Wenn man dem Glaubens- und dem spirituellen Weg Luthers folgt, wäre das ja ähnlich wie wenn man Franziskus als Vorbild wählt oder die Exerzitienspiritualität des Ignatius von Loyola als Richtschnur nimmt. Da Luther und Ignatius der gleichen Epoche angehören, kann der Vergleich zwischen beiden mehr Aufschluss bringen.
Es gibt nicht nur einen Weg zu Jesus Christus. Die katholische Kirche kennt ein Nebeneinander sehr verschiedener Spiritualitäten. Benediktiner führen die Menschen über einen anderen Weg als z.B. die Dominikaner zu Jesus. Die Orden, die sich an der Augustinusregel orientieren wie die Prämonstratenser sind wieder anders als die Karmeliten. Warum sollen Menschen, die sich von Luther inspirieren lassen, nicht ebenso ihren Platz in der katholischen Kirche haben? So wie Franz von Sales hat Luther eine Spiritualität für Laien entwickelt.
Gegenseitige Anerkennung als Weg der Aussöhnung
Da der von Ignatius gegründete Jesuitenorden als Hauptgegner des Reformators gilt, wäre ein Nebeneinander von Lutheranern und Ignatianern in der katholischen Kirche ein nächster Schritt der Aussöhnung. Der erste und entscheidende Schritt war bereits die Einigung von Augsburg im Jahr 1999, als der Lutherischen Weltbunde und der Vatikan den Streit übedr die Rechtfertigungslehre beilegten. Die Theologen hatten inzwischen geklärt, dass in der Frage der Erlösung zwar unterschiedliche Begrifflichkeiten verwendet werden, aber das Konzil von Trient inhaltlich nichts anderes sagt als die Confessio Augustana. Für heute wäre die Frage weiterführen, wie Luther und Ignatius auf die neue Situation geantwortet haben.
Antwort auf eine neue Epoche
Neu für beide war der Ausgangspunkt, dass eine Epoche zuende gegangen war. Die Menschen waren unruhig geworden, denn die bisherigen Fundamente verloren ihre Tragfähigkeit. Man musste aufs offene Meer hinaus. Was nimmt man mit und mit welchem Schiffsmodell wird man die Wellen überwinden. Verbrennt man die alten Schiffe oder baut man sie um? Und welche Segel setzt man. Luther wir Ignatius sind aufgebrochen und haben am gleichen Zielpunkt festgehalten: Beide Führen zu Jesus Christus
Sowohl das Modell Luthers wie das des Ignatius haben sich als seetüchtig erwiesen. Um im Bild zu bleiben, beide Schiffe transportieren Menschen zum Glauben an Jesus Christus als ihren Erlöser. Es gibt überraschend viele Übereinstimmungen. Beide Reformer haben das Erlösungswerk Jesu in den Mittelpunkt gestellt, richten den Blick der Menschen auf eine Existenz nach dem Tode, beide haben für eine intensivere Religiosität geworben und das Vertrauen in Gott als Basis der Frömmigkeit herausgestellt. Etwas, was heute in der Verkündigung beider Kirchen zu kurz kommt: Vergebung der Sünden verschafft erst die Freiheit, um Neues anzugehen. Ignatius lässt die Exerzitien mit einem Lebensrückblick beginnen, die Konfrontation mit der eigenen Schuld ist unerlässlich, um sich von der Vergangenheit zu lösen und Neues anzugehen. Erst nach einer Beichte ist der Exerzitant offen, auf den Ruf Gottes zu hören. Wie Luther zeigt Ignatius die entscheidende Bedeutung des Vertrauens in den barmherzigen Gott ist. Beide haben beim inneren Menschen und nicht bei den Strukturen angesetzt.
Die Gestaltungskraft des Glaubens
Mit beiden begann eine neue künstlerische Epoche. Luther hat dem deutschsprachigen Kirchenlied Platz geschaffen und überhaupt die Fundamente für die deutsche Sprache gelegt. Wenn die Katholiken ein Gesangbuch in die Hand nehmen, ist das Luther - Spiritualität. Der von Ignatius gegründete Jesuitenorden hat barocke Kirchen gebaut. Für beide Reformbewegungen war Bildung essentiell, Griechisch und Hebräisch wurden gelernt. Hochschulabschüsse galten als selbstverständlich für die Prediger bzw. Priester. Beide hatten die Städte im Blick.
