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Ermüdeter Katholizismus

Die Katholische Kirche in Deutschland erscheint wie ausgelaugt. So viele Tagungen und Konferenzen, so viel Ringen um gut Lösungen – sie münden in der Ermüdung. Es kostet alles so viel Organisationsaufwand. Vom Geist ist kaum noch etwas zu spüren. Im Rückblick zeigt sich, wie die Kirche in Deutschland sich in die Bedeutungslosigkeit hineingearbeitet hat.

So wie der Baum nur nach außen so vertrocknet, hat auch die Katholische Kirche innen Kraft für neues Laub. Jedoch hat der Synodale Weg Neues nicht ausschlagen lassen. Zu diesem hatten sich zwischen 2019 bis 2023 69 Bischöfe und 161 Katholikinnen und Katholiken versammelt. Sie haben beraten, wie die Katholische Kirche in Deutschland wieder anziehend werden kann. Jedoch haben die Kirchenaustrittszahlen einen neuen Höchstwert erreicht. Sie konnten durch die Beratungen auch nicht sonderlich beeinflusst werden, denn die Ergebnisse der Beratungen fanden in den Medien erst Resonanz, als Kritik aus Rom kam. Es gab zudem einen eigentümlichen Unwillen, die Dokumente zu lesen. Die Katholiken wie die Gesellschaft können auch nicht erkennen, dass Neuerungen eingeführt wurden, die das religiöse Leben vor Ort intensivieren. Die Zahl der Gottesdienstteilnehmer geht weiter zurück. Es ist bereits wie beim Fußball. Mehr Leute verfolgen den Sonntagsgottesdienst am Bildschirm und sind auch entsprechend wenig in der Gemeinde präsent.

Wer ist Protagonist des Religiösen?

Wenn Katholiken die Kirchensteuer nicht mehr zahlen wollen, wird das mit Säkularisierung, also als Glaubensverlust erklärt. Es wäre sozusagen eine Ursache, die von außen in die Kirche einwirkt. Aber gibt es die Kirche, weil die Gesellschaft eine gestaltende Kraft für das Religiöse will, oder ist die Kirche aus eigenem Willen da? Dann müsste sie die Sinnhaftigkeit von Glauben als Idee nicht nur in den eigenen Reihen vermitteln, sondern in der Kultur das religiöse Feld beackern. Dazu reichen die Gottesdienste nicht. Es müsste über Krankheit und Sterben, über Sinnhaftigkeit im Beruf, über die Gestaltung von Partnerschaften und Familie, über den Ursprung des Weltalls, die Stellung des Menschen im Kosmos Relevantes bei der Kirche zu finden sein. Ökologie hieße dann nicht bloß, im Winter weniger zu heizen, sondern "Bewahrung der Schöpfung", weil die Religion am besten erklären kann, dass die Lebewesen nicht dem Menschen, sondern Gott gehören. Diese Themen scheinen aus der Kirche ausgewandert zu sein. Sie finden weiterhin ihre Protagonisten, aber münden noch nicht in die Ausdrucksform "Gottesdienst". Es bliebe dann immer noch das Thema "Erlösung". Aber auch die Frage kam im Beratungsprozess des Synodalen Weges nicht mehr vor. Sie hätte sich mit dem Sexuellen Missbrauch gestellt. Die Frage wurde nur als Problem im Dokument über die Priester kurz thematisiert. So kann die Gesellschaft an der Katholischen Kirche nicht ablesen, wie mit Schuld umgegangen werden kann, damit diese nicht weiter zerstörerisch wirkt. Prävention reicht nicht, wenn eine Kirche sich der Schuld in den eigenen Reihen stellt. Denn die Schuld bleibt als stinkender Haufen im Keller liegen, wenn man nur für die Zukunft erklärt, vorscithiger zu sein. Woher kommt es aber, dass die Versammlung über die Mahnung des Papstes hinweggegangen ist, der in einem Brief an die deutschen Katholiken empfohlen hatte, sich dem Schmerz der Reue auszusetzen.
Die Katholische Kirche in Deutschland hat offensichtliches Wichtiges verloren. Katholiken aus anderen Ländern stellen das verwundert fest. Im Rückblick zeigt sich, dass die Weichen, die zur jetzigen Situation geführt haben, sich schon bald nach dem Konzil gestellt haben. Die Reform, die das Konzil in vielen Regionen in Gang gesetzt hatte, wurde für Deutschland als nicht mehr notwendig gesehen. Denn, so die Überzeugung der deutschen Bischöfe damals, hat das Konzil das bestätigt, was in Deutschland schon Praxis war. Es kam dann zu folgender Reform-Idee

Reform: nur den Modernitätsvorsprung der Bundesrepublik einholen?

