Sind Sie letzthin mit dem Gefühl in einen Zug gestiegen: "Ich komme fahrplanmäßig an." Und Ihr Fahrziel lag tatsächlich weiter als 50 km, und es war keine Privatbahn? Sie mussten auch nicht umsteigen? Ich kannte dieses Gefühl früher. Aber wie macht das die Bahn, damit man auf jeden Fall mit einem unguten Gefühl einsteigt?
Lokschaden
Der Zug kommt sogar 4 Minuten früher an. Ich steige beruhigt ein und ziehe ein Buch heraus. Beim Lesen denke ich, wir müssten doch losgefahren sein. Ein Blick auf die Uhr. Schon 4 Minuten über der Zeit. Dann eine Durchsage: Es muss etwas an der Lok repariert werden. Dann 20 Minuten Stille. Ich packe meine Sachen, um einen anderen Zug zu nehmen.
Der Grund: Keine technische Wartung. Die Betriebswirte, die sich auch die Bahn unter den Nagel gerissen, könnten auch hier den üblichen Schaden anrichten. Die Bahn meldet nicht nur für 2015 ein Defizit von 1,3 Milliarden, 30 Millionen weniger Fahrgäste, 4.3 Rückgang im Güterverkehr. Die jetzt das Sagen haben, kennen nur Zahlen. Sie können daher auch nicht verstehen, dass Maschinen gewartet werden müssen. Das Geld kann man doch sparen. Wenn dann ein IC, der noch 400 km vor sich hat, an jedem Bahnhof die Zugabfolge durcheinanderbringt und zich Überstunden beim Personal produziert, wird das auf einer anderen Kostenstelle verrechnet.
Keine Einfahrt
Wieder ein pünktlicher Zug. Fast 400 km fahrplangemäß zurückgelegt. Dann die Einfahrt in einen Kopfbahnhof, diesmal Frankfurt. Der ICE bleibt an drei Signalen nacheinander stehen. Mit viel Ruckeln und 10 Minuten Verspätung können die Fahrgäste endlich aussteigen. Man muss sich nur vorstellen, wie die Adrenalinausschüttung immer neu angekurbelt wurde, denn nicht wenige Anschlusszüge fahren nur im Stundentakt. Die Fahrgäste bleiben erstaunlich ruhig, ich wundere mich, dass noch keine Wagen demoliert wurden. Der Bahnfrust muss doch mal das Fass zum Überlaufen bringen.
Der Grund: Die Weichen. Die Betriebswirte haben festgestellt, dass jede Weiche unnötig Geld kostet, nicht nur die Installation, sondern die Wartung. Im Winter muss das Teil sogar noch beheizt werden. Als weg mit 30% der Weichen. Ideal, um gerade bei Kopfbahnhöfen für sinnlose Verspätungen zu sorgen. Wenn man das dann noch, wie in Frankfurt, mit einer neuen Software verbindet und das elektronische Stellwerk in die Stadt verlegt, so dass die Fahrdienstleiter ohne visuelle Vorstellung die Züge dirigieren sollen, ist das Durcheinander programmiert. Auch das wird auf einem anderen Konto verbucht, zumindest lassen sich die Marketingkosten erhöhen. Davon glauben die Betriebswirte der Bahn ja etwas zu verstehen. Aber die erfahrungsgesättigte Verspätungskultur der Bahn treibt die Menschen ins Auto.
Vom Ausgeliefertsein an ein unzuverlässiges System
Für den notorischen Bahnfahrer wird die Situation insofern besser, als die Züge leerer geworden sind. Wenn diese fahren, löst die Bahn ihren Wunsch nach einer "angenehmen Reise" ein, den sie ja lieber in die Verantwortung der Reisenden delegiert. Jedoch diejenigen, die mit Terminzielen unterwegs sind, wollen doch lieber das Steuer in der Hand behalten. Im Auto bleibt man trotz der Staus noch Herr seiner Zeit und muss diese nicht an ein immer unfähigeres Bahnmanagement abgeben. Lieber dem Stau mit dem Steuer in der Hand ertragen als sich den Sparzielen der Bahn mit Loks, die nicht gewartet werden oder Weichen, die fehlen und frustriertem Personal anvertrauen.
Mitleid mit den Schaffnern
Erstaunlich ist es, dass die Bahn immer noch Schaffner unter 67 Jahren hat, die durch den Zug laufen und freundliche Ansagen machen. Die müssen doch den Ärger der Reisenden aushalten. Wir Bahnfahrer sollten, auch wenn das Personal durch seine Uniform für das Unternehmen steht, aufhören, die Schaffner zu Verantwortung zu ziehen. Diesen u.a. ordentlichen Leuten hat man doch die Bahn gestohlen. Irgendwelche Investmentbanker u.a. Unglücksbringer müssen ihre Hand im Spiel gehabt haben.
Der Vorstand fliegt mit Lufthansa
Die Betriebswirte im Vorstand machen das, was man als Betriebswirt gelernt hat: Kosten reduzieren. Das Produkt verbessern oder ein System überhaupt mal am Laufen zu halten, das lernen BWLer nicht. Dass Betriebswirte die Bahn steuern, ist nicht nur an dem jetzt eingefahrenen Milliardendefizit erkennbar. Sie fahren sicher auch nicht mit der Bahn zur Arbeit oder auf Dienstreisen. Sonst hätten sie zumindest in den Zügen, mit denen sie unterwegs sind, für das Auflesen der leeren Flaschen, Tüten und Essensreste gesorgt. Natürlich fahren sie auch nicht mit der privaten Konkurrenz, dann wüssten sie auch, was saubere Klos sind.
Und warum fliegt der Vorstand der Bahn wohl lieber als sich den eigenen Zügen anzuvertrauen: Weil sie wissen, dass die Flugzeuge gewartet werden.
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