Umbau oder Neuanfang
In einer solchen Umbruchphase ist die Entscheidung schwierig, ob man das Bisherige ganz beiseiteschiebt, um völlig neu zu beginnen oder ab man die Tradition für entwicklungsfähig hält. Hier scheinen Luther und Ignatius weit auseinanderzuliegen. Das stimmt für ihre Aussagen, faktisch jedoch haben beide einen Neuanfang gesetzt. Ignatius hat für seine Neugründung das Chorgebet abgeschafft, was weder Franziskus noch Dominikus für ihre Ordensgründungen gemacht haben. In den Jesuitenkollegien wurde Theater gespielt und kam ein Orchester zum Einsatz. Die in der Renaissance wieder entdeckte Antike prägte, anders als im Mittelalter, die Kultur.
Luther benutzte auch neue Formen wie das Flugblatt, aber er baute die Gebetspraxis auf den Psalmen auf, die mittelalterlichen Kirchen wurden weiter genutzt, die Verehrung Mariens ist auch Teil der lutherischen Spiritualität.
Problematisch bleiben bei Luther zwei Punkte, die aber längst von den lutherischen Kirchen revidiert wurden. Es ist einmal die Einstellung des älteren Luther zu den Juden. Die war nicht rassistisch. Luther war kein Antisemit im Sinne des 20. Jahrhudnerts. Vielmehr nahm er den Juden übel, dass sie sich nicht auf den reformatorisch gereinigten Glauben eingelassen haben, die Sendung Jesu nicht erkannten. Zum anderen geht es um Religion und Waffen.
Die Konfessionskriege
Beide Konfessionen in Deutschland haben ihre Hauptschuld bisher nicht in ihre Versuche der Annäherung eingebracht: Wie konnte es schon im 16. Jahrhundert zu ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen kommen, die dann in einen Dreißigjährigen Krieg mündeten? Ignatius selbst war mit dieser Frage nicht konfrontiert, Luther musste zu den Aufständen der Bauern Stellung nehmen. Später dann waren Jesuiten wie Lutheraner mit den Fürstenhöfen verbunden. Beide Seiten hielten ihre Position für gerechtfertigt. Wenn sie damals miteinander geredet hätten, hätte der Krieg nicht 30 Jahre lang gedauert. Es war wohl damals so wie zwischen Schiiten und Sunniten, die am Persischen Golf mit ihren jeweiligen Fürstenhäusern um die Vorherrschaft kämpfen. Inzwischen sind beide Kirchen strikt gegen den Krieg. Vielleicht haben sie das Evangelium gründlicher studiert als die Protagonisten der mit der Reformation neu angebrochenen Epoche.
Das lutherische und das ignatianischen Profil
Sieht man eine christliche Spiritualität als den Zugang, den die Begründer zu Jesus Christus gefunden haben, dann sind Ignatius wie Luther in dieser Zielsetzung einig. Ignatius lässt den Exerzitanten das Evangelium meditieren. Luther lässt Christus in der Heiligen Schrift finden. Beide stellen den verzeihenden Gott vor die Augen des Suchenden. Beide haben als Suchende ihren Weg gefunden, der sich dann für andere bis heute als gangbar erwies.
Da man sich besser nur für einen Weg entscheidet, also für eine Spiritualität, sollen hier die Charakteristika des jeweiligen Profils kurz skizziert werden:
Luther ist der Meister des Wortes. Seine Schriften sind besonders für Prediger inspirierend. Auch könnte er für die Theologen eine Sprachreform bewirken. Die meist vertrackte Sprache der Theologen beider Konfessionen könnte einen gehörigen Schuss "Luther" vertragen.