Das Konzil endete, als sich die geistigen Kräfte sammelten, die dann 1968 die ganze Kultur umpflügten. Die von Studenten getragene Revolte wählte sich den Marxismus als Leitidee. Jedoch wurde die "Arbeiterklasse", anders als Marx es prognostiziert hatte, nicht von dem revolutionären Geist erfasst, so dass die Achtundsechziger-Bewegung eine Revolution der Kultur und vor allem der Sexualität wurde. Sie fand in den Universitäten, den Theatern, im Film, in der Kindererziehung, also in den Feldern statt, in denen die Kirche mit vielen Einrichtungen vertreten ist. Das Spezifische der Kulturrevolution lag nicht im Sozialen, sondern in der Sexualität. Die "Repression", die eine Revolution notwendig macht, wurde nicht mit Marx im Sozialen ausgemacht, sondern mit Wilhelm Reich in der starken Disziplinierung der Sexualität. Diese wurde zur Erklärung des Faschismus mit dem Politischen in folgender Weise verbunden:

        Die Unterdrückung des Sexuellen sei die Voraussetzung für die politische Repression.

Der kapitalistische Anteil dieses Revolutionskonzeptes wurde immer kleiner. Die Soziale Marktwirtschaft war zu erfolgreich, die Arbeiterschaft sah keinen Grund, den Studenten in ihrem Marxismus zu folgen. Die Mittelschicht spürte sich, anders als heute, im Aufwind, so dass man an die Optimierung des Privaten gehen konnte. Diese Ausformulierung der Revolution erklärt nicht nur, dass die Studenten schon biologisch und dann auch intellektuell zu Protagonisten einer sexuellen Revolution wurden, sie führte auch dazu, dass keine Konzepte entwickeln wurden, dem im Neoliberalismus verschärften Kapitalismus entgegenzutreten. Die Kirchen blieben auch deshalb ruhig, weil der Lohnzuwachs mehr Geld in ihre Kassen spülte. Dass heute Menschen, die nicht an diesem Wirtschaftswachstum partizipieren, sich nicht mit einer Erhöhung des Mindestlohnes abspeisen lassen und ihre Unzufriedenheit durch Unterstützung der AFD anmelden, ist so erklärbar. Sie wählen die Partei aus Protest, nicht unbedingt wegen ihres Programms.

Wie Sexualität zum Thema des obersten Laiengremiums wurde

Die sexuelle Revolution erfasste auch die Kirchenmitglieder und bewirkte, dass das Zentralkomitee der Katholiken seit diesen Jahren nicht mehr eine gesellschaftspolitische Forderung an die erste Stelle setzt, sondern die Abschaffung der Zölibatsverpflichtung. Die Ehelosigkeit der Priester wird nicht als Freisein für den Dienst an der Gemeinde, sondern als repressive Maßnahme des Vatikans interpretiert. Da die Sozialliberale Koalition die Strafbarkeit der Homosexualität aufhob, die Ehescheidung reformierte und andere gesetzliche Regelungen der Sexualität wegräumte, kam es innerhalb der Katholischen Kirche in Deutschland zu der Überzeugung:

Die Bundesrepublik handelt erfolgreich. Wenn die Kirche zu wenig Resonanz findet, dann deshalb, weil sie entscheidende Reformen nicht übernommen hat. Deshalb sieht das oberste Laiengremium seine Aufgabe darin, diese Reformen in der Kirche durchzusetzen.

Verführerisch bleibt weiter der wirtschaftliche Erfolg der Bundesrepublik, denn daran partizipieren die Kirchen durch den Zufluss aus der Kirchensteuer. Die können aber Viele nicht mehr einplanen, weil die Energiekosten und die Inflation zum Sparen zwingen. Hier zeigt sich, dass die zu starke Anpassung an die Bundesrepublik auch Folgen hat. Da die Kirchen mit dem vielen Geld viele Planstellen und Gebäude einrichten konnten, ist der Betrieb teuer geworden. Sie hätten auch früher überlegen müssen, ob eine Inflation unbedingt zum Kirchenaustritt führen muss, weil man nur durch den Gang zum Rathaus die Verpflichtung zur Beitragszahlung loswerden kann. Muss man tatsächlich die Glaubensgemeinschaft verlassen, wenn man den Beitrag nicht mehr zahlen kann oder auch nicht will. Auch hätte sich die Kirche für die Schattenseite des Neoliberalismus interessieren müssen. Die Politik, die noch mehr vom Geld der Reichen abhängig ist, braucht gesellschaftlichen Rückhalt, um die Schere zwischen Arm und Reich nicht größer werden zu lassen. Was die Politik kaum kann, aber eine Kirche, ist die Zusage, dass der Wert eines Menschen nicht am Geld abgelesen werden darf, das jemand zur Verfügung hat. Dass die untere Mittelschicht diese Zusage nicht erhält, liegt auch daran, dass eine Erhöhung der Sozialhilfe zwar hilfreich ist, aber nicht für das Selbstbewusstsein der Empfänger. In Zeiten der Inflation wird das für die unteren Lohngruppen noch demütigender, weil sie nicht, wie die Gutverdienen, die höheren Lebensmittel- und Energiepreise einfach „wegstecken“ können. Wie aus der Zeit gefallen der Katholizismus ist, wird an folgender Feststellung der Präsidentin des Zentralkomitees der Katholiken ablesbar:

