Durch dieses Fuhrmanns- und Studentenlied von der Frau Wirtin, das zuerst Marburger und Gießener Studenten verbreiteten, ist das „Wirtshaus an der Lahn“ auch überregional bekannt geworden – mit geistvollen und poetischen, meistens aber derb-frivolen Strophen. Selbst Goethe kannte das Lied, was etwas über das Alter dieses Songs aussagt. Und auch das berühmte Gesangsensemble "Comedian Harmonists" hat das Lied, von dem über eintausend Strophen überliefert sind, in den 1920er Jahren mit eigenen (!) Strophen gesungen.
Es gibt aber ein Problem: Entlang des Flusses nennt sich mehr als nur ein Gasthaus „Wirtshaus an der Lahn“; doch welches ist das echte? Kann man das überhaupt feststellen? Historisch in Betracht kommen heute zwei Gasthäuser. Ein drittes, in Marburg, der "Gasthof zum Schützenpfuhl", der sich selbst als das "Historische Wirtshaus an der Lahn" bezeichnete, wurde vor einigen Jahren zugunsten eines Verkehrsprojektes abgerissen. Eine akustische Installation an der Adenauerbrücke spielte das Lied von der Lahnwirtin, ausgelöst durch einen Bewegungsmelder, täglich von 15 Uhr bis 16 Uhr einige Jahre lang.
Goethe war in zwei "Wirtshäusern an der Lahn" zu Gast
Bleiben die beiden Wirtshäuser an der Lahn in Dausenau und Lahnstein. In jedem war Goethe auf seinen Lahnreisen zu Gast. Mehrfach kehrte er zwischen 1774 und 1815 im Wirtshaus an der Lahn in Dausenau ein, was zurzeit nicht möglich ist. Einmal, so wird überliefert, habe Goethe dort Schorle getrunken, weshalb ihn am Nachbartisch einige gesetzte Herren verspotteten. Der Dichter kritzelte daraufhin folgende Verse in die Tischplatte, die noch bis 1935 unter einer Glasplatte zu lesen waren:
Wasser allein macht stumm, /das zeigen im Bach die Fische. /
Wein allein macht dumm, / siehe die Herren am Tische. /
Da ich keins von beiden will sein, / trink ich Wasser mit Wein.
Gut pariert, möchte man da ausrufen! Aber es war ja auch ein Könner, der da antwortete – und der nachweislich das Lied von der Lahnwirtin kannte und sogar selbst eine Strophe – in einem Brief an Herzog Karl August – dazu verfasste:
"Frau Wirtin hatte auch ein Kind / das hatte einen krummen Pint / Man wollt ihn biegen gerade / doch als er gerade gerade war / da brach er ab, was schade war .
Auch folgender Vers wird laut Tagebuch des Dichters Christoph Martin Wieland Goethe zugeschrieben:
Frau Wirtin hat auch einen Schrank / Vier Klafter breit, sechs Klafter lang – / Drin hat sie Kraut und Rüben, / Womit sie in der Jugendzeit / die Rohkost hat betrieben.
Erläuternd dazu notierte Wieland am 26. November 1775: "Von Goethen gesungen, hat mir viel plaisir bereithet." Überraschung! Goethe selbst hat es gesungen, so viel steht fest, aber ob er auch der Urheber dieser Strophe war, ist damit noch nicht bewiesen. Sei´s drum, das zeigt aber, wie sehr das Lied von der Wirtin und ihrem Wirtshaus an der Lahn auch in vornehmen Kreisen verbreitet war.
Wenden wir uns jetzt dem zweiten, dem Lahnsteiner historischen Wirtshaus zu, das ganz in der Nähe der sanften Lahnmündung in den Rhein steht.
Das Wirtshaus an der Lahn in Lahnstein...
...kann auf eine über dreihundertjährige Tradition zurückgreifen. Das Fachwerkhaus wurde 1697 direkt an der Lahn, neben einem kurfürstlichem Zollturm aus dem Jahre 1348, errichtet. Um dieses herum entwickelte sich ein kleiner Hafen, der aber nicht als solcher ausgebaut wurde, er blieb also Naturhafen. Balthasar Kalkofen baute damals das alte Zollhaus der Kurfürsten von Trier in eine Gaststätte um. Nach seinem Tod übernahm seine Witwe Katharina, geborene Filsengräber, die Bewirtschaftung und führte sie bis zu ihrem Tod im Jahre 1727 weiter. Vielleicht kann man sie als "Frau Wirtin von der Lahn" betrachten, sodass ihr Wirtshaus das "echte" wäre. Dafür spricht vieles, auch die letzte Strophe des Wirtinnenliedes:
Und wer hat wohl dies Lied gemacht?
Zwei Soldaten auf der Wacht,
ein Tambour und ein Pfeifer.
Und wer das Lied nicht singen kann,
der fang es an zu pfeifen.
Tambour und Pfeiffer waren auf der Wacht im Hafen, und den gab's damals an der Lahn nur in Lahnstein; also ein schlagendes Indiz für Lahnstein als Ort des historischen Wirtshauses an der Lahn.
