.de/artikel/bundestagspraesidentin-kloeckner-wuenscht-sich-starke-kirchliche-stimme 


Kategorie: Kirche

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