Ignatius hat sehr viel weniger Themen als Luther geschrieben. Theologisch-spirituell orientiert er sich an Jesus, am Armen Jesus, wie ihn die Evangelien vorstellen. Denn er hatte eine Evangelienharmonie an seinem Krankenbett zur Verfügung. Heute würde dem ein Jesusbuch entsprechen. Da spricht Ignatius die Zeitgenossen heute mehr an als Luther, der eher den Erlöser, den Auferstandenen herausstellt. Luther hat seinen religiösen Weg mit Paulus begonnen, Dieser Zugang ist in einem Zeitalter des Bildes nicht so leicht zugänglich wie der des Jesus, der der Dorfbevölkerung Palästinas das Reich Gottes verkündet. Ist aber der Zugang Luthers nicht dringend notwendig, um sich mit den Fragen der Gegenwart auseinanderzusetzen! Wie geht der Mensch mit der Gentechnik um, was ist es Geistseele, wie soll er in dem jeweiligen Staat leben? Welche Fundamente geben einer christlichen Gemeinde Halt? Und nicht zuletzt, wenn Jesus der Christus ist, an dem und mit dem sich die Biografie jedes Menschen entscheidet und die ganze Geschichte, wie wird dieser Jesus heute verkündet. Das, was Paulus theologisch angefangen hat, muss, wenn man sich an Luther orientiert, weiter geführt werden. Ökumene hieße dann nicht bloß Aufarbeitung der Geschichte des 16. Jahrhunderts. Das führt offensichtlich nicht zu den Aufgaben, denen sich die Theologen heute stellen müssen. Weil sie das nicht tun, ist die Stimme der Theologie in den Medien fast ganz verstummt. Von Ignatius gibt es ebenso Inspiration für die Nachmoderne.
Ignatius hat als Hintergrundvorstellung seiner Exerzitien die Individualität, die sich im Lebensauftrag des einzelnen verwirklicht. Jeder ist für den Aufbau des Reiches Gottes mit seinen Begabungen unersetzlich. Den Lebensauftrag empfängt man nicht von Menschen, sondern von Gott und ist damit wird man frei. Zur Zeit des Ignatius begann das, was heute fast schon zur Last geworden ist: Ich kann wählen, ich muss wählen, was aus meinem Leben werden soll. Meine Biografie gelingt, wenn ich meinen Lebensauftrag im Gespräch mit Gott herausfinde. Die Exerzitien sind mit ihren Meditationen der konkrete Metohodos, der gesicherte Weg, den Lebensauftrag zu entdecken. Das Gespräch mit Gott geht weiter, weil der Auftrag im Blick bleiben und durch die Fährnisse der Zeit gesteuert werden muss. Hier gibt Ignatius dem Exerzitanten einen sensiblen Kompass mit auf den Weg: Das Achten auf die Empfindungen, auf die inneren Regungen zu achten. In diesen Gefühlsregungen meldet sich der Geist Gottes. Er spricht nicht mit durchdringender Stimme, sondern durch die Gefühlsqualitäten. Diese hat bereits Paulus im Galaterbrief genannt. „Die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Keuschheit; gegen all dies steht kein Gesetz.” Kap 5,22f
Dieses Hineinhören ist nicht am Morgen gefragt, sondern im Tagesrückblick, auf jeden Fall abends, Ignatius empfiehlt auch ein Innhalten am Mittag. Wenn ich auf der von Paulus beschriebenen Gefühlslinie bleibe, dann lenke ich mein Lebensschiff entsprechend meinem Lebensauftrag und heute mich vor schlechten Kompromissen.
Die römische Kirche ist „lutherisiert“
Die in Deutschland "katholisch" genannte Kirche hat Entscheidendes von Luther übernommen
- das Schreiben „Antlitz der Barmherzigkeit von Papst Franziskus dürfte auch eine Aktualisierung der lutherischen Rechtfertigungslehre sein.
- Die regelmäßige Bibellektüre wird durch die Leseordnung umgesetzt. Jeden Tag wird aus den Evangelien gelesen. In den Wochentagsmessen werden alle vier Evangelien im Jahresablauf gelesen, für die Sonntagsgottesdienste gibt es einen Dreijahreszyklus. Wer die Monatshefte Magnificat oder Credo abonniert hat, läuft auf der Spur Luthers. In diesen Heften sind neben dem Morgen- und Abendgebet auch die Lesungen für jeden Tag abgedruckt, so dass man einen größeren Teil der biblischen Texte im Ablauf des Jahres lesen kann.
- Das Gesangbuch "Gotteslob" ist die Übernahme einer Erfindung Luthers. Das zeigt ein Blick in die Orthodoxie. Dort singt die Gemeinde Refrains, während ein Chor die Hymnen vorträgt. Ein Gesangbuch gibt es nicht.
