(c) Dag Heinrichowski

Fragen zum religiösen Überleben in Schweden

Interview mit Pater Reiner Carls SJ // Schweden

Rainer Carls gehört dem Jesuitenorden an. Er hat sich in derAusbildungszeit entschlossen, nach Schweden zu gehen. Der Schwerpunktseiner Tätigkeit sind die Religionsphilosophie sowie die Exerzitien desOrdensgründers Ignatius von Loyola.Die Fragen stellte Eckhard Bieger

Interview mit Pater Reiner Carls SJ // Schweden

Rainer Carls gehört dem Jesuitenorden an. Er hat sich in derAusbildungszeit entschlossen, nach Schweden zu gehen. Der Schwerpunktseiner Tätigkeit sind die Religionsphilosophie sowie die Exerzitien desOrdensgründers Ignatius von Loyola.Die Fragen stellte Eckhard Bieger

P. Carls, Sie sind seit 51 Jahren in Schweden tätig. Es ist eine kleine Kirche, etwa 100.000 Katholiken unter 9 Millionen Schweden. Was lässt diese Kirche überleben?

Es ist ganz richtig, dass die katholische Kirche eine kleine Minderheit unter 9 Millionen Schweden ist. Aber wenn wir daran denken, dass die Kirche als kleine Minderheit im Völkermeer des römischen Reiches als eine kleine Minderheit begann, dann muss man sich fragen, wie konnten die ersten Christen eigentlich in dieser Vielheit von Kulten, Philosophien und Lebensanschauungen überleben. Die Antwort ist: weil die ersten Christen in der konkreten Situation erfuhren, dass sie vom Heiligen Geist geleitet und begleitet wurden. Das gab ihnen Kraft, für ihren Glauben unter widrigen Umständen einzustehen und sogar das eigene Leben einzusetzen.

Der andere Gesichtspunkt muss auch überdacht werden, nämlich dass die Kirche einmal um 900 nach Christus nach Schweden kam und dass um 1100 nahezu das ganze Land christlich war. Diese Veränderung hat man oft den missionarischen Mönchen von Norddeutschland wie dem heiligen Ansgar und den anglo-irischen Mönchen zugeschrieben. Aber neuere Untersuchungen zeigen, dass bei der eigentliche Bekehrung der nordischen Wikinger weit mehr die christlichen Sklaven an den Wikingergehöften und die christlichen Kaufleute mitgewirkt haben und dass die christlichen Mönchsmissionare bisweilen in ein Land kamen, wo viele der Bewohner sich schon dem Christentum angenähert hatten. Die Katholiken hier im Lande haben eine ähnliche Situation heute, auch wenn sie nicht in einem heidnischen Land als Christen leben müssen. Aber als Katholiken mussten und müssen sie auch heute noch – freilich weit weniger – in der vom Protestantismus geprägten, aber weitgehend areligiösen und antikatholischen Umwelt, zu ihrem Glauben stehen und sogar Nachteile im Berufsleben, in der Schule oder bei Beförderungen hinnehmen. Man könnte vielleicht sagen, dass die Katholiken in Schweden überlebt haben, weil sie nicht nur traditionell religiös waren sondern wirklich aus dem tiefen persönlichen Glauben lebten.

Sie stammen aus Deutschland. Was könnte die deutsche Kirche von der Schwedischen lernen?

Da die äußere Situation der Kirche in Deutschland, auch in der nordischen Diaspora, verschieden ist von der Situation der weitgehend ausländischen Katholiken in Schweden, meine ich, dass man eigentlich nicht viel lernen kann, wenn lernen darin besteht, dass man allgemeine strukturelle, ökonomische oder pastorale Modelle kopieren will. Dann kann die katholische Kirche in Schweden kaum als Inspirationsquelle benutzt werden. Was die deutsche Kirche eventuell lernen kann, lässt sich am besten mit einem Beispiel aus der schwedischen Pastoral beleuchten. Einer der einsamen katholischen Pfarrer im nördlichen Schweden mit den anderen Pfarreien auf mehr als hundert Kilometer Abstand, erhielt Besuch von einem deutschen Generalvikar. Dieser fragte ihn, nach der Anzahl der Konvertiten während der mehr als zehn Jahre Tätigkeit in dieser Gemeinde. Als er die Antwort erhielt: „Zwei“, reagierte der deutsche Besucher mit den Worten: „Was haben sie denn die ganze Zeit gemacht?“. Der schwedische Pfarrer antwortete ihm: „Ich habe ausgehalten.“ Vielleicht gibt diese Antwort besser Bescheid darüber, was man in Deutschland lernen kann, als eine Menge theoretische Lösungen auf pastorale Fragen.

Sie haben sich intensiv mit der Situation des Menschen in der Moderne beschäftigt. Schweden will ein modernes, säkularisiertes Land sein. Was für einen Menschentyp bringt die Moderne hervor?

