Es finden sich „wunderschöne“ Beschreibungen sexueller Intimität. Sexualität, auch in homosexuellen Partnerschaften gelebt, bereichert das Leben. In Amoris Laetitia, Freude an der Liebe, den Ergebnissen einer Vatikansynode über die Familie, war das schon alles gesagt. Der deutsche Synodale Weg war aber nicht zu dem schönen Thema "Familie" angetreten, sondern um den Sexuellen Missbrauch aufzuarbeiten. Das Thema scheint in Nebensätzen versteckt. Es wäre nach den euphorischen Beschreibungen gelebter Sexualität auch schwierig gewesen, auf den Missbrauch, nicht nur von Priestern, einzugehen. Auch die MeToo-Bewegung hat die Versammlung nicht aufhorchen lassen
Sexualität als Unterwerfung und Erpressung
Das Papier liest sich so, als sei Sexualität etwas, das das Leben einfach schöner macht. Diese Selbsttäuschung gelingt dem Synodalen Weg aber nur dadurch, dass der Missbrauch als Machtmissbrauch entsexualisiert wird. Damit entgeht die Versammlung dem, was in Kriegen, in Gefängnissen und von Männergruppen ausgeheckt wird: Vergewaltigung als Unterwerfung. Es ist doch fast jeden Tag davon in der Zeitung zu lesen. Als hätte es keine Me-too Bewegung gegeben, sind auch die "Affären" um das berufliche Fortkommen etwas, was unter Katholiken nicht vorkommt. Der Synodale Wegverfällt in das Muster, das früher den Sexuellen Missbrauch durch Priester „ungeschehen“ machte, weil ja Priester so etwas nicht machen. Und wenn sie übergriffig werden, dann nur aus Macht- und nicht aus sexuellem Antrieb. Aber was ist mit dem Wunsch nach Intimität, der für Erwachsene als leitendes Motiv beschrieben wird? Wie hängt dieser Wunsch mit Sexualität zusammen. Oder, so scheint mir nach Lektüre der 32 Seiten, sei dies ohne Sexualität nicht möglich. Und was mit der biologischen Tatsache, dass Männer anders fühlen und handeln als Frauen und fast nur Frauen Opfer von Vergewaltigung, also von sexueller Gewalt werden.
Erbreste der Evolution
Sexualität gibt es nicht erst mit dem Auftreten des Homo Sapiens, vielmehr bringt der Mensch diese Beziehungsform von seinen tierischen Vorfahren mit. Da wird sie, mehr als beim Menschen, durch ihre Funktion für die Fortpflanzung gesteuert. Das war die und ist vielleicht noch die Sicht des kirchlichen Lehramts. Nach den Selektionsmechanismen der Evolution wählen die Weibchen diejenigen männlichen Tiere aus, die einen überlebensfähigen Nachwuchs versprechen. Dafür müssen die Männchen ständig zur Paarung fähig sein, die Weibchen jedoch nicht. Das führt bei den meisten verwandten im Tierreich zu einer ständigen sexuellen Bereitschaft der männlichen Tiere. Diese, auf Fortpflanzung zielende biologische Disposition, ist auch zwischen den Geschlechtern des Homo Sapiens noch wirksam und verlangt eine unterschiedliche, moralisch fundierte Orientierung einmal für Männer und zum anderen für Frauen. Im Berichtsspiegel des Gebetbuches stand die für mich als Kind unverständliche Frage an die Frauen: "Habe ich mich meinem Mann verweigert?" Das war realistischer als die wattierte Annäherung des Synodalen Weges an die Biologie der Sexualität. Wegen seiner verklärten Sicht dieser Biologie findet der Synodale Weg auch keinen Zugang zum moralisch gebotenen Verhalten, das nicht zur gewaltsamen Durchsetzung des biologisch angelegten Triebes, sondern zu der erhofften Intimität führt.
