(explizit.net) Interview-Serie: Diaspora im schwedischen Uppsala, Teil 2 von 3
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Im zweiten Teil unserer Interview-Reihe erklärt der Theologiestudent, warum man in der Schwedischen Kirche nicht paranoid wird und warum die Jesuiten am „Newman-Institut“ sich sogar bei evangelisch-lutherischen Studenten großer Beliebtheit erfreuen. Und er verrät, warum das Bier für katholische Theologen in Schweden teurer ist.
explizit.net: Wie ist das Verhältnis der katholischen Kirche zu anderen Christen oder kirchlichen Strukturen in Schweden?
Dag Heinrichowski: Die schwedische Staatskirche wurde im Jahr 2000 aufgelöst. Die Schwedische Kirche ist noch sehr präsent, aber ziemlich „heruntergewirtschaftet“ und hat – wenn ich dem glauben kann, was ich gehört habe –die Funktion eines Standesamtes. Mit der Geburt ist man dort Mitglied und registriert. Vielleicht geht man noch für die Taufe, Hochzeit oder andere Ereignisse dorthin. Es fehlt ihr an Profil und sie wird bei Fragen nicht mehr wahrgenommen. Ich habe einen Witz im Radio gehört, der diese Situation ganz gut wiedergibt:„Was ist Paranoia? - Wenn ich am Sonntag im Dom von Uppsala in der ersten Reihe sitze und denke, hinter mir ist jemand.“ Ich möchte mir das demnächst mal selbst anschauen und versuchen, mit einem Pastor ins Gespräch zu kommen.
<emphasize>Kaffee, Kunst und Kirchenshop</emphasize>
Wer bei der Schwedischen Kirche fragt, was sie anzubieten hat, bekommt als Antwort: „Was wollen Sie denn?“ Von sich aus bietet sie nichts an, aber sie möchte eigentlich für alles da sein. Diese Geschichten habe ich gehört und mir kommt das ziemlich profillos vor. Kürzlich wurde der neue Erzbischof von Uppsala gewählt, da kam ich mir in der Stadt kurzzeitig vor wie in Rom: überall sah ich Kollarhemden – hier wurden die aber auch von Frauen getragen! Solche Präsenz ist allerdings sehr selten. Im Dom von Uppsala gibt es noch einen Kirchenshop, in dem man Produkte aus dem fairen Handel kaufen oder Kaffee trinken kann. Die Kirchen selbst sind teilweise unter künstlerischer Rücksicht sehr wertvoll. Mit Glauben ist da aber nicht mehr viel.
Welche Chancen bieten sich denn dann für die Katholiken?
Hier Theologie an der Uni zu studieren ist etwas völlig anderes als ein Theologiestudium, wie man sich das in Deutschland vorstellt. Es ist eher ein Religionswissenschaftsstudium. So kann man in der Schwedischen Kirche Priester werden, wenn man im Studium zum Beispiel einen buddhistischen Schwerpunkt gesetzt hat. Man kann die Religion studieren, auf die man Lust hat und trotzdem später bei der Kirche arbeiten. Man hat mir erzählt, dass die Bewerber aus Gründen des Persönlichkeitsrechts nicht nach ihrem Glauben gefragt werden dürfen – Glaube ist eine Privatsache. Die katholische Kirche kann zeigen: wir haben einen Glauben und über den wollen wir sprechen und diskutieren – und das etwas nüchterner als die vielen Freikirchen. Der Rektor des Newman-Institutes hat es so zusammengefasst: Die Katholische Kirche versucht, zwischen dem etwas geistlosen, emotionslosen Konstrukt der demokratischen Schwedischen Kirche und den völlig über-emotionalisierten Freikirchen zu stehen und beide ein bisschen zu bedienen. Vor allem möchte die katholische Kirche einen vernünftigen Glauben vermitteln.
Ist dieser Spagat zwischen Vernunft und Emotionalität, die Lücke zwischen Schwedischer Kirche und Freikirchen zu füllen, ein Erfolgsrezept für die Katholiken?
