(explizit.net) Am Nil regiert seit 8. Juni Abd al-Fattah as-Sisi als gewählter Landespräsident für vier Jahre. Danach mag er sich ein zweites, aber letztes Mal den Wählern stellen. Freilich gab es Zweifel an der Fairness des Wahlverlaufs, jedoch nicht an der Sympathie, die wohl eine Mehrheit für diesen Ex-General hegt, der versprach, die Macht der Islamisten zu beenden. Indes gingen am 14. Juni in Afghanistan Wähler zur Stichwahl unter Präsidialkandidaten Abdullah Abdullah und Ashraf Ghani. Obzwar offen ist, ob der Tadjike oder Paschtune gesiegt hat, notierten Wahlbeobachter eine relative Ruhe durch die Taliban, die Gewalt ansagten, aber am Wahltag nicht wie gewollt durchkamen. Hingegen tobt Krieg in Irak und Syrien, wo Islamisten Baghdad erreichten und ein Landesdrittel, Mossul bis Samarra, einnahmen. Präsident al-Maliki und Ayatullah as-Sistani riefen zur Gegenwehr auf. Dies gerät zur Weltkrise, denn wie Amerika und Europa reagieren, prägt kommende Dekaden.
Kairo
As-Sisi leistete den Eid im Obersten Verfassungsgerichtshof. Dann folgten Zeremonien in den Palästen al-Ittihadiyya und al-Qubba. Abgesehen von den Führern am Golf, fiel Sergej Narischkin auf. Der Sprecher des russischen Parlaments habe eine Botschat Putins übermittelt, der den Ägypter einlud. Beide trafen sich im Februar im Kreml und suchen eine neue Partnerschaft. An dieser „Wende“ wirkte die US-Administration mit, indem sie länger auf der Seite der Islamisten agierte und hernach as-Sisi die erbetene Hilfe versagte oder verzögerte. In seiner Antrittsrede erwähnte dieser Präsident Amerika nicht, betonte aber das Ende der Ära der Abhängigkeit und den Beginn der Zeit, in der Kairo und seine Partner auf gleichem Fuß stehen. So etwas verkündete bereits einmal as-Sisis Vorbild, Abd an-Nasir. Heraus kam ab 1955 der Tausch von Abhängigkeit, also von Washington nach Moskau. Heute sollte man für Kairo die Golfstaaten samt Saudi-Arabien mitzählen.
So verständlich Nationalstolz ist, so wenig hilft er in Kairos Außenbeziehungen. Dass sich Abd an-Nasir seit 1961 voll dem Kreml hingab, kam Ägyptern teuer zu stehen. Denn der Kreml gab weder technologischen Fortschritt noch probate Sozialmodelle. Im Gegenteil, alles ging „sozialistisch“ bergab, sodass Anwar as-Sadat mit den Sowjets 1974 brach und sich wieder dem Weltmarkt öffnete. Aber Nationalisierungen, ein Riesenstaatsektor und das Einparteiregime hingen ihm wie Mühlsteine am Halse. Um ein Gegengewicht gegen seine Sowjetlinke zu schaffen, entließ er Islamisten aus den Kerkern, die seit den 1970er Jahren „der Islam ist die Lösung“ vorgaben. Sie töteten Anwar as-Sadat 1981, als er den Frieden mit Israel schloss. Unter Husni Mubarak erstarrte viel, bloß nicht die Korruption. Obama ließ ihn nach 18 Tagen der Lotusrevolte 2011 fallen, Islamisten kaperten sie und Präsident Muhammad Mursi regierte nur ein Jahr. Sein Politislam erwies sich als Fehler.
Zwar sagt as-Sisi nun, der Islam sei nicht die Lösung, der Islamstaat eine Fiktion und es gebe keine Versöhnung mit Muslimbrüdern. Doch wirbt er für das alte Staatsmodell mit Megastaatssektor (=massive Korruption). Ein Fehlkurs im Wirtschaftsruin. Zudem kann er sich Freunde besser auswählen: was Wladimir W. Putin treibt, sieht man von Russland, Syrien, Iran bis zur Ukraine. Ägypten ist ein Geschenk des Nils, aber das Korn für sein Brot stammt vom Mississippi. Das sind Prioritäten, selbst wenn as-Sisi Obama gar nicht mag. Der Ägypter muss Stabilität und Aufschwung schaffen. Daran wird man ihn messen; und wie er Kritik positiv nutzt, um Zivilgesellschaft und Minoritäten erblühen zu lassen.
Kabul
Die Afghanen wählten abermals und boten den Drohungen der Taliban die Stirn. In der Herat-Provinz hätten sie laut New York Times vom 14. Juni 2014, Wählern Finger abgehackt, „damit sie nicht mehr zu Wahlen gehen und den Tintenfinger vorweisen.“ Ein Attentat auf Abdullah verfehlte, der einst 45 Prozent der Stimmen erhielt (Ghani 32). Am 27. Mai sagte Präsident Obama an, 10.000 Mann in Afghanistan ab 2014 zu belassen. Dann sollen die Zahl halbiert und alle bis Ende 2016 voll raus sein. So sehr Amerikaner auf ein Ende der Waffengänge hoffen, so fraglich erscheinen heute derartige politische Entschlüsse ungeachtet der konkreten Verhältnisse. Diese Ungeduld ist in diesem Fall ein schlechter Berater und kann abermals vorherige Fortschritte zum Einsturz bringen. Dies geschah bereits 1989 nach dem Sowjetabzug aus Afghanistan, von dem sich Amerika abwandte. Heraus kamen die Macht der Taliban und der Schutzraum für Usama Bin Ladins al-Qaida.
Wer Präsident in Kabul wird, der sollte bessere Beziehungen zu Amerika und einen Weg für ein alliiertes Truppenkontingent über 2016 hinaus finden. Wie kann man dort sonst so lange Krieg führen, ohne abzusichern, dass die Taliban keine Länder oder Basen erhalten? Zwar darf man Europa kaum mit Mittelost vergleichen, doch standen Amerikaner über 45 Jahre im geteilten Deutschland. Wer da denkt, jetzt gehe alles schneller, der täuscht sich. Ergebnisse dieser Fehler sieht man in Syrien und Irak, wo Amerika und Europa zusahen, wie erst der Bürgerkrieg ausuferte und dann Jihadisten ganze Städte im Irak einnahmen.
Baghdad
Sunnitische Jihadis, die bereits seit einem halben Jahr al-Falluja und ar-Ramadi besetzt hielten, haben seit 10. Juni ein Landesdrittel samt Mossul und Samarra überrannt. Einige stehen vor der Hauptstadt. Der schiitische Premier Nuri Kamal al-Maliki und Ayatullah as-Sistani riefen zum Widerstand auf. Der ist nötig, da Truppen massenhaft desertierten. Den Eroberern eilten Berichte ihrer bösen Greueltaten voraus – nur ein Teil Propaganda. Sie stellten unsägliche Köpfungen und massenweise Erschießungen in Webvideos aus. Ihre Fahnen weisen die an-Nusra Front aus, die den Islamstaat im Irak und Syrien sucht. Sie sind sunnitische Jihadis Syriens, Stämme Nordiraks und Militärs des alten Regimes.
Präsident Obama erklärte am 12. Juni, der Baghdader Regierung helfen zu wollen, schloss aber Bodentruppen aus. Das ist derselbe Widerspruch, wie im libyschen und im syrischen Fall: Fortschritte aus der Luft müssen am Boden gesichert werden. Falls dies allein Iraker übernehmen sollen, so steht dahinter ein Fragezeichen. Ohne Bodentruppen geht es nicht.
Auch kam Barack H. Obama noch nicht den Bitten al-Malikis nach, die Jihadis aus der Luft anzugehen. Bisher sandte er einen Fluzeugträger in den Golf und erbat sich Zeit. Aber er schließe nichts aus, denn das Risiko steige gleichwohl für Amerika, sollten diese Jihadisten sich dauerhaft in Syrien und Irak etablieren. Er meinte noch, die eskalierende Krise bestätige seinen vorherigen Entschluss, die Strategie gegen Terror von Afghanistan und Pakistan auf mehr diffuse, mit der al-Qaida alliierte Gruppen in Mittelost und Afrika zu konzentrieren. Sprecher John A. Boehner kritisierte ihn: jeder Fortschritt im Irak wäre zunichte gemacht. Er solle sich dort engagieren, bevor es zu spät sei und nicht mehr den Abzug aus Irak als Errungenschaft feiern, sondern die Mission erfolgreich beenden. Iran sandte schon Truppen nach Irak. Den Preis erhellt alsbald das Tauziehen um die Nukes.
<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>
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