„Die These einer erschöpften Gesellschaft teile ich nicht. Wir können zufrieden sein, wie Deutschland im internationalen Vergleich die Pandemie bewältigt hat und im Vergleich zu den Ländern des Südens tragen wir bezüglich Kriegs- und Klimafolgen relativ gesehen bisher die kleineren Lasten“.  Imre Stetter-Karg in „Kirche und Leben“ vom 15.8.2023

Der Unterschied liegt nicht darin, dass man nicht das sagen darf, sondern nur in der Blickrichtung. Im Rückblick würden noch Viele zustimmen. Aber nicht nur Schwarzmaler sehen größere Probleme in der Zukunft. Die Jüngeren wissen, dass die Klimakrise nicht bewältigt ist und ihre Zukunft bedroht. Die Klebeaktionen sind nicht als Happening inszeniert. Die mittleren und unteren Bevölkerungsschichten sehen die Kapazitäten für die Integration überschritten. Es sind ja diese unteren Lohngruppen, denen die Integrationsarbeit im Stadtviertel und am Arbeitsplatz abverlangt wird. Hinzu kommt die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich und dass die Wiedervereinigung emotional misslungen ist.
Es geht nicht mehr um Optimierung des Wohlstandes, sondern um Abstiegsangst. Die Entfremdung von den Schichten, die einmal die Mitglieder von Frauengemeinschaft, von Kolping und KAB gestellt haben, macht die Katholische Kirche in Deutschland zum Auslaufmodell. Weltweit hat sie sich anders, nicht erst mit dem jetzigen Papst, zu den Armen hin orientiert.  

Der Synodale Weg ist in der Sackgasse der Achtundsechziger stecken geblieben

Wenn die von den Studenten weltweit in Gang gesetzte Revolution in den westlichen Ländern auf die Formel gebracht werden kann: Wir vertrauen auf die Wirtschaft und können uns der Optimierung der gesellschaftlichen Verhältnisse widmen, dann erklärt das, warum diese Studenten keine Gegenbewegung gegen den Neoliberalismus und dann gegen die vollständige Überwachung durch die Internetkonzerne auf die Beine gebracht haben. Weil man so mit sich selbst zufrieden sein kann, braucht man sich auch nicht der Sünde zu stellen, mit der die Kirche durch den Sexuellen Missbrauch konfrontiert ist. Aber das gilt nur für die von den bischöflichen Verwaltungen organisierte und von der Kirchensteuer finanzierte Kirche. Aus dem inzwischen größeren, weil lebendigeren Teil der Kirche, es sind die vielen Einrichtungen der Caritas, wird eine neue Katholische Kirche in Deutschland hervorgehen. Diese Einrichtungen bekommen zwar nur Brosamen von der Kirchensteuer, aber erzeugen eine Grundstimmung, die aus dem Engagement für andere kommt. Warum die vielen Sitzungen den Hauptermüdungsfaktor der katholischen Kirche in Deutschland erzeugen und wie der Sexuelle Missbrauch nur verwaltungstechnisch angegangen wurde, wird in zwei weiteren Beiträgen nicht mehr kritisiert. Denn wenn vorher die Religion selbst Thema wird, wird deutlich, dass sie auch Angst macht. Dieser Angst ist die Katholische Kirche in Deutschland auf ihrem Synodalen Weg erlegen. In der Reform sollte es nicht um den Teil der Religion gehen, den Menschen verbessern können, sonden um den, den man nicht organisieren kann.

Wie die oberste Repräsentantin der katholischen Laien die AFD aus der Kirche heraushalten will, erklärt sie in einem Interview mit der Münsteraner Kirchenzeitung. Das Interessante: Katholiken müssen überwacht werden. Hier zum Beitrag AFD-Austreibung

Warum die AFD in den Neuen Bundesländern so viel Zustimmung erfährt, wird von kirchlichen Beobachtern so erklärt: AFD-Wähler sehen die Wiedervereinigung als Niederlage


Kategorie: Kirche

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