Es gibt viele Konvertiten, es gibt auch einige Priesterkandidaten aus der Schwedischen Kirche, die einen Jesuiten des Newman-Institutes als geistlichen Begleiter gewählt haben. Man überlegt derzeit, Theologiestudenten der Schwedischen Kirche für die Dauer ihrer Ausbildung für ein Studium am Newman-Institut zuzulassen. Vor wenigen Wochen hat das Newman-Institut die staatliche Erlaubnis erhalten, einen Bachelor-Grad in Philosophie zu verleihen. Das ist ein wichtiger Schritt, denn nur mit Theologie und Kulturstudien kommt man in Schweden nicht weit. Das Land ist eher praktisch orientiert, die Ikea-Mentalität gibt hier den Ton an, Naturwissenschaften sind wichtig.
Wie wirkt sich das für die Studierenden aus?
Es war für die Studierenden des Newman-Instituts zum Beispiel lange Zeit sehr schwierig, Mitglied in den „Nationen“ zu werden– dem schwedischen Pendant zu Allgemeinen Studentenvertretungen (AStA) und Studentenverbindungen. Die Nationen sagen: „Ihr seid keine richtigen Studenten, das ist ja gar keine richtige Universität, denn ihr macht ja nur Philosophie und Theologie. Wo ist denn da die Wissenschaft?“Dabei spielt sich in den Nationen das ganze studentische Leben ab: Partys, günstigeres Essen in der Mensa, günstigere Bierpreise, gesellschaftliche und kulturelle Veranstaltungen für Studierende. Wenn man Theologie studiert, wird man von denen nicht als Student anerkannt.
Was wird denn aus den Studierenden des Newman-Instituts, wenn sie dann ihren Abschluss gemacht haben?
Das ist eine spannende Frage. Die einen werden Priester: sie machen hier eine Art Vordiplom und setzen ihr Studium in Rom fort. Andere wählen wohl eher einen philosophischen Schwerpunkt und nehmen zusätzlich an anderen Kursen an der Universität teil. Einige wollen auch Lehrer werden. Viele andere studieren hier einfach, weil sie etwas über ihren Glauben lernen wollen. Es gibt unglaublich viele Fernkurse, also Vorlesungen im Internet, denn nicht alle Studierenden können jede Woche nach Uppsala kommen, um eine Vorlesung zu hören oder um ein Seminar zu besuchen. Höchstens zweimal im Semester treffen sie sich. Viele wollen etwas über den Glauben lernen, vielleicht gar nicht über ihren eigenen Glauben, sondern über den katholischen. Manche wollen ein bisschen Philosophie studieren. Lehrer und Priester sind diejenigen, die hier eine konkrete Berufsperspektive haben. Die anderen studieren nur für sich und schauen später, was sie damit machen.
Manche Studierende leben also gar nicht in Uppsala und kommen nur ganz selten an die Hochschule?
Genau. Das Studiensystem ist hier ziemlich speziell. Ich selbst bin sogenannter Vollzeitstudent und das bedeutet: ich habe momentan zweimal zwei Stunden Vorlesungen pro Woche – und das war’s. Es ist ein ganz anderes Studieren. Wir lesen viele Texte und schreiben dazu kurze Statements. Das funktioniert ja auch über das Internet und diese Möglichkeit wird von vielen Studenten in Anspruch genommen. In „Sankt Georgen“ in Frankfurt umfassen die Literaturlisten pro Vorlesung jeweils mindestens eine DIN A4-Seite mit ganz vielen wichtigen Büchern. Hier in Uppsala werden uns vier Titel genannt, wobei zwei davon dann wirklich wichtig sind, die sollte man dann aber auch tatsächlich lesen.
Lesen Sie morgen an dieser Stelle:
Als Pilger in Schweden – warum das Bonifatiuswerk junge Leute in den Norden schickt. Und: Was die Katholiken in Deutschland von der schwedischen Diaspora lernen können.
Die Fragen stellte Matthias Alexander Schmidt.
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