Mein Leben verdanke ich nicht nur meinen Eltern, sondern auch einer Lebensenergie, die mein Leben will. Ich kann sie Gott nennen. Ich stehe also in Verbindung mit einem Größeren. Will ich diese Beziehung, muss ich sie pflegen. Wenn ich dem Kindesalter entwachse, kann ich mich entscheiden, ob ich in diesem Bund bleiben will. Er hat mir bei der Geburt schon diesen Bund zugesichert, sonst wäre ich nicht in mein jetziges Alter gekommen. Er wird ihn von sich aus nicht lösen. Aber ich, will ich diese Beziehung mit aller Konsequenz wirklich?
Ich bin frei zu entscheiden
Ich habe die Wahl, mein Leben mit oder ohne Gott zu gestalten. Ich kann mich für Gott entscheiden, der im Urgrund von allem, was ist, wirkt. Er hat mir nicht nur den Lebenswillen gegeben, sondern auch meine Begabungen grundgelegt. Damit ich die Begabungen umsetze, gibt es für mich einen Lebensauftrag, eine Berufung, die ich in meinem Beruf für andere umsetzen kann. Damit hinterlasse ich einen einmaligen Fingerabdruck. So einmalig, wie mein Fingerabdruck werde ich selbst, wenn ich meinen Lebensauftrag annehme. Mit all dem gehöre ich zu seinem Bundesvolk, denn der Bund wurde nicht mit einigen nur geschlossen, sondern mit allen, die sich zu dem Bundesvolk versammeln. Die 12 Apostel repräsentieren die 12 Stämme Israels. In diesem Bund wird man durch die Taufe Mitglied. Inzwischen sind Menschen aus allen Nationen getauft. Auch dem Islam liegt der Bundesgedanke zugrunde. In unseren Breiten scheint er brüchig geworden zu sein.
Verlasse ich Gott, wenn ich aus der Kirche austrete?
Es sind viele Austritte aus den Kirchen zu verzeichnen. Was bedeuten sie? Was veranlasst Menschen, das zu tun? Verlassen sie den Bund mit Gott oder geben sie nur die Mitgliedschaft in einer Institution auf? Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass es nicht bei jedem die Ablehnung Gottes ist, wenn sie sich von der Kirche abwenden. Was aber ist es genau? Es lassen sich vielfältige Gründe finden. Einige davon:
Nicht versöhntes Gottesbild
Manche haben als Jugendliche die „Kirche“ insbesondere die Strenge der Beichtpraxis mancher älterer Priester, die ihnen ein düsteres Gottesbild vermittelten, als großen moralischen Druck erlebt. Sie mussten sich im Erwachsenenalter davon befreien. Emotional bleiben für lange Zeit, wenn nicht sogar für immer, Ärger und Zorn sowohl auf dieses ungnädige Gottesbild als auch auf die Vertreter der Kirche zurück. Da wird nicht nur die Institution mit ihren Hauptamtlichen abgelehnt, sondern auch ein Gott, der ihnen als hart und unbarmherzig vermittelt wurde. Der Einzelne konnte das für sich nicht aufhellen, so dass er nicht mit diesem Gott und dieser Kirche versöhnt leben kann.
Themen wenig alltagstauglich
Andere erleben die Themen, die in der Kirche abgehandelt werden, als fern von ihrer Lebenswelt. Abgehoben und ohne Relevanz für ihren Alltag, wenn sie nicht erkennen können, wo sie Unterstützung für ihre Fragen und vor allem Sinnstiftung für ihr Leben finden. Eine Auslegung der Bibeltexte reicht ihnen nicht als Antwort. Von dieser Reaktion ist die Caritas auszunehmen. Sie ist viel näher bei den Menschen und ohne sie wären viele Hilfsangebote in unserer Gesellschaft nicht entstanden. Aber sind die Gottesdienste und die Bildungsangebote der Kirche nahe genug bei der Caritas?
