Wir leben von Geburt an auf den Tod hin
Der Tod ist aus unserem Leben ziemlich ausgegrenzt, obwohl er uns jeden Tag begleitet. Den Gedanken, dass er uns einmal selbst mit Sicherheit einholen wird, schieben wir allzu gerne von uns weg.
O-Ton: „Wie soll ich leben, wenn ich an den Tod denken muss?“
Das hat wohl zur Folge, dass es uns auch nicht so leicht fällt, mit Trauernden umzugehen, angemessen auf sie zu reagieren. Sie konfrontieren uns ja mit unserer eigenen Angst, mit dem Verlust, der auch uns treffen kann, mit der Hilflosigkeit, in die wir geraten.
Der Verlust reißt Wunden
Wir wissen, dass der Verlust eines Angehörigen oder Freundes in uns tiefe Wunden reißt, Schmerzen in unserer Seele verursacht. Fragen über Fragen quälen uns. Warum er oder sie? Warum jetzt? Warum überhaupt? Was soll ich ohne diesen Menschen machen?
Unsere Seele schreit danach, dieses Ereignis ungeschehen zu machen, denn ich kann es erst einmal nicht glauben, die Realität nicht aufnehmen. Weil ich so mit dem Schmerz beschäftigt bin, kann ich auch noch nicht in die Phase der Trauerverarbeitung eintreten. Erst muss die Wunde behandelt werden.
Wie bei einer Operation die Wunde genäht werden muss und dann erst in der Reha der Heilungsprozess einsetzt, so braucht auch die seelische Verletzung eine Erstversorgung, ehe sich die der Reha vergleichbare Trauerarbeit anschließen kann. Der Schmerz ist zu groß. Die Wunde klafft, sie muss verbunden werden. Beruhigungsmittel, die den Betroffenen sedieren, schieben den Schmerz nur zeitlich weiter nach hinten, der dann nach Stunden wieder in vollem Umfang, manchmal noch heftiger aufbricht. Auch wenn ihnen „Tabor“ zur Beruhigung angeboten wird, sollten sie darauf verzichten. In der Zeit der Sedierung steht nämlich ihre seelische Wunde unversorgt und damit ungeschützt weit offen, weil sie wegen des Mittels nicht ansprechbar sind.
Was ist die angemessene „Medizin“.
Wir in der Notfallseelsorge sehen im Zuhören, im Gespräch, mit unserem Da-Sein die „Medizin“ für die erste Seelen-Hilfe. Sich dem Schmerz öffnen, ihn zulassen, aus der Schockstarre herauskommen können, spüren, dass da jemand da ist, der das alles aushalten kann. Das Schweigen wie das Weinen. Das sind die Pflaster für die Erstversorgung. Wir helfen, dass der Schmerz sich äußern darf, dass Tränen fließen können, dass sich Schritt für Schritt immer mehr Ruhe auch ohne Beruhigungsmittel ausbreiten kann. Wir sorgen dafür,
dass das soziale Netz aktiviert wird, die Familie zusammenkommen kann, Freunde oder Nachbarn benachrichtig werden. Neben dem Zuhören und Organisieren bieten wir den Angehörigen die Kraft eines Ritus an. Der Ritus thematisiert das Abschiednehmen von dem Toten, um ihn der anderen Welt, in die er eingetreten ist, zu übergeben, um Frieden für ihn zu erbitten. Wir rufen auch den Segen für diejenigen, die zurückbleiben.
Manchmal fahren wir mit den Angehörigen zu dem Ort, wo der Unfall passiert, der Tod eingetreten ist. Das hilft ihnen, im Trauerprozess dort anzuknüpfen und den Ort wieder aufsuchen zu können. Wenn die erste Phase der Gefühle abklingt, kommen oft organisatorische Fragen: „wie geht es jetzt weiter“, „was muss ich alles machen?“ Wir unterstützen dann die Kontaktaufnahme zum Bestatter oder zu den Stellen, die jetzt benötigt werden. Wir sind solange vor Ort, bis wir spüren, dass die Hinterbliebenen sich gegenseitig stützen, mit der Situation umgehen können, die Familie versammelt ist, Freunde das Sicherheitsnetz spannen.
Wer sind wir?
Wir, das Notfallseelsorge-Team im Raum Bonn-Rhein-Sieg-Kreis, sind ökumenisch organisiert. Im Jahr werden wir zu mehr als 300 Einsätzen gerufen. Wir treffen uns monatlich zur Reflexion unserer Einsätze und zur Fortbildung. In unserer Arbeit geht es immer um den Tod. Wir sind für die seelsorgliche Betreuung der Hinterbliebenen, aber auch derjenigen da, die an dem Tod beteiligt waren, wie z. B. bei Verkehrsunfällen oder als Augenzeugen. Wir überbringen oft gemeinsam mit der Polizei die Todesnachrichten an die Hinterbliebenen zu Hause, bleiben dann bei den Betroffenen. Unser ehrenamtliches Engagement ist im christlichen Glauben verankert, deshalb sind wir für die Sorge um die Seele, für das Gebet, die Aussegnung oder sogar für eine Nottaufe durch eine fundierte Ausbildung gerüstet.
Aus dieser christlichen Grundorientierung bereite ich mich bereits auf der Fahrt zu den Einsätzen vor. Ich bete zu Gott und bitte, dass ich der Situation, auf die ich treffe gewachsen bin und den Hinterbliebenen gerecht werden kann, ich bitte um seinen Segen für mein Tun.
Da wir meist von der Polizei oder in manchen Fällen auch von Notärzten gerufen werden, treffen wir auch auf Menschen, die sich nicht mehr religiös verorten. Wir drängen sie nicht zum Gebet, aber es kommt vor, dass sie uns um den Segen oder das Gebet bitten. Ich bete dann für den Verstorbenen, dass er in das Reich Gottes aufgenommen werde und Frieden findet. Für die Hinterbliebenen bete ich, dass sie an dem Verlust nicht zerbrechen, Kraft finden, um sich gegenseitig zu stützen. Ein gemeinsamer Vater Unser sowie ein Segen helfen den Betroffenen, sich miteinander in ihrem Leid zu verbinden.
Ist das Gebet im Einsatz nicht gewollt, bete ich meist still für den Verstorbenen und die Hinterbliebenen. Wenn es vor Ort nicht möglich ist, bete ich im Auto auf meinem Weg nach Hause.
Die Notfallseelsorge Bonn/Rhein-Sieg hat in diesem Jahr 20-jähriges Bestehen.
Link: Nichts endet im Nichts
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