Der Unterbau des synodalen Menschenbildes ist biologisch überholt
Im Papier ist von Personwürde, dem gegenseitigen Einverständnis, der Zärtlichkeit, der Autonomie und der aus ihr abzuleitenden sexuellen Selbstbestimmung die Rede. Wie kommen aber Heranwachsende zu dieser Sexualität? Wie Wohnen, Essen, Arbeiten und sich erholen wird auch die menschliche Sexualität kaum durch Instinkte gesteuert, sondern der kulturellen Gestaltung durch den Menschen überantwortet. Deshalb kann die Sexualität des Homo Sapiens, anders als bei Tieren, so verschiedene Formen annehmen. Anders der Synodale Weg. Für ihn gestaltet die Sexualität die Beziehung. Das wurde dem Autor an folgendem Satz über zölibatär lebende Menschen deutlich:
Der Synodale Weg stellt lapidar fest, dass Menschen, vor allem die Priester, wegen des Verzichts auf Sexualität “Nachhilfe“ in Beziehungsfähigkeit“ brauchen. Hier die Nr. A 5.4 des Papiers:
„Dass zölibatär lebende Menschen auf Partner- und Elternschaft bewusst verzichten, darf nicht zu einem Verlust ihrer Beziehungsfähigkeit führen. Insofern sie ihre Lebensform in den Dienst des Reiches Gottes stellen, wollen sie ein eigenes Zeugnis von der Liebesfähigkeit Gottes geben. Das stellt sie aber zugleich unter die dauernde Herausforderung, einen Umgang mit ihrer eigenen Sexualität zu entwickeln, der sie positiv integriert und die eigene Intimität nicht verleugnet oder verkümmern lässt. Deshalb kommt es darauf an, dass auch zölibatär lebende Menschen die kostbaren Lebensgüter verantwortlich und respektvoll entfalten, die in Kommunikationsfähigkeit, Freundschaft und Liebe, Freude und Geborgenheit, Lust und Sinnlichkeit lebendig zum Ausdruck kommen.“
Für sich genommen lesen sich diese Zeilen wie selbstverständlich. Im Gesamt des Dokuments jedoch wird das Menschenbild, das der Beschreibung der Sexualität zugrunde liegt, deutlich: Wer sie nicht praktiziert, stellt seine Beziehungsfähigkeit infrage. Was ist dann mit den 50% Singles in Großstädten. Da sind doch Viele aus einer Beziehung ausgestiegen. Und war die Kirche früher nicht ein Ort, wo sich die vielen Ledigen trafen, die aus wirtschaftlichen Gründen nicht heiraten konnten, z.B. die Dienstmädchen in den gutbürgerlichen Haushalten, auch noch einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Offensichtlich hat sich auch mit Zustimmung der Bischöfe das Leitbild für Ordensleute und zölibatär lebende Priester verschoben. Ich hatte immer gedacht, dass die Beziehung zu Gott intensiviert wird und von daher die Entwicklung der Beziehungsfähigkeit gelingen soll. Nun braucht es offensichtlich nicht mehr die Besinnung auf Ratschläge Jesu, der nicht nur feststellt, dass manche Menschen zur Ehe nicht fähig sind, sondern auch das ehelose Leben empfiehlt:
„Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht und manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es.“ Mt. 19,12
Sexualität verliert Bindekraft, Freundschaft braucht sie nicht
Für mich sind die Zeilen Ausdruck einer Überheblichkeit. Trifft denn auf alle Partnerschaften zu, dass sie aus gelingender Sexualität in einer lebendigen Beziehung leben? Wie erklärt der Synodale Weg die große Zahl der Scheidungen? Offensichtlich ist es nicht die praktizierte Sexualität, die eine langfristige Partnerschaft gelingen lässt. Oder welche Therapeuten setzten nicht an der Kommunikation an. Nur weil die Kommunikation den Menschen in der Partnerschaft wachsen lässt, kann Zölibat und Single-Sein gelingen. So entscheidend die Sexualität am Anfang gewesen ist, sie verliert im Laufe der Jahre ihre Bindungskraft. Wieso sind Freundschaften mit hoher Intensität möglich, wenn Sexualität den Stellenwert für gelingende Beziehungen haben soll, den die Versammlung ihr zuschreibt.