Charismen der Ehrenamtlichen werden nicht geschätzt
Andere, die sich ehrenamtlich, z.B. in der Kommunionvorbereitung ihrer Kinder engagieren, wollen nicht zu Befehlsempfängern von Hauptamtlichen werden, sondern mitgestalten, Ideen wie Erfahrungen verwirklichen, die der aktuellen Lebenssituation mehr entspricht.
Da sind Offenheit und Flexibilität der Hauptamtlichen gefragt, damit das Engagement derjenigen, die ihren Kindern etwas vermitteln wollen, nicht ins Leere geht. Schließlich sind gerade Eltern mit ihren aktuellen Erfahrungen aus der Erziehung ihrer Kinder die Experten dafür, wie Kinder ansprechbar sind. Werden ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen die seit Jahren festgeschriebenen Konzepte offeriert, die sie nur ausführen sollen, ist ihr Charisma nicht gefragt. Es scheint eine Theologie zu fehlen, die die Hauptamtlichen befähigt, das Charisma der Engagierten nicht als Bedrohung ihrer Kompetenz, sondern als Geschenk des Heiligen Geistes aufzugreifen. Es ist nicht nur ein Faktum auf der psychologischen, sondern auch auf der theologischen Ebene. Das wird schon an den Bezeichnungen deutlich. Es gibt Hauptamtliche, sie scheinen wie Führungskräfte das Unternehmen zu bestimmen und dann gibt es Ehrenamtliche, die es wegen der Ehre tun. Wenn der Unterschied zwischen Haupt- und Ehrenamt durch die Bezahlung bestimmt wird, dann wären die Hauptamtlichen eigentlich die Dienstleister der Ehrenamtlichen.
Das erklärt auch, weshalb Hauptamtliche immer unzufriedener werden. Das kann man sich am Vergleich mit einem Gärtner klarmachen. Wenn der Gärtner seinen Garten nicht jedes Jahr mit frischem Kompost unterstützt, verkümmern die Pflanzen und blühen irgendwann auch nicht mehr. Da bleibt dann nur noch Frust. Wenn Ehrenamtliche, die Ideen einbringen wollen ausgebremst werden und daraus die Konsequenz ziehen, ist der Austritt weniger eine Kündigung an Gott, sondern sie verlassen das Team, weil sie nicht erkennen können, dass den Kindern ein tragfähiger Zugang zu Gott vermittelt wird.
Ehrenamtlichen fehlt oft Unterstützung
Wenn jemand ehrenamtlich verantwortungsvolle Aufgaben übernimmt, die sie auch mit Kreativität ausführen, kommt es mit Notwendigkeit zu Interessengegensätzen, die auch in Konflikte münden können. Gibt es Konflikte oder wird etwas schwierig in der Umsetzung, haben sie eigentlich Anspruch auf Unterstützung durch die Hauptamtlichen. Da sind dann die gefordert, die für ihre Arbeit ausgebildet und bezahlt werden. So manche Ehrenamtlichen klagen aber, dass sie in ihrer Arbeit ziemlich allein gelassen werden. Ich kenne Fälle, wo Hauptamtliche sich von Ehrenamtlichen distanzieren, die in einen Konflikt geraten sind oder einfach das Geld, das für eine Aktion versprochen war, nicht auszahlen. Genauso enttäuschend ist es, wenn Hauptamtliche sich Erfolge der Ehrenamtlichen auf die eigene Fahne schreiben. Dieser Frust leitet zumindest den inneren Ausstieg ein.
Religion „Opium fürs Volk“
Während die einen die hauptamtlich gemanagte Kirche nicht mehr als tragfähig erleben, gibt es andere, die Religion als eine falsche Welterklärung sehen, die den Menschen die Selbstverwirklichung verunmöglicht. Für diese ist die hohe Austrittswelle aus den Kirchen ein Beweis dafür, dass jetzt auch die Kirchenmitglieder die religiöse Weltdeutung als Illusion durchschaut haben. Diese Distanzierung von der Religion heißt nicht, dass diese Menschen nicht Probleme anpacken oder sich sozial engagieren, denn die Kirchen sind nicht die einzigen Träger eines ehrenamtlichen Engagements.