Um auf Goethe zurückzukommen: Er war nicht der einzige Prominente, der das Lied von der Wirtin gesungen hat, es wurde auch, fast zweihundert Jahre später, von einer berühmten "Boygroup" intoniert und auf Schallplatten verewigt – den Comedian Harmonists.
Auch die Comedian Harmonists singen das Wirtinenlied
Das von 1928 bis 1935 auftretende Berliner Vokalensemble gehört zweifellos zu den besten künstlerischen Interpreten des Liedes vom Wirtshaus an der Lahn und seiner Wirtin, es passt zu ihrem Repertoire. So wurden die "Comedian Harmonists" mit Liedern wie zum Beispiel "Veronika, der Lenz ist da" und "Mein kleiner grüner Kaktus" weltbekannt, und das in wortwörtlichem Sinn. Denn nicht nur in Berlin, sondern auch in ganz Deutschland, ganz Europa und in Übersee feierten sie große Erfolge. Weil drei der sechs Mitglieder Juden waren – Roman Cyczowski, Ari Leschnikoff und Harry Frommermann, die andern sind Robert Biberti, Erwin Boots und Erich A. Collin – mussten sie sich 1935 auflösen und emigrieren.
Die "Comedian Harmonists" sangen das Lied vom Wirtshaus an der Lahn à capella im Chor, festgehalten auf Schallplatte, unter anderem mit den folgenden eigenen Strophen und sogar mit einer Einleitung:
Es steht ein Wirtshaus an der Lahn
Ein Liedlein woll'n wir singen
von gar vergnügten Dingen,
ein Lied von alter Burschenherrlichkeit.
Es war das Lied der Väter,
doch sang man es auch später,
und wird es sicher singen alle Zeit.
Und sitzt man fröhlich irgendwo beim Wein,
stimmt alles in den schönen Kantus ein:
Es steht ein Wirtshaus an der Lahn,
da klopft ein jeder gern mal an.
Frau Wirtin sitzt am Feuer, und jeder, der am Tische sitzt,
greift gern mal zu der Leier.
Frau Wirtin hat auch einen Kahn.
Drin fuhr sie sommers auf der Lahn.
Sie legt sich auf den Rücken und badet sich im Sonnenschein
trotz aller vielen Mücken.
Frau Wirtin hat ein Aut'mobil
das in der ganzen Stadt auffiel.
Sechs ihrer stärksten Knechte ersetzten ihr des Motors Kraft,
Herrgott, wer das nicht möchte!
Frau Wirtin hatte auch ein Huhn.
Das tat, was sonst nicht Hühner tun:
Es gackerte und pickte und stellte selbst dem Hahn ein Bein,
dieweil er Blümlein pflückte.
Jüngst war'n wir selber an der Lahn
und sah'n uns die Frau Wirtin an.
Da müssen wir schon sagen, ihr Ruf ist zwar bedauerlich,
doch gut ist ihr Betragen.
Prominente Literaten schreiben Wirtinnenverse
Es gibt ungezählte Strophen mehr, man schätzt weit über tausend, meist mit anzüglichem Inhalt, die nicht nur Studenten und Fuhrleute gedichtet haben. Auch von berühmten Dichtern sind auf ihre je eigene Art Strophen überliefert, darunter E.T.A. Hoffmann, Johann Peter Hebel, Wilhelm Busch, Christian Morgenstern, Rainer Maria Rilke, Franz Werfel, Bertolt Brecht und sogar Franz Kafka. Heinrich Heines Strophe, geschrieben in Paris am 17. Oktober 1832, ist entgegen dem üblichen Charakter der Verse, romantische Melancholie pur:
"Frau Wirtin hatte einen Knab´, / Der Pflückt von seiner Mutter Grab / Im mondbeglänzten Haine / Das blaue Blümlein wundersam /Wohl für Feinsliebchens Schreine."
Auch Georg Büchner, nach dem der wichtigste und bedeutendste deutsche Literaturpreis benannt ist, hat eine von ihm variierte Frau-Wirtin-Strophe verwendet, und das gleich zweimal. Zum einen steht sie als Lied Valerios im ausführlichen handschriftlichen Entwurf seines Lustspiels "Leonce und Lena", und zum andern in der Wachtstubenszene im Drama "Woyzeck". Hier singt der Wärter Andres sie dem Titelhelden vor: "Frau Wirtin hatt ´ne brave Magd, / Die sitzt im Garten Tag und Nacht. / Sie sitzt in ihrem Garten, / Bis daß die Glocke zwölfe schlägt / Und paßt auf die Soldaten".
All das sind Belege für die Beliebtheit der "Wirtin von der Lahn", die mit ihrem faszinierenden Wesen alle gesellschaftlichen Kreise in Bann schlägt. Und ihr Lied wird auch weiterhin gesungen – nicht nur an der Lahn und ihren historischen Wirtshäusern.
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