Hier liegt dann die biologische Fehldeutung des Menschen, die mit einem christlichen Menschenbild nichts mehr zu tun hat und den nachfolgenden Generationen eine fatale Fehlorientierung vermittelt.
Das christliche Menschenbild geht vom Vorrang des Geistigen aus. Für die Sexualität beutet das, dass sie die Kommunikation braucht, um eine menschliche zu werden, die nicht nur der Fortpflanzung dient. Entscheidend ist dann das, was die Kommunikation wie die Sexualität bestimmt, nämlich ob sich Akzeptanz verwirklicht, sei es für die Sicht der Dinge, die der andere vertritt oder in der sexuellen Begegnung. Wie die Kommunikation ist die Sexualität nur durch die Wertvorstellungen der Teilnehmenden davor gesichert, in Manipulation, Unterwerfung, Zwang, Gewalt umzuschlagen. Der Vorrang des Geistigen kann nicht mehr so gesehen werden, dass es eine Instanz gibt, die von außen auf das Biologische einwirkt. Das wurde früher, nicht zuletzt vom kirchlichen Lehramt, so formuliert, so als würden abstrakte Moralvorstellungen die Hormone steuern. Wir wollen das Ineinander von Geistigem und Leiblichem leben. Dafür bieten neue Forschungsergebnisse erste Anhaltpunkte. Diese bestätigen das Menschenbild der Bibel. Die Menschwerdung des Sohnes Gottes ist ja nur denkbar, wenn der Körper nicht bloß ein Anhängsel des Geistes ist.
Sexualität: Hormon- oder Kopf-gesteuert
Dem Sexualpapier liegt eine dionysische Konzeption zugrunde. Sie folgt also eher Schopenhauer, Marx und Nitzsche als Hegel und Heidegger. Auch Freud gehört zu diesem Lager der deutschen Geistesgeschichte. Sexualität kommt aus dem Inneren des Körpers und kann nur notdürftig vom Über-Ich in Schach gehalten werden.
Der Mensch muss auf seine Gefühle hören, den inneren Antrieben folgen, dann gelingt das menschliche Zusammenleben. Dem steht das Apollinische gegenüber, das ein durch den Geist geformte Psyche als Ideal hinstellt. Diese zwei Pole, durch zwei griechische Götter grob beschriebenen Alternativen, sind durch die Hirnforschung überholt. Das Gehirn ist immer beteiligt, wenn etwas im Körper geschieht. Entweder werden vom Hirn Botenstoffe ausgesandt oder Nervenimpulse lösen die Produktion von Hormonen aus. Umgekehrt setzen die Vorgänge im Körper Neuronen im Gehirn in Gang, auf die andere Regionen des Hirns steuernd reagieren. Hitze oder Kälte wie auch Bilder u.a. Sinneseindrücke werden vom Gehirn aufgenommen und verarbeitet. So brauchen Nacktfotos das Gehirn, um sexuell stimulierend wirken zu können. Auch die sexuelle Orientierung ist wohl eher im Gehirn als in den Sexualorganen hinterlegt. Die Hirnforschung liefert immer mehr Erkenntnisse, die das Zusammenspiel der Hirnregionen und diese mit dem gesamten Nervensystem und den durch den Blutkreislauf verteilten Hormone und Botenstoffe durchsichtig machen. So setzt das Zusammenspiel zwischen Gehirn und Körper das Menschenbild des Synodalen Weges außer Kraft. Für die eigene Verhaltenssteuerung muss der Katholik nicht mehr zwischen der von Drüsen gesteuerten Sexualität und den steuernden Funktionen einzelner Hirnregionen entscheiden. Nicht nur die zölibatär, sondern auch die in einer Partnerschaft Lebenden brauchen eine Vorstellung, wie sie Sexualität leben wollen. Dieses Selbstbild wird im Vorderhirn lokalisiert und ist mit anderen Hirnregionen verbunden. Diese Sicht des Menschen scheint bei den Überlegungen des Synodalen Weges nicht leitend gewesen zu sein, nämlich Körper und Gehirn als in sich vernetztes System zu sehen, dessen Steuerung vom Gehirn geleistet wird. Das Selbstbild des Menschen scheint die letztlich steuernde Region des Gehirns zu sein. Das würde erklären warum das sexuelle Selbstbild nicht einfach zu verändern ist.
