(explizit.net) Zuweilen überschlagen sich Ereignisse in fernen Ecken der Welt, haben aber doch innere Bande. Heute weilt Kanzlerin Merkel in Israel, vorgestern hat Außenminister Steinmeier in Kiew mit einen friedlichen Kompromiss befördert und am Donnerstag stimmten Libyer im Referendum für ein Komitee, das eine neue Verfassung ausarbeitet. Überall begehrten Völker gegen ihre Autokraten auf und suchen prodemokratische Wege. Es ist gerade 25 Jahre her, da war Angela Merkel unter jenen Ostdeutschen, die in der friedlichen Revolte die Berliner Mauer als Teil des Eisernen Vorhangs samt dem alten Regime zum Einsturz brachten. Osteuropäer, darunter die Ukrainer, und Mittelostler wie Libyer sahen dies und wünschten sich Ähnliches. Israelis hofften ebenso, der Weltwandel bringe Frieden näher.
Rückschau
Israelis nahmen zügig zwei Millionen Juden aus Osteuropa auf, die bis dahin hinter dem Eisernen Vorhang lebten. Dann gingen sie einen Weg, den die Weltmächte Amerika und Sowjetunion als letzten gemeinsamen Akt eröffneten: den Madrider Friedensprozess. Die erste vereinte Tat Washingtons und Moskaus hieß Ja zum UN-Teilungsplan für Palästina 1947 (zwei Staaten für zwei Völker, was arabische Seiten ablehnten und Israel zu dessen Gründung am 15. Mai 1948 vergeblich bekriegten), ihre letzte vereinte Tat war ihr Ja zu Madrid. Dort begann der Dialog nach dem Ende des Kalten Kriegs am 30. Oktober 1991.
Dann folgte der Osloer Friedensprozess mit den Regeln, die Yasir Arafat, Premier Yitzhak Rabin und Präsident Bill Clinton am 13. September 1993 im Weißen Haus bestätigten. Am 4. Mai des Folgejahres vereinabarten beide Seiten in Kairo den Gaza-Jericho-Vertrag für eine Palästinensische Autonomie, am 24. September 1995 den Taba-Vertrag Arafats und Rabins, der am 4. November 1995 durch einen extremen Israeli ermordet wurde. Aber auch Arafats Anhänger griffen wieder zum Terror, der Hoffnung in Blut ertränkte.
Premier Ehud Barak, Arafat und Clinton konnten sich in Camp David 2000 nicht mehr einigen. Auf Druck von Amerikanern – „Land für Frieden“ – zog Premier Ariel Sharon bis 12. September 2005 aus Gaza ab. Hamas herrscht nach weniger freien Wahlen dort ab 2006, vertrieb im Coup Anhänger des Arafat-Erben Mahmud Abbas und feuerte Raketen auf Israel, so 130 am 10. März 2012. Anstatt aus Gaza eine Arbeits- und Investitionsinsel, ein „boomendes Singapur“ zu machen, gestalteten es Khalid Mashals Islamisten zu einer Raketenbasis. Dies in der Zeit mittelöstlicher Revolten ab 2011, in denen oft Islamisten die Oberhand gewannen. Indes hielten sie sich in Kairo nur ein Jahr bis zum 3. Juli 2013.
Im Vorjahr begann der achttägige Raketenkrieg, nachdem in nur vier Tagen bis zum 14. November 121 Raketen Südisrael trafen. Die Antwort kam am selben Mittwoch durch die Tötung des Militärchefs Ahmad al-Jaabari. Präsident Obama sowie Kanzlerin Merkel bejahten Israels Recht, sich zu verteidigen. Eine Feuerpause gilt noch, ist jedoch brüchig. So etwas möchten Israelis unter Premier Benjamin Netanjahu nicht wieder erleben. Nach zwei Jahren Funkstille verhandeln er und Abbas seit 29. Juli, letzterer nicht für die Macht in Gaza. Die Palästinenser sind gespalten wie ehedem Ost- und Westdeutsche. Sie leben unter Mashals Hamas-Ideologen im Gazastreifen und unter moderateren Pragmatikern im Westjordanland, also unter Abbas’ Autonomiebehörde. Alle Einheitsversuche verfehlten.
