Österreich: Das politische Ende der zweiten Republik

Der Vizekanzler und Parteivorsitzende der ÖVP, Reinhold Mitterlehner ist zurückgetreten. Sein Nachfolger gilt als der starke Mann der ÖVP, Außenminister Sebastian Kurz. Er fordert Neuwahlen und Umstrukturierung der Partei. Er will sogar mit einer Liste „Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei“ zur Nationalratswahl antreten. Seine Forderungen an die ÖVP sind akzeptiert worden. Ebenso eine Absprache über Neuwahlen im Oktober. Eine Neuauflage der großen Koalition aus SPÖ und ÖVP nach der Wahl wird ausgeschlossen. Die FPÖ wird umworben und muss sich entscheiden ob sie sich „anti-sozialistisch“ mit der ÖVP oder „anti-klerikal“ mit der SPÖ positioniert. Damit endet politisch die zweite Republik. Die erste Republik, insbesondere das Jahr 1934, scheint auf.

Die aktuelle Entwicklung

Im Frühjahr haben sich die beiden Koalitionsparteien ÖVP und SPÖ noch auf eine Agenda geeinigt, die sie in diesem Jahr abarbeiten wollen. Gleichwohl hat es in der Regierung massiv geknirscht. Reinhold Mitterlehner konnte den Außenminister und nicht nur wegen seines jungen Alters, die Zukunftshoffnung der ÖVP, Sebastian Kurz, nicht einbinden. Dieser setzte in der Regierung ohne Absprache mit Mitterlehner oder dem Bundeskanzler Kern seine eigene Agenda um. Die ÖVP in der Regierung war de facto aufgeteilt in die Gruppe um Mitterlehner und die um Kurz. Vom Landeshauptmann Pröll, also dem Ministerpräsidenten von Niederösterreich, wurde gegen den Willen Mitterlehners Wolfgang Sobotka als Innenminister in die Regierung „hineingedrückt“. Pröll konnte damit die bisherige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner aus Wien zurückholen und als seine Wunsch-Nachfolgerin als Landeshauptmann in Niederösterreich einsetzen. Sobotka nahm ihren Platz in der Bundesregierung ein. Er hat dort kontinuierlich Unruhe erzeugt. Anfang Mai warf er Kern „Versagen als Kanzler“ vor. In diesem Spagat zwischen der SPÖ und der ÖVP um Kurz trat dann Mitterlehner zurück

Die Bünde innerhalb der ÖVP

In der zweiten Republik war die Macht in der ÖVP immer zwischen den verschiedenen Bünden innerhalb der Partei - Bauern, Wirtschaft und Arbeitnehmer - verteilt, wobei der Einfluss des Arbeitnehmerbundes gering war. Bundeskanzler Schüssel war aus dem Wirtschaftsbund hervorgegangen, viele Vizekanzler wie Molterer oder Pröll aus dem Bauernbund. Damit war die Macht des Parteivorsitzenden immer auch begrenzt und vom Konsens mit vielen gesellschaftlichen Gruppen getragen.
Sebastian Kurz stieg in der ÖVP mit einer anderen Teilorganisation auf, der der Jungen Volkspartei. Sein Vorvorgänger Werner Amon, der vielleicht der „Erfinder“ von Sebastian Kurz ist, und er steigerten deren Bedeutung in der ÖVP deutlich. Bis dato war sie in der ÖVP sogar teilweise belächelt worden.

Kurz: Umtriebig und markant als Außenminister

Sebastian Kurz ist noch als Student des Jus - in Österreich studiert man Jus und nicht Jura, also kein Kirchenrecht inkludiert –  sehr schnell aufgestiegen. Er war u. A. Bundesvorsitzender der jungen Volkspartei, Staatsminister für Integration und bald Außenminister der Republik Österreich. Auch hier wurde er sehr schnell bekannt. Er forderte die Schließung der Balkanroute, sehr niedrige Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen und den Abbruch der Beitrittsgespräche mit der Türkei.

Kurz führt die ÖVP weit zurück in ihre eigene Geschichte

Hinter seiner Jugend versteckt, wurde wenig beachtet, wofür er inhaltlich steht. Das zeigt sich spätestens jetzt an den Bedingungen, wenn er Parteichef wird. Er fordert eine deutliche Umgestaltung und Erweiterung seiner Kompetenzen als Parteichef, wie alleiniges Vorschlagsrecht oder Vetorecht für Wahllisten bis hinunter in Länderebene. Konflikte mit der SPÖ – Kern verhält sich ähnlich - werden ungewöhnlich scharf geführt. Auch das Thema Religion, Christsein und Bekenntnis wird von ihm stark politisch besetzt, auch im Umfeld der Flüchtlingsfrage.

Diese Themen wurden bisher in der zweiten Republik, aufgeteilt nach Einflusssphären, aber doch im Konsens geführt. Begriffe dafür waren die Sozialpartnerschaft, die Versöhnung der Arbeiter mit der Kirche (Kardinal König). Begründet wurde dies mit den Ereignissen der ersten Republik v.a. dem Jahr 1934. Damals riss der christliche Politiker Dollfuß die Macht an sich und drängte die SPÖ zurück.  

Fazit: ÖVP und SPÖ bekämpfen sich, die Liberalen entscheiden, werregiert

Wie Kern und vor allem Kurz aktuell agieren, entspricht nicht mehr dem Österreich der zweiten Republik. Man bewegt sich in Richtung des Österreichs der Zeit von Dollfuß. Dessen austrofaschistisches Regime verbot 1934 die Sozialdemokraten, inhaftierte den späteren Kanzler Kreisky (SPÖ). Bei den Auseinandersetzungen wurden Republikaner hingerichtet. Die Frage wie Dollfuß – sein Bild hing im ÖVP-Parlamentsclub - zu beurteilen sei, war immer ein Streitpunkt in der zweiten Republik. Trotz dieser Feindschaft im Jahr 1934 gab es Konsens von SPÖ und ÖVP über alle wichtigen Punkte.

Jetzt scheint sich die Situation zu ändern. Es gibt nicht nur „populistische“ Elemente, sondern sogar grundsätzliche Diskussionen zum Föderalismus, Bekenntnisneutralität des Staates etc. Die FPÖ, die bisher in der Popularisierung führte, wird an Einfluss verlieren. Als Regierungspartner nach der nächsten Wahl muss sie sich entscheiden, ob sie sich mehr vom „Sozialismus“ oder mehr „Klerikalismus“ abgrenzt.

Uli Spreitzer


Kategorie: Politik

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