(explizit.net) Zu von Guttenberg, Schavan, Steinmeier
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Regelmäßig wird die Wissenschaft durch Betrügereien aufgeschreckt. Die kleine Schwester dieser großen Skandale sind die Plagiatsfälle bei Doktorarbeiten bekannter Politiker. Die Jagd ist wieder eröffnet. Es ist erschreckend wie erfolgreich die Jäger sind: Ein ungarischer Präsident und ein rumänischer Premier, ein Verteidigungsminister und eine Bildungsministerin aus Deutschland – sie alle mussten wegen Plagiatsaffären ihren Hut nehmen. Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, ist gerade erst von diesem Vorwurf entlastet worden. Hier war sogar ein großes Wochenblatt an der Jagd beteiligt.
Individuelle und strukturelle Schuld
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Im allgemeinen Jagdfieber geht es vor allem um das individuelle Versagen der Betroffenen, sicher zu Recht. Damit ist die Frage aber nicht beantwortet, was zu ihrem Fehlverhalten beigetragen hat. Die Katholische Kirche sieht eine Missetat als Teil dessen, was sie strukturelle oder soziale Schuld nennt. Was der oder die Einzelne tut, ist also verwoben mit dem, was andere tun oder unterlassen, und mit den konkreten Umständen, in denen er oder sie handelt.
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Die Idee der strukturellen Schuld erinnert daran, dass wir nicht in einer Tabula rasa Situation leben. Es gibt das Böse und es zeigt seine Fratze überall. Mit Blick auf die genannten Plagiatsaffären sei nur ein Aspekt benannt. Hier kann das Böse in dem Statusgewinn gesucht werden, der mit einer Promotion verbunden ist. Die Reservierung im ausgebuchten Restaurant gelingt, wenn der Herr Doktor einen Tisch bestellt. Nicht nur die Politik ist empfänglich für die Aura, die von einer Promotion ausgeht. Eitelkeit (superbia) aber ist eines unserer Hauptlaster.
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Der Doktortitel verschmilzt mit der Person
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Es ist kein Zufall, dass man in Deutschland den Doktortitel in den Personalausweis eintragen lassen kann. Er steht dann nicht für eine wissenschaftliche Leistung, sondern scheint die Person selbst zu betreffen. Genau darum wird das Plagiat für Politiker zu einer Frage der persönlichen Glaubwürdigkeit. Der Rücktritt erscheint dann unvermeidlich. Auch wenn das Plagiat Jahrzehnte zurückliegt.
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Das Sündenbock-Syndrom erklärt die Emotionen
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Es geht hier nicht darum, wissenschaftliches Fehlverhalten zu entschuldigen. Es geht darum das individuelle Versagen in den Zusammenhang allgemeiner Überzeugungen und Haltungen zu stellen. Damit ist die Verantwortung des Einzelnen nicht weggenommen. Was wir tun oder lassen, sagt aber immer auch etwas über die Welt aus, in der wir leben. Und das ist eigentlich interessanter, als die genannten Affären selbst.
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In dieser Perspektive erscheinen die Gejagten als Sündenböcke. Ein Sündenbock enthüllt viel über die, die ihn in die Wüste jagen - das hat René Girard in seiner Theorie gut erkannt. Der Eifer der Plagiatsaufdecker wirft somit auch ein bezeichnendes Licht auf die Zuschauer ihrer Jagd. Wir schmücken uns gerne mit einem ‚Doktor‘, selbst wenn wir diesen Titel selber nicht tragen. Umso unbarmherziger sind wir, wenn jemand den schönen Schein betrügt. In einer Gesellschaft, in der ein Doktortitel sozialer Status bedeutet, wird es immer wieder Plagiatsaffären geben.
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<emphasize>Stefan Gärtner</emphasize>
<emphasize>(Ass. Professor Practical Theology an der Tilburg University, Niederlande)</emphasize>
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