Jerusalem
Angela Merkel berät dort mit Premier Netanjahu dreierlei: die Wirtschaft, Geschichte und Friedenssuche. Diese Historie steht an, zumal sie am 12. Mai 2015 ein halbes Jahrhundert an diplomatischen Beziehungen feiern werden. Der Start war dornig. Als sich Bonn zur Wiedergutmachung bekannte, Ostberlin dies aber abwies, entstand das konträre Quartett Bonn-Westjerusalem sowie Ostberlin-Kairo samt radikalen Arabern und Palästinensern.
Um dies einzdämmen, drohte die Hallstein-Doktrin all jenen Strafen an, die zu Ostberlin Beziehungen anbahnen und so die offene Deutsche Frage vorentscheiden, indem sie zwei deutsche Staaten akzeptierten. Da ein Bonner Waffenhandel mit Israel bekannt, dort aber abgestritten wurde, und Ägyptens Präsident Abd an-Nasir den Ostberliner Staatsschef Walter Ulbricht im März 1965 am Nil empfing, zog Bonn seine Notbremse: es bestrafte Kairo mit dem Entzug zugesagter Hilfe und flüchtete sich in volle Beziehungen zu Israel. Die Erpressbarkeit Bonns mit dem Ostberliner Knüppel hätte vermieden werden können, wären Israelis dem Bonner Angebot 1952 gefolgt, mit der Wiedergutmachung auch volle Beziehungen aufzunehmen. Aber wer wollte ihnen dieses Nein kurz nach dem Holocaust verwehren, zumal sich in Bonn nicht wenige der alten braunen Gesellen wieder nahten?
Darauf brachen zehn der 13 Länder Arabiens ihre Beziehungen mit Bonn ab. Sie stellten seit 1969 Beziehungen zu Ostberlin her – aus Radikalität ihrer Schwäche nach dem 1967 verlorenen Krieg. Das deutsche Kind plumste in den Mittelostbrunnen mit vielen Folgen. Bonns Araberkurs scheiterte und konnte erst nach sieben Jahren erneuert werden. Das Ende jener Embargodoktrin, der Grundlagenvertrag zwischen Bonn und Ostberlin 1972, der UN-Beitritt beider Seiten im Folgejahr und der Helsinki-Prozess nahmen ihren Lauf. So auch am 1. August 1975 die Schlussakte mit Punkt sieben, den Menschenrechten. Im Korb III bestätigten osteuropäische Regimes Kontakte „über Blöcke hinaus“. Ein Stein der Freiheit kam ins Rollen, den die Opposition zur Lawine des Regimeendes erweiterte.
Regenbogen
Das Ende des Kalten Krieges zeitigte das Scheitern diverser linker Ideologien, die Bürger entmündigten. Sie erkämpften sich ihre Rechte und Demokratie. Die Globalära begann höchst ungleich. Dies erhellte 9/11 in Amerika und Gleichartiges anderenorts. Heute geht es global um Korb III, um Bürgerrechte, Freiheit und Demokratie in den buntesten Farben. Wie in der Ukraine. Und wie Terror in Amerika, so mag es auch dort Rückschläge geben. Hoffentlich haben Europäer die Pläne A bis C fertig, gegen eine offene oder schleichende Invasion sowie das Abdrehen der Gasversorgung. Jedenfalls haben sich Berlin, Paris und Warschau in Kiew als Vermittler bewährt und mit Julija W. Timoschenkos Weg eröffnet.
Auch vor Libyen steht die nächste Etappe. Seit dem Sturz des Tyrannen am 20. Oktober 2011 ist das Land zerrissen. Ohne Demokratie zuvor muss alles neu geregelt werden. Nun soll das 60er-Komitee in vier Monaten eine Verfassung entwerfen. Kürzlich sah es dort noch so aus, als ob sich Islamisten durchsetzen. Wenn das auch nicht auszuschließen ist, so hat Präsident Mursis Sturz im benachbarten Kairo