Die Antwort auf diese Frage ist nicht ganz leicht, weil man nicht weiß, ob der moderne Menschentyp in Schweden eine Folge des nördlichen Klimas oder eine Folge der Moderne ist. Aber man kann mehr oder weniger hypothetisch davon ausgehen, dass jemand, der seine Abhängigkeit von einer transzendenten Wirklichkeit, nicht nur von Gott sondern auch von einem absoluten Wertsystem, abweist, in sich selbst zurückgeworfen wird und seine Existenz in einer Art „splendid isolation“ gestalten muss. Das bedeutet: Der Einzelne wird sehr einsam, da er sich nicht in etwas Übermenschlichen verankern kann und auch in der Gesellschaft mit den andern letzten Endes einsam bleibt. Als wir in den siebziger Jahre unter Studenten eine Umfrage machten und nach ihren größten Problemen fragten, kam „Einsamkeit“ an erster Stelle, und ich glaube nicht, dass sich diese Situation stark verbessert hat. Eher würde ich annehmen, dass sie sich noch mehr in diese Richtung entwickelt hat. Der moderne, säkularisierte Mensch ist einsam geworden, da er sich nicht länger an etwas Anderes binden will und so nicht mehr lebenskräftige innere Beziehungen aufbauen kann. Die Scheidungsrate bei den geschlossenen Ehen, das Verhältnis der Eltern zu den erwachsenen Kindern und der jungen Erwachsenen zu ihren Eltern und die Verhältnisse in Schulen und auf Arbeitsplätzen zeigen das sehr deutlich. Damit will ich keineswegs sagen, dass die Situation in früheren Generationen ideal war. Aber die menschliche Einsamkeit und persönliche Beziehungslosigkeit ist heute sehr auffallend.

Was kann die christliche Botschaft diesem Menschen eigentlich sagen?

Die christliche Botschaft kann dem modernen Menschen, aber nur unter gewissen Voraussetzungen, sagen: Du bist nicht allein und isoliert in der Welt, sondern Du bist im tiefsten Grunde bezogen auf den Gott, der Dich in Liebe erschafft und erlöst. Je mehr Du in Deinem Leben von diesem Gedanken inspiriert wirst, desto mehr kannst Du Dich in einen Zusammenhang mit Gott und mit dem anderen Menschen erfahren und zugleich Deinen Eigenwert als menschliche Person. Dieser Zusammenhang mit Deinem Schöpfer, der auch Dir Deinen Wert gibt, führt Dich, wenn Du dich nicht egozentrisch verschließt, unvermittelt in einen lebendigen und lebensschaffenden Zusammenhang mit Deinem Nächsten, sei es in Deiner Familie, am Arbeitsplatz, in Freundschaft oder in Deiner kirchlichen Gemeinde.

Wie vermittelt die Kirche in Schweden ihre Botschaft an die Menschen.

Vermutlich kann man direkt einsehen, dass sich diese Botschaft vom Menschen als einem Wesen in lebendigen, existentiell tragenden persönlichen Beziehungen und der Weg zu diesem Menschen nicht theoretisch durch Vorlesungen, Predigten oder Bücher vermitteln lässt. Damit will ich nicht sagen, dass man nicht darüber sprechen, predigen oder schreiben sollte. Aber die eigentliche Vermittlung muss meiner Meinung nach in einem lebendigen Dialog von Person zu Person geschehen, in dem man dem anderen hilft zu entdecken, dass er, dass sie vor Gott unendlich wertvoll ist, so sehr wertvoll, dass Gott sogar bereit war, für den Einzelnen in den Tod am Kreuz zu gehen. In diesem Dialog wird dann zugleich eine persönliche Beziehung erstellt und die menschenfeindliche Einsamkeit überwunden. Ich meine also, dass weder das gesprochene noch das geschriebene Wort allein reicht, um den einsamen Menschen aus seiner Situation herauszuhelfen, sondern nur der persönliche Kontakt zum Anderen, ohne dass man in diesem Kontakt sich an den anderen bindet oder den anderen an sich bindet. So wie der hauseigene Sklave in Rom oder bei einem schwedischen Wikinger durch seine Standhaftigkeit und Menschenliebe den Grund dafür gelegt haben, dass der Hausherr Christ wurde.

Es gibt einen Schweden, der ein religiöses Tagebuch Geschieben hat, Dag Hammarskjöld. Er war erster Generalsekretär der UN. Wie haben die Schweden auf dieses Buch reagiert?

Die Antwort auf diese Frage kann nicht ganz eindeutig sein, weil man in Schweden natürlicherweise sehr stolz ist über den schwedischen Generalsekretär der UN, aber gleichzeitig nicht ganz seine religiöse Haltung verstehen und in das eigene Leben integrieren kann. Gewisse christliche Gruppen lassen sich teilweise von seinen „Vägmärken“ inspirieren, aber das Buch hat keine tiefere Durchschlagskraft in der schwedischen Mentalität gehabt. Man kann es etwa mit den unbedeutenden Einflüssen von Kierkegaards Philosophie auf die dänische Mentalität vergleichen.

Was ist Ihnen selbst über den christlichen Glauben durch die Begegnung mit der schwedischen Kultur klar geworden?

In meiner Begegnung mit der schwedischen Kultur und Mentalität ist mir sehr klar geworden, dass der christliche Glaube nicht eine Art Ideologie ist, der man sich anschließen kann oder auch nicht. Freilich muss dieser Glaube durch das Menschenwort lebendig werden, aber nicht, wie ich vorhin schon angedeutet habe, allein durch das Wort in einem theoretischen Vortrag oder einem gelehrten Buch, sondern durch das Wort im lebendigen Dialog mit dem Anderen oder eventuell in einer Predigt, in welcher der Andere als lebendiger Partner betrachtet wird und nicht nur als ein Ungelehrter, für den eine religiöse Vorlesung notwendig wäre.

Die Fragen stellte Eckhard Bieger



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