Das Versagen der Institution
Die Kirche ist nicht unbescholten. Auch das führt zu Unmut und Austritten. Es sind die Skandale die das „Fass zum Überlaufen“ bringen. Die Kirche hat im Laufe der Jahrhunderte viele Fehler gemacht. Auch die Missbrauchsfälle lasten als schwere Schuld auf ihr. Da können die vielen noch zahlreicheren Missbrauchsfälle, die in den Familien und Vereinen passieren, die Schuld nicht mindern. Wir erwarten ja gerade von den Menschen, die in der Kirche Verantwortung haben, dass sie sich den christlichen Werten verpflichtet fühlen.
Die Vertuschung des Missbrauchs wie die aktuellen innerkirchlichen „Querelen“, selbst unter den Bischöfen, haben Folgen. Viele Gläubige sind enttäuscht, so dass sie eine solche Kirche nicht mehr unterstützen. Sie wollen auch ihre Steuern dieser Organisation nicht mehr zur Verfügung stellen. Schlimmer noch, sie fragen sich auch: „Welcher Gott steckt denn hinter einer solchen Kirche“?
Kirchliche Mitarbeiter*innen können sich fragen: „Sind die Austritte Kündigungen an die Kirche oder an den Bund mit Gott“?
Das ist auch eine Frage an mich. Ich bin in einem christlichen Bereich engagiert, der auf die Nöte der Menschen eingeht und der mich mit meinen Begabungen im Einsatz fordert.
Die Notfallseelsorge
Für mich bedeutet mein Engagement als Notfallseelsorgerin, einen sinnvollen Beitrag zur Unterstützung der Menschen zu leisten, die mit dem plötzlichen Tod eines Angehörigen konfrontiert werden. Ich spüre, dass ich für diese Aufgabe einen inneren Auftrag habe und meine spirituelle Einstellung zum Leben und Tod mich für diese Einsätze befähigen. Auch wenn mich dieses Ehrenamt emotional wie spirituell oft herausfordert, fühle ich mich darin am richtigen Ort.
Auch bin ich nicht auf mich alleine verwiesen, sondern mit anderen Gleichgesinnten auf dem Weg. Ich bin in einem Team aufgehoben, das von Hauptamtlichen geführt wird, die regelmäßige Treffen moderieren. Unsere Einsätze werden reflektiert und es werden Weiterbildungen für uns organisiert. Wir bleiben auf dem aktuellen Stand. Wir vernetzen uns immer mehr mit anderen Institutionen, Polizei und Hilfsorganisationen, so dass das Netzwerk von Jahr zu Jahr professioneller arbeiten kann.
Den Bund nicht lösen
In dem Bund Gottes mit anderen zu sein und zu bleiben, ist ein Angebot an mich und alle Menschen. Dieser Bund verbindet mich mit den Menschen und Gott. Ich will ihn nicht kündigen, nicht aus der Kirche austreten wie aus einem Turnverein, den ich kündige, weil die Sportgeräte nicht ordentlich gepflegt werden oder die Übungsleiter mir nicht passen. Ich gewinne aus meiner Zugehörigkeit zu diesem Bund, Kraft und Ermutigung für die Bewältigung meines Lebens wie für die Einsätze in der Seelsorge. Ich bin in einer Glaubensgemeinschaft mit Gott aufgehoben, die mir die Freiheit zusichert, meine Talente und Begabungen umzusetzen. Ich werde nicht gegängelt, sondern unterstützt.
Mit dieser Freiheit gewinne ich auch Unabhängigkeit von dem Ärger, der mich manchmal über diese Kirche befällt. Ich kann mich davon distanzieren, denn die Fehler, die Skandale, die Unzufriedenheit in den kirchlichen Reihen sind von den Menschen selbst gemacht. Gott hat auch ihnen die Freiheit übertragen, aus ihren Talenten und Begabungen ihre Berufung zu formen, damit sie sich für die Menschen einsetzen. Gott hat seinen Bund mit uns Menschen nicht gekündigt. Die Kirchenkrise muss andere Gründe haben.
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