Foto: Dominik Lanzershofer

Die Wiener stehen grantig zusammen

Der Terroanschlag ist eine Medieninszenierung, die Angst einjagen soll. Ist es den Islamisten gelungen, die Wiener einzuschüchtern? Antonia Franckenstein, Wien, schildert die Reaktionen der Menschen

23 Verletze und 4 Todesopfer sind zu beklagen. Lange ist nicht klar, ob der Täter allein gehandelt hat. Der Verdacht legt einen islamistischen Hintergrund nahe. Mittäter werden vermutet und befürchtet. Die Polizei sperrt die Innenstadt. Wiens Bürger werden dazu aufgefordert sich schnellstmöglich in Sicherheit zu begeben und das Haus nicht zu verlassen. So verharren viele bis in die frühen Morgenstunden in Gebäuden, die nun zum Unterschlupf geworden sind.

„Die Wiener helfen zam“

Innerhalb kürzester Zeit kursieren zahlreiche Videos des Attentäters auf „social media.“ Besorgt um die Angehörigen, laufen vielerorts die Telefone heiß. Ganz Wien verfolgt die Geschehnisse live über die Medien mit. Seine Bewohner bieten Mitmenschen Hilfe und Herberge in ihren Häusern und Hotels. Hashtags, wie #opendoorsvienna oder #prayforvienna gehen über die sozialen Netzwerke viral. Schnell wird klar: Die Wiener helfen zam! Auch ein Großteil der Einsatzkräfte lässt sich sofort in den Dienst stellen. Über 50 Rettungsmittel stehen im Laufe des Abends am Einsatzort bereit. Die 21-Jährige Viktoria S., ehrenamtliche Rettungssanitäterin beim Malteser-Hospitaldienst Austria, versorgt ein paar der ersten Patienten vor Ort. Im Nachhinein berichtet sie: „Es war sehr imposant zu sehen, wieviele Organisationen sich in so einer Notsituation in Windeseile koordinieren (...) und ihre Unterstützung bieten und helfen.“

Der Tag danach

Am Tag danach steht Österreich unter Schock. Wien ist weiterhin im Ausnahmezustand. Die allgemeine Schulpflicht wird für einen Tag aufgehoben und die Bevölkerung dazu angehalten den Tag zu Hause zu verbringen. Österreichs Regierung verhängt eine dreitägige Staatstrauer. Die Vertreter der Religionsgemeinschaften und die österreichischen Regierungsvertretern gedenken den Opfern und ihren Angehörigen. Ein Trauergottesdienst wird im Wiener Stephansdom abgehalten. Es folgt ein Trauermarsch und eine Kranzniederlegung an den Tatorten. Gemeinsam setzen die Vertreter der Religionsgemeinschaften „ein starkes Zeichen der Verbundenheit“, wie die Zeitung „Kurier“ betont. Kardinal Christoph Schönborn bekräftigt in einem Interview mit dem ORF, dass „Hass auf keinen Fall die Antwort“ sein dürfe. Des Weiteren erklärt er: „Durch die Pandemie müssen wir ständig auf Abstand sein, aber mit den Herzen dürfen wir nicht auf Abstand sein.“

Muslime verteidigen Wien

In den sozialen Netzwerken werden muslimische Helfer, die am Vortag ihr Leben riskierten, als Helden gefeiert. Wie ein Lauffeuer verbreiten sich Videos davon, wie zwei türkischstämmige Wiener eine Frau und einen Polizisten retten. Später wird bekannt, dass auch ein Palästinenser und ein Syrer Außerordentliches geleistet haben, indem sie Opfern geholfen und sie erstversorgt haben.

