(explizit.net) Die Griechen waren unter Zugzwang und mussten beim Referendum abstimmen. Das griechische Volk war aber nicht in der Lage, zu entscheiden.
Krise ist Griechisch. Das Wort kommt von dem altgriechischen Verb „krinein“, das bedeutet „entscheiden.“ Den Griechen fehlten aber die wesentlichen Grundlagen für eine Entscheidung. Einerseits waren die Formulierungen des Referendums so kompliziert, dass die meisten Abstimmenden nicht wussten, worüber sie abstimmten. Andererseits sagen Juristen, dass das Referendum illegitim ist, weil keine Gesetzesvorlage damit verbunden ist. Das Referendum war vielleicht eine Meinungsumfrage, aber kein Volksentscheid.
Konnten die Griechen entscheiden?
Die Griechen konnten nicht entscheiden, weil echte Entscheidungen bestimmte Kriterien (krinein) erfüllen müssen. Eine Entscheidung, die diese Kriterien nicht erfüllt, ist keine Entscheidung oder allenfalls das, was man umgangssprachlich eine „schlechte Entscheidung“ nennt.
Als Entscheider muss ich die Gegenstände der Entscheidung kennen, die Alternativen zwischen denen ich entscheide. Bin ich über die Inhalte unzureichend informiert, kann ich nicht entscheiden.
Das griechische Volk wusste nicht, was passiert, wenn sie am Sonntag „Ja“ oder „Nein“ ankreuzen; weder die genauen Inhalte möglicher Reformen noch die Konsequenzen eines „Nein“ sind klar.
Verhandlungen verlaufen irrational
Als Entscheider muss ich gute Gründe haben, zu glauben, dass meine Entscheidung wenigstens größtenteils die Konsequenzen nach sich zieht, die ich zum Zeitpunkt der Entscheidung absehen kann. Die Entscheidung wird dadurch rational. Was passieren würde, wenn die Griechen am Sonntag ein Kreuz auf dem Zettel des Referendums machen, wussten sie nicht, da ihre Regierung mit den Spitzen der EU einen Machtkampf betreibt, in dem sie sich gegenseitig provozieren, drohen und erpressen. – Sie handeln also gezielt irrational.
Wahl zwischen zwei Übeln geht nicht
Entscheidungsgegenstände müssen Güter sein, keine Übel, denn Schlechtes kann man nicht wollen oder wählen. Die Griechen hatten aber nur Übel zur Auswahl: Wenn sie das Referendum ablehnten, drohten die Geldgeber mit dem Ausschluss aus der Euro-Zone oder gar der EU. Wenn sie dem Referendum zustimmen, würden Finanzminister Varoufakis und Premier Alexis Tsipras ihre Wähler im Stich. Von beiden Seiten steht das griechische Volk unter massivem Druck. Dieser Druck macht unfrei. Varoufakis ist nun zurückgetreten, will die Verantwortung nicht mehr übernehmen.
Griechen sind nicht frei, zu entscheiden
Eine Entscheidung muss frei getroffen werden. Wer unter Druck steht und sich davon nicht frei machen kann, trifft keine Entscheidung. Da weite Teile der griechischen Bevölkerung gegenwärtig nicht wissen, wo die nächsten Mahlzeiten, Medikamente, Mietzahlungen usw. herkommen sollen, sind sie nicht frei, denn ihre grundlegenden Bedürfnisse nicht erfüllt sind. Einem Verhungernden kann man keine Entscheidung zumuten, von der abhängt, ob er etwas zu Essen bekommt.
Ist das griechische Volk verantwortlich?
Wer entscheidet, ist verantwortlich. Wer keine Verantwortung übernehmen kann, kann nicht entscheiden. Ist das griechische Volk wirklich verantwortlich für den weiteren Verlauf der Krise, weil die Bürger am Sonntag ihr Kreuzchen gemacht haben? War das griechische Volk denn überhaupt für die Entstehung der Krise verantwortlich?
Krisenverantwortliche
Die Weltwirtschaft und genauer die Euro-Zone, allen voran Deutschland, sind mitverantwortlich für die Lage der Griechen. Griechenland ist mit falschen Bilanzen der Eurozone beigetreten. Es ist unstrittig, dass der Rest Europas, vor allem die großzügigen Kreditgeber Griechenlands, aber auch die Regierungen das gewusst haben. Man wollte ein Land, das als korrupt und heruntergewirtschaftet galt, um jeden Preis in die Eurozone holen.
Keine Rettung für Griechenland
Das viele Geld aus den Rettungsschirmen diente nicht dazu, die griechische Wirtschaft zu retten. Man wollte die Gläubiger Griechenlands vor ihrem Ruin bewahren – allen voran deutsche und französische Banken, die Griechenland die großzügigen Kredite gegeben hatten.
Neben Arbeitslosigkeit, Hunger, dem Ausbleiben von Rentenzahlungen, gesperrten Geldautomaten, fehlender medizinischer Versorgung usw. lässt Europa die Griechen nun auch noch mit den täglich neu ankommenden Flüchtlingen alleine.
Deutschland profitiert durch Export und finanziert Schuldenbremse
Der Bund profitiert von der Krise. Er hat in den vergangenen Jahren kaum konsolidierende Maßnahmen ergriffen, sondern sogar noch Ausgaben getätigt, etwa für das Betreuungsgeld oder die Rente mit 63. Durch die Geldflut aus der Rettungspolitik sind in der EU die Zinsen gesunken. Während die gewöhnlichen Sparer unter den niedrigen Zinsen leiden, muss der Bund viel weniger für seine Schulden bezahlen. Schon jetzt ergeben sich bis 2030 Einsparungen von 160.000.000.000 (160 Mrd.) Euro für den Bund. Das hat das Institut für Weltwirtschaft in Kiel berechnet. Finanzminister Schäuble kann so verkünden, dass er die „schwarze Null“ erreichen kann. Die Schuldenbremse hat sich von selbst finanziert.
Der Euro steht tief und ist gegenüber Leitwährung Dollar sehr weich. Daher lassen sich deutsche Produkte besser verkaufen. Für Deutschland sind Umsätze im Ausland besser zu erzielen als mit einem hohen Euro. Der Exportweltmeister Deutschland verdient daher an der Krise.
EU muss Fehler korrigieren
Das griechische Volk kann gegenwärtig keine Entscheidungen treffen. Deutschland und andere EU-Staaten profitieren von der Krise. Sie müssen die Verantwortung für die Lage der Griechen übernehmen, indem sie zuallererst eingestehen, dass die Krise ihnen mehr nützt als schadet. Sie müssen Fehler korrigieren. Es ist nicht solidarisch, einseitig Reformanstrengungen zu fordern. Nicht nur in Griechenland haben die Reichen zulasten der Mittelschicht gewonnen. Gerade die anderen Staaten der Eurozone brauchen Reformen, vor allem im Banken- und Finanzsystem und natürlich im Steuerrecht. Hier müssen die Entscheidungen getroffen werden.
<emphasize>(c) Matthias Alexander Schmidt</emphasize>
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