Es sind weitere Impulse Luthers zu finden, die es einem Katholiken ermöglichen, sich als Lutheraner zu verstehen, eben sich von Luther zeigen zu lassen, wie man zu Jesus findet. Hier kann mit Ignatius ein protestantischer Verdacht ausgeräumt. Wer Exerzitien nach den Schritten des Ignatius macht, soll nicht vom Exerzitienmeister gelenkt werden, sondern selbst herausfinden, was sein Lebensauftrag ist. Der früher Exerzitienmeister genannt Begleiter soll bei der Lorlag eeines zu mediteirendne Bibeltexte nur einige Punkte vorgeben. Er soll den Exerzitanen auf Entdeckugnsreise schichen: „So wird es nämlich geschehen, dass er (der Exerzitant) solange er etwas findet, was eine etwas größere Erhellung oder Erfassung der Geschichte bietet – mag sich dies aus dem eignen Nachdenken oder aus einer göttlichen Erleuchtung des Geistes ergeben – einen angenehmeren Geschmack und reichlichere Frucht erlangt, als wenn die Sache selbst ihm von einem anderen ausführlicher erzählt und erläutert worden wäre. Denn nicht das überreiche Wissen, sondern der innere Sinn und Geschmack der Dinge pflegt das Verlangen der Seele zu erfüllen.“ Zu finden bei den Anmerkungen am Anfang des Exerzitienbuches unter Nr. 2. Was geschieht, soll aus der Begegnung mit den Evangelientexten direkt vom Exerzitanten entdeckt werden. Lutherischer geht es doch nicht?
Katholisch heißt auch, Neues integrieren
Katholisch ist ja nicht ein Privileg der römischen Kirche, sondern gilt für alle Kirchen, nicht zuletzt für die Orthodoxie. Ursprünglich bedeutete es, dass nicht nur die Intellektuellen, die das Christentum auch in seinen philosophischen Aussagen verstanden haben, in den Himmel kommen. Sie nannten sich Gnostiker, im Besitz eines besonderen Wissens. Vielmehr hat Jesus zuerst die einfachen Leute für geeigneter gesehen, die Ackerknechte und die Hausangestellten. Eine Kirche wird nicht katholischer, wenn sie sich abgrenzt, sondern Neues aufnimmt. Nicht wenig hat die römische Kirche von Luther und sogar von den neuen Kirchen der Pfingstbewegung aufgenommen. Warum nicht auch die Bibelübersetzung Luthers. Die westlichen Kirchen werden aber erst katholisch, wenn sie sich den spirituellen Schätzen der Ostkirche und ihre Liturgie nicht als Menschenwerk, sondern wieder als heilig verstehen.
Und der Papst
Wenn es um Ökumene geht, dann scheint das Amt, das eigentlich die Kirche zusammenhalten soll, Hindernis für den Weg zur Einheit zu sein. Über Jahrhunderte haben sich die Päpste als Oberhaupt der lateinischen Kirche verstanden. 1054 wurde der Patriarch des Ostens von Legaten des Papstes exkommuniziert. Langsam wachsen die Päpste in eine andere Rolle. Sie gehen auf die anderen Patriarchen zu. Wenn es tatsächlich dazu kommt, dass die Kirchen sich so verständigen, dass also Taufe, Firmung, Eucharistie und Ordination gegenseitig anerkannt werden, dann braucht e jemanden, der das auch ratifizieren kann. Denn ansonsten werden einzelne Kirchen, Gemeinden und viele Christen sich diesem entscheidenden Schritt verweigern. Es wird unklar bleiben, ob das jetzt rechtmäßig ist, z.B. das Priester verschiedener Kirche zusammen Eucharistie feiern. Wenn es keinen gibt, der dem Erreichten auch Rechtskraft verschafft, gibt es eine neue Kirchenspaltung. So wie es n Russland die Altgläubigen gibt und die Piusbruderschaft das II. Vatikanische Konzil nicht anerkennt, wird der Bruch bei einer wirklichen Ökumene noch schärfer ausfallen. Wenn es keinen gibt, der mit einer Autorität, die nicht bloß demokratisch legitimiert ist, das Neu in Kraft setzen kann, werden sich die Spaltungen nur vertiefen.
Ein Kommentar von Eckhard Bieger S.J
Kommentare (1)