„Gemeinsam grantig“

In den sozialen Netzwerken reagiert man mit dem altbekannten „Wiener Grant“ auf die Situation. Es etabliert sich nun nach Vorgängern, wie #jesuischarlie, auch #schleichdiduoaschloch in der Reihe der Terrorangriff-Hashtags. Der Beigeschmack des Wiener Dialekts ist dabei nicht zu verkennen. Hintergrund für diese Formulierung ist ein Video aus der Tatnacht. Auf diesem ist zu erkennen, wie jemand von seiner Wohnung aus, den Attentäter mit „Oaschloch“ beschimpft. Viele Menschen bekunden nun durch die Verwendung dieses Spruches ihre Solidarität mit den Opfern. Sie verleihen so ihrem Unmut einen Namen. Der Blogger Andreas Rainer beschreibt die Stimmung auf seiner Plattform „Wiener Alltagspoeten“ so: „Wien ist erschüttert und Wien ist auch in diesem Moment grantig - doch im Unterschied zu allen anderen Tagen, stehen wir heute.“ Denn Wien ist in seinem Herzen getroffen. Die Innenstadt ist der florierende Mittelpunkt des Wiener Soziallebens. Neben vielen Universitätsgebäuden, den berühmten Wiener Cafés befindet sich hier am Schwedenplatz, einer der Tatorte die „Ausgehmeile“, auch bekannt als „Bermudadreieck.“

Es wird heftig gestritten

In der österreichischen Bevölkerung wird nun heftig diskutiert und Kritik geübt. Dürfen öffentliche Medien brutale Videos des Terroranschlags verbreiten? Über 700 Beschwerden werden diesbezüglich beim Presserat eingereicht. Einer der genannten Nachrichtensender ist OE24. Dieser verliert in infolge dessen, einige seiner Werbeschaltungen. Aber auch mit der Politik wird hart ins Gericht gegangen. Hat die Justiz womöglich versagt? Innenminister Karl Nehammer hat Ermittlungspannen im Vorfeld des Anschlags zugegeben. Der zuständige Leiter des Wiener Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung wird auf eigenen Wunsch abgezogen. Des Weiteren wird auch die Schließung zweier Moscheen, in denen sich der Attentäter radikalisiert haben soll, veranlasst. Doch, wie soll man mit Radikalisierung von jungen Menschen umgehen? Einer der türkischstämmigen Lebensretter ist bekennender Erdogan-Fan. Auf Videos ist zu sehen, wie er den „Wolfsgruß“, ein seit 2016 verbotenes islamistisches und nationalistisches Symbol verwendet. Präsident Erdogan inszeniert sich sogleich geschickt mit den Helden im türkischen Fernsehen. Da stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Person medial als Held gefeiert und für politische Zwecke instrumentalisiert werden soll?

„Wien lässt sich so leicht nicht unterkriegen“

Viele Fragen bleiben offen und weitere folgen. Schafft Wien es tatsächlich, sich nicht unterkriegen zu lassen? Wird der Hass gegen Muslime in Österreich zunehmen? Eine Störaktionen mit antimuslimischen Parolen, wie sie am 8. November im Wiener Gemeindebezirk „Josefsstadt“, wenige Tage nach dem Anschlag stattgefunden hat, gibt Anlass zur Besorgnis. Doch die österreichische Bevölkerung differenziert: Islam ist nicht gleich islamistischer Fundamentalismus. Es ist Aufgabe der österreichischen Staatsapparats kritisch zu hinterfragen, wie es soweit kommen konnte. Auch die Gesellschaft sieht sich in der Verantwortung, dieses Trauma gemeinsam zu bewältigen. „Die Gedenkorte werden täglich mit Kerzen versehrt und sind tagsüber fast nie menschenleer“, meint der 24-Jährige, in Wien lebende Johann F.. Die 21-Jährige Wienerin Franziska D. bekräftigt:

 „Die anfängliche Angst wurde zunächst durch Grant ersetzt und ist inzwischen in   
  Zusammenhalt übergangen, denn Wien lässt ich so leicht nicht unterkriegen.“

Antonia Franckenstein, Wien


Kategorie: Orte

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