Was auch ohne Hirnforschung auf der Hand liegt:
Es braucht gar nicht die Ergebnisse der Hirnforschung, um auf die Bedeutung der Kommunikation für Partnerschaften hinzuweisen. Sexualität nimmt mit der Gewöhnung wie auch mit dem Älterwerden in ihrer Bedeutung für die Lebendigkeit einer Beziehung ab. Was der Synodale Weg beschreibt, ist nur der Honeymoon. Würde Sexualität die Bindewirkung behalten, die sie am Anfang einer Beziehung hat, dann gäbe es keine Trennungen, weil (eher) der Mann eine attraktivere Partnerin gefunden hat. Weil die Katholische Kirche für das Gelingen einer lebenslangen Partnerschaft eintritt, muss sie die Kommunikation betonen und die Paare darin unterstützen, auch die sexuelle Komponente sprachfähig zu machen.
Und der Sexuelle Missbrauch?
Wie das Dokument des Synodalen Weges ist dieser Kommentar von dem Thema abgekommen, weswegen man sich in der Katholischen Kirche synodal auf den Weg gemacht hat. Sexualität in ihren zerstörerischen Formen nicht nur zu benennen, sondern Wege der Heilung zu finden, braucht einen Anker in der Moral. Denn erst eine Wertvorstellung kann Täter und solche mit einer pädophilen Orientierung überzeuge, ihre sexuellen Wunschvorstellungen zu bearbeiten. Wäre eine Institution, wie die Katholische Kirchen nicht dazu berufen, das Problem in seiner Breite anzugehen. Denn wenn Sexualität auf so verschiedene Weise, bis hin zu sexueller Erregung durch Tierquälerei, missbraucht werden kann, dann braucht es für jede sexuelle Praxis das Bewusstsein für die Gefährdungen. Das, was der Synodale Weg vorlegt, wird dem Anspruch, der an eine Kirche zu stellen ist, nicht gerecht.
Wie das Menschenbild nach dem heutigen Stand der Forschung zu zeichnen ist, wo das Selbstbild, das jeder für sich entwickeln musste, im Vorderhirn lokalisiert ist und wie dieses Selbstbild wieder andere Hirnregionen steuert, hat der Medizinprofessor Joachim Bauer für Nichtmediziner dargestellt in: Das empathische Gen, Humanität, das Gute und die Bestimmung des Menschen. Das Buch erklärt nicht das Zusammenspiel von Sexualität und Gehirn, sondern von Entzündungen und Gehirn. Es entwickelt an diesem Phänomen die Vorstellung, wie Gehirn und Körper zusammenspielen. Die Grundstruktur wird wohl auch für die Sexualität angenommen werden können
Weniger flüssig lesbar ist das Dokument des Synodalen Weges
„Leben in gelingenden Beziehungen - Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“
Rückblick auf die Sexuelle Revolution und ihren Ideengeber Wilhelm Reich. Ist er auch Ideengeber für den Synodalen Weg: Sexualität als Energiequelle des Religiösen?
Ich finde kaum “Kirchennahe“ die das Paper gelesen haben. Ich würde mich gerne mit denen, auch kontrovers, austauschen, die das Papier gelesen haben.
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