<emphasize>Der kath.de-Wochenkommentar</emphasize>
(explizit.net/kath.de) Der internationale Konflikt um die Krim-Halbinsel in den letzten Monaten und Wochen hat anschaulich an die Tatsache erinnert, dass Ländergrenzen flexibel sind. Egal, ob die Krim zukünftig zu Russland gehören oder ein Teil der Ukraine bleiben wird – es ist klar geworden, dass auf der Schwarzmeerinsel sehr viele Menschen leben, die sich als Russen sehen und Russland zugehörig fühlen.
In ganz Europa gibt es Regionen, Gebiete und Völker, die mit ihrer Zugehörigkeit zu einem Staat unzufrieden sind und sich daher oft ein eigenes Land wünschen. Schottland möchte von England unabhängig sein, Irland hatte dies formal bereits 1921 geschafft, aber Nordirland im Vereinigten Königreich belassen müssen, was bis heute die Iren bewegt, und in Südtirol sehen sich viele Menschen trotz ihres Passes nicht als Italiener. Auf dem Balkan, einer Region vieler großer und kleiner Völker, sieht dies nicht anders aus. Aus dem ehemaligen Jugoslawien sind in den letzten knapp 25 Jahren zahlreiche Staaten hervorgegangen, zuletzt der Kosovo und Montenegro. Auch auf anderen Erdteilen finden sich separatistische Konflikte, die oft historische, kulturelle und sprachliche Ursachen haben.
Diese Auseinandersetzungen zeigen deutlich, dass das Konzept eines Nationalstaates nicht nur positive Seiten hat und durchaus kritisch gesehen werden kann. Ob und wie das geschieht ist meistens subjektiv. Die USA haben sich beispielsweise gegen eine mögliche Eingliederung der Krim in die Russische Föderation ausgesprochen, obwohl die Mehrheit der auf der Krim Lebenden in einem Referendum dafür gestimmt haben. Im Falle der Unabhängigkeit des Kosovo sahen die Vereinigten Staaten jedoch keine Probleme. Freilich sind beide Fälle unterschiedlich, doch im Großen und Ganzen geht es um die gleiche Frage: Wie ist das völkerrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Nationen und Völker im Zweifelsfall zu bewerten und umzusetzen? In der internationalen Politik spielen oft partikulare Interessen eine große Rolle.
Ein aktuelles Beispiel für einen seit Jahrhunderten schwelenden Konflikt sind die Unabhängigkeitsbestrebungen Kataloniens. Seit der Zeit der Katholischen Könige Ferdinand und Isabela im 15. Jahrhundert gibt es eine Union zwischen Katalonien und dem kastilischen Teil Spaniens, in welcher die katalanische Identität und Autonomie kontinuierlich abnahmen. In Folge des Spanischen Erbfolgekrieges verlor Katalonien 1714 jegliche Unabhängigkeit und wurde ein einfacher Teil Spaniens. In der repressiven Politik des Diktators Franco gegen alles Katalanische sehen die Vertreter der Unabhängigkeit Kataloniens den Höhepunkt der Unterdrückung. Seit dem Übergang zur Demokratie in Spanien ist Katalonien eine autonome Region, in der auch das Katalanische gesprochen und in der Schule unterrichtet werden darf. Trotz dieser wesentlichen Verbesserung ihrer Situationen fordern viele Bewohner Kataloniens eine Unabhängigkeit als eigenständiger Staat in der Europäischen Union. Laut Umfragen sprechen sich um die 35 Prozent der Katalanen hierfür aus, während ca. 25 Prozent dagegen sind. Viele Unentschlossenen bilden einen Rest von 40 Prozent. Nicht nur kulturelle und geschichtliche Gründe, die so tief sitzen, dass der 11. September als der Tag, an dem Katalonien seine Autonomie im Jahr 1714 verlor, zum Nationalfeiertag bestimmt wurde, sprechen nach Ansicht der Separatisten für eine Unabhängigkeit, sondern auch ökonomische. Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise sehen sich viele Bewohner der wirtschaftlichen starken Region als Zahlmeister für die armen Teile Spaniens.
Um den gestiegenen Forderungen nach der Unabhängigkeit Rechnung zu tragen, soll am 9. November diesen Jahres ein Referendum unter den Katalanen stattfinden. In der letzten Woche hat das spanische Verfassungsgericht in Madrid dieses jedoch für illegal erklärt, da die Unabhängigkeit auch Sache Spaniens ist. Gleichzeitig sicherten die Madrider Richter Katalonien jedoch ein Recht auf Autonomie zu. Wie weit diese jedoch gehen kann und darf, dazu äußerte sich das Gericht jedoch nicht. Der katalanische Präsident Artur Mas bekräftigte jedoch, dass seine Regierung an der Unabhängigkeit von Spanien als Ziel festhalten werde. Die spanische Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy geht jedoch keinen Schritt auf die Katalanen zu.
Während die Situation also sehr verfahren ist, mobilisieren die Befürworter der Unabhängigkeit von Spanien immer mehr Katalanen, sowohl katalanisch- als auch spanischsprachige. Am Nationalfeiertag 2012 versammelte sich bis zu 2 Millionen Menschen zu einer Großdemonstration für die Eigenständigkeit Kataloniens. Diese knapp 25 Prozent der Bevölkerung der Region bekam und bekommen immer noch Zuspruch durch Prominente. Der aktuelle Trainer von Bayern München, Pep Guardiola, unterstütze vor einigen Wochen in einem Video mit anderen bekannten Personen die Separatisten. Auf Deutsch sagte der vorige FC Barcelona-Coach: "Katalonien ist meine Heimat. Und Katalonien ist nicht Spanien". Kein Wunder, denn Guardiola ist ein fußballerisches Eigengewächs des FC Barcelona, der sich seit seiner Gründung als Hort der katalanischen Identität versteht. Der FC ist eben „més que un club“, „mehr als ein Verein“.
Am Beispiel Kataloniens wird deutlich, wie brisant die Unabhängigkeitsbestrebungen sein können, die es in Europa gibt. Sie befinden sich zwischen Nationalismus und Freiheit, zwischen Geschichte und Kultur. Im Zuge der Erweiterung und Vertiefung der Europäischen Einigung, die in der EU Form angenommen hat, sind viele Grenzen unwichtiger geworden. Gerade in einem vereinten Europa und wegen seiner Vision sollten Überlegungen um Unabhängigkeit keine Gefahren mehr für Staaten darstellen, sondern neue Möglichkeiten der Umsetzung des Rechtes auf Selbstbestimmung der Völker sein. Europa ist möglicher Missbräuche zum Trotz bereit für die Realisierung dieses Grundrechtes der Nationen. Sei es auf der Krim oder in Katalonien.
Roland Müller
<emphasize>kath.de</emphasize>
-Redaktion
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!