Die USA scheint zur Bühne geworden zu sein, auf der die unterschiedlichen Formen des Missbrauchs zur Darstellung kommen. Ob in Verbindung mit Religion, Showbusiness, in therapeutischen Beziehungen, es sind Abhängige, ob Kinder oder Erwachsene Frauen. Damit es nicht bei der Registrierung der Fälle und dem Ausdruck von Bedauern bleibt, müssen die Ursachen näher angeschaut werden. Dann genügt das Sich-Distanzieren nicht und die Forderung, Konsequenzen zu ziehen, stößt nicht bis zum Problem vor.
Sind es die anderen oder "Wir"?
Wer die neuerliche Diskussion verfolgt, stellt mit Erstaunen fest, dass nicht die Betroffenen zu Wort kommen, sondern Medienberichte kommentiert werden. Der Eifer in Worten atmet die Luft der Schreibstube, nicht den des Verbrechens. Wer im Internet schreibt, bewegt sich jedoch über den Dunkelheiten des Darknet. Nur ein paar Klicks weiter werden ja Kinder vermittelt. Ebenso findet Missbrauch neben uns statt. Die Opfer haben ja deutliche Zeichen gegeben. Bereits nach der ersten Welle der Missbrauchsaufklärung Ende der achtziger Jahre, als in den USA erstmals von Missbrauch in Heimen berichtet wurde, registrierten die Beratungsstellen viel mehr Fälle sexuellen Missbrauchs, nicht aktuell, sondern die Jahre zurücklagen. Meist waren es Frauen, die als Kinder Opfer geworden waren. Sie hatten schon mehrfach ihre Verletzung angedeutet hatten, jetzt aber erst Gehör fanden sie Gehör. Jeder von uns kann sich doch fragen, ob er, ob sie nicht vorbei gehört haben, als Betroffene jemand gesucht haben, der zuhört. Der Hörapparat nicht nur der Katholischen Kirche hatte diese Frequenz ausgeschaltet. Solange wir auf die Täter zeigen, wird es nicht genügend Schutz für die Opfer geben.
Die "Oben"
Nachdem viele Bischöfe sich als unfähig erwiesen haben, die Opfer zu schützen, ist entsprechend der Struktur der Katholischen Kirche der Papst gefordert. Das ist die Logik der Institution, wie auch bei Mobbing oder Korruption. Aber delegieren wir das Problem nicht an die Institution, die ja zuerst einer anderen Logik folgt, nämlich ihre Amtsträger zu decken und einen Imageschaden abzuwenden. Denn wer konnte vor den Aufklärungswellen absehen, dass die Offenlegung des Missbrauchs von der Öffentlichkeit positiv aufgenommen wurde. Wer "belohnt" die Diözesen in Pennsylvania für die Aufarbeitung der Fälle in den letzten 70 Jahren? Welche andere Institution, ob Sportverbände, Berufsverbände u.a. werden noch den Mut aufbringen, die Karten auf den Tisch zu legen? Die Repräsentanten der Institutionen bleiben in der Verantwortung. Wir können uns aber nicht zurücklehnen, denn "die Oben" regeln es nur, wenn „es gewollt wird“. Die entscheidende Schnittstelle ist ja die Macht, die die Institution ihren Repräsentanten gibt.
Sexueller Missbrauch ist Machtmissbrauch
Meist werden sexuelle Übergriffe unter dem Blickwinkel „Sexualität“ eingeordnet. Von denjenigen, die sich mit dem Phänomen beschäftigt haben, ist aber zu hören, dass es nicht allein der sexuelle Reiz ist, sondern der „Reiz der Überlegenheit“, der sich bei den einen in körperlicher Züchtigung, bei anderen in sexueller Unterwerfung artikuliert. Nun verleiht entweder Geld oder eine Institution Macht. Wie Institutionen Nährboden für Mobbing sind, so auch für Machtdemonstrationen. Wir setzen uns täglich mit Machtausübung und damit Machtmissbrauch von Institutionen auseinander. Die Frage wird aber meist nur bei der Polizei durchdekliniert. Einerseits sollen die Vertreter dieser Institution „durchgreifen“, zum anderen sich zurückhalten. Wenn ein Polizist, eine Polizistin nicht entsprechend handelt oder sich „zu viel einsetzt“, reagieren die Gesellschaft durch ihre Medine. Warum bei Mobbing und Missbrauch nicht so sensibel? Das Handeln der Polizei ist öffentlich und dadurch für die Berichterstattung leichter zugänglich. Missbrauch von Macht geschieht dagegen im Innenleben der Institutionen und damit erst einmal nicht öffentlich. Deshalb hängt es von denen „in der Institution“ ab. Wir scheinen erst einmal nur Zuschauer zu sein, denn die meisten Institutionen kommen von außen auf uns zu, als Krankenhaus, Schule, Finanzamt. Jedoch ist jeder auch in der einen oder anderen Institution, in einem Verein zumindest mittelbar „innen drin“ und kann hin- wie auch weghören. Solange es bei Empörung bleibt, hat der Prozess der Reinigung nur die ersten Meter absolviert. Erst wenn wir nicht auf andere zeigen, sondern jeder sich fragt, wo er wegschaut hat, wird sich grundlegend etwas ändern. Die Medien bieten allerdings immer weniger Gewähr, obwohl sie unentbehrlich sind, damit Institutionen handeln.
Ohne Medien keine Transparenz
Von innen heraus ist keine Institution fähig, die Strukturen zu ändern, die Missbrauch ermöglichen. Auch die sich als "heilig" bezeichnende katholische Kirche hätte ohne die Transparenz, die die Medien erzwungen haben, den Missbrauch weiter gedeckt. Es ist deshalb ein kritisches Zeichen, dass für den Qualitätsjournalismus immer weniger Geld zur Verfügung steht. Facebook verbreitet echte wie Fake-News. Google kennt keine Redaktion als Schranke, die ein Beitrag überwinden muss, ehe er veröffentlicht wird. Für das Milliardengeschäft mit Informationen, das Google und Facebook betreiben, gibt es keine Instanz wie den Presserat. Insofern leben wir in der Endphase eines kritischen Journalismus, wir können uns in den Kommentar-Kästen und mit unseren Facebook-Posts noch ereifern, so lange wir nicht für ordentliche journalistische Arbeit bezahlen, ist das alles Abgesang auf eine kritische Informationsarbeit und das Einmünden in einen unüberschaubaren Wust von Informationen. Welche Anforderungen können wir an die Medien stellen? explizit.net müsste Autoren und Autorinnen beauftragen, d.h. bezahlen können, um das zu realisieren, was oben in diesem Beitrag gefordert wurde. Wir müssen uns der Aufgabe stellen.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!