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Insolvenz des Priesteramtes

Der Missbrauchsskandal liegt seit Jahren wie ein Damoklesschwert über der Kirche als Institution und wird für Priester wie Gläubige zu einer immer größeren Last. Es scheint nur der Austritt als letzte Möglichkeit zu bleiben. Weshalb stehen die Bistumsverwaltungen nach 10 Jahren immer noch bei der Aktenauswertung? Was dort verschleppt wird, müssen die Priester vor Ort ausbaden. Sie reagieren in ständiger Überforderung. Das erscheint dann als Machtmissbrauch.

Kirche, nur noch ein schwerfälliger Verwaltungsdampfer

Ich will die Missbrauchsfälle nicht klein reden, sie sind und bleiben ein schreckliches Verbrechen an unschuldigen Kindern. Es braucht Konsequenzen für Opfer wie für Täter. Weshalb sind die Bistumsverwaltungen in diesem Problemfeld so handlungsunfähig? Diese Verzögerungen zeigen sich ja auch an vielen Stellen, wenn schnelles Handeln geboten ist, damit neue Ideen Akzeptanz finden und zeitnah umgesetzt werden. Die Institution hat sich zu einem schwerfälligen Verwaltungsdampfer entwickelt, der sich mehr um sich selbst dreht als den Kompass auf das Ziel auszurichten, nämlich die Gläubigen wie die eigenen Priester vor dem Ertrinken zu retten.
Hätten die Bistumsverwaltungen die Missbrauchsfälle schon vor Jahren ordentlich aufgearbeitet, wäre es nicht zu dem heutigen Skandal gekommen, dann wäre vermutlich auch in Köln die Vertuschungssituation nicht entstanden. Kardinal Woelki, der jetzt als der einzig Schuldige hingestellt wird, wurde erst durch die Schwerfälligkeit des Systems sowohl Täter als auch Opfer. Damit ein Vorfall zum Skandal wird, müssen die Medien lange hingehalten werden, bis alle Informationen auf dem Tisch liegen. Wenn adäquat und rechtzeitig gehandelt wird, wenden sich Journalisten anderen Problemfällen zu. Es gibt genug, auch wenn man in den letzten Wochen in Köln den Eindruck gewinnt, es gäbe nur dieses eine Problem.

Den Priestern wie den Gläubigen wird Unrecht getan

Was ist mit den vielen Priestern und Laien*innen, die mit Herzblut in ihrer Arbeit stehen, die oft sogar bis zur Erschöpfung ihren Dienst am Nächsten tun. In den Gemeinden, Krankenhäusern, Altenheimen, Hospizen, bei der Telefon- und Notfallseelsorge. Was ist mit denen, die in der Caritas erfolgreich heilend und seelsorgerlich arbeiten?
Mit der Schwerfälligkeit der Verwaltungen, die jetzt zu massenhaften Austritten führt, lässt es sich nicht gut manövrieren. Nun führt das Nichthandeln dazu, dass Ungerechtigkeiten entstehen, denn jetzt sind Schuldlose betroffen. Jetzt müssen es die Gläubigen und die Priester vor Ort ausbaden. Gläubige müssen sich nämlich fragen, wie sie ihren Glauben mit dieser Institution noch leben können. Priester, die Jahrzehnte wertvolle seelsorgliche Arbeit geleistet haben, stehen vor einem Scherbenhaufen. Ist es nicht jammerschade, dass gerade sie, die ihren Dienst mit Herzblut verrichten, die ihre Gläubigen gut betreuen, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen, in die „seelsorgliche Insolvenz“ geraten? 

Verwaltung muss Dienstleister sein

Es scheint so, als läge der Machtmissbrauch, der den Priestern vorgeworfen wird, doch nicht bei ihnen, sondern in den Verwaltungen, die etwas befürworten, aber oft hinauszögern können. Eigentlich müssten sie doch für diejenigen, die die Arbeit vor Ort machen, als Dienstleister zur Verfügung stehen. Sie „erwirtschaften“ nämlich das „seelsorgliche Gut“ in den Pfarreien. Da können diese doch eigentlich erwarten, dass die Verwaltungen ihnen nicht auch noch durch ihr „Nichthandeln“ Brocken auf ihren Weg legen. Dort, wo die Wertschöpfung entsteht, liegt das eigentliche Gut eines Unternehmens. Unternehmen, die den Blick auf diejenigen verlieren, die das „Produkt fertigen“ und auf die anderen, die das Angebot dann nutzen, können bald „ihren Laden dicht machen“. Die Strategie des Nichthandelns zerstört gerade eine ganze Diözese und das Image der Kirche in ganz Deutschland. Jetzt liegen die Lasten auf den Schultern der Priester, denen die Schäflein davonlaufen. Vielleicht reduzieren sich die Gläubigen so stark, dass die Priester, denen die großen Pastoraleinheiten sowieso über den Kopf wachsen, wieder Seelsorger sein dürfen.

Priester werden durch Überlastung zur Last

Immer wieder wird Priestern vorgeworfen ihre Macht auszuspielen. Vor allem Maria 2.0 spricht in ihren Thesen häufig von Machtmissbrauch. Ich blicke anders darauf. Die Überforderung, die sich seit einigen Jahren bei vielen Priestern zeigt, führt zu Burnout, macht Angst, die sich in depressivem, aggressivem und arrogantem Verhalten zeigen kann. Arroganz wird meist mit Macht in Verbindung gebracht. Dabei ist sie häufig der Ausdruck der Ohnmacht und Angst, die sich dann in einem Gehabe der Überheblichkeit äußert. Ja, auch ich kenne Priester, die ihre Macht gegenüber Mitarbeiter*innen und Ehrenamtliche raushängen, sich auch schon mal arrogant gebärden, allerdings habe ich in meiner 30-jährigen Fortbildungstätigkeit mit Priestern wenige dieser Exemplare getroffen. Jemand, der nämlich wirklich Macht besitzt, hat meistens die innere Größe, großmütig zu sein und braucht seine Macht nicht raushängen lassen.

Wie soll das weitergehen?

So wie es gerade läuft, kann es und wird es auch nicht weitergehen. Eigentlich ist Trauerarbeit bereits überfällig. Wenn jemand oder etwas stirbt, braucht es seine Zeit, um mit den unterschiedlichen Gefühlen fertig zu werden. Priester schauen seit Jahren mit Schrecken auf das Werk ihrer Institution. Fühlen sich oft hilflos diesen Bistumsverwaltungen ausgeliefert. Zweifeln an ihren Berufungen, wenn ihnen die „Schäfchen“ weglaufen. Dürfen die Hilflosigkeit, die Wut, der Schrecken und die damit verbundenen seelischen Verwundungen ans Licht oder muss jeder selber im stillen Kämmerlein damit fertig werden? Diese Arbeit mit der eigenen Seele ist Schwerstarbeit und braucht Solidarität, Gemeinschaft und Akzeptanz, auch von den Verantwortlichen. Ich muss mich zu meinen Gefühlen zu meinem Schmerz, zu meinem Scheitern bekennen dürfen. Wenn aber „Gefühle zeigen“ nicht gewollt ist, werden auch Priester sich schwertun, sie bei sich zuzulassen. Was passiert aber mit den unterdrückten Gefühlen? Sie deformieren den Menschen. Wut und Schmerz brauchen einen Schutzraum, wo sie ohne Angst vor Repressalien geäußert werden dürfen. Erst dann können die Verletzungen heilen. Achtlosigkeit oder Ignoranz führen in den meisten Fällen eher dazu, dass alles schlimmer wird.

Priester wie Gläubige sollten sich die Zeit nehmen, um Trauerarbeit zu leisten. Denn beide Seiten sind betroffen. Der Boden, der mit Wut, Angst, Aggression, Selbstmitleid oder Rache kontaminiert ist, lässt Fruchtbares nicht mehr wachsen. Da muss erst das Entsorgungskommando ran, um den Seelenmüll wegzuräumen. Erst dann können die Beteiligten miteinander neue Wege suchen, die nicht am Schreibtisch geboren, sondern in der Praxis angegangen werden. Dafür braucht es Mut vor Ort von allen Beteiligten und Unterstützung, nicht Ausbremsung durch die Bistumsverwaltung. Keine Ermahnungen, Forderungen oder theoretische Abhandlungen, keine kleinlichen Vorschriften und zu enge Regeln, sondern Ermutigung und möglicherweise finanzielle Hilfen, denn die vor Ort wissen, was sie brauchen. Sie können kreative Lösungen entwickeln.  

 

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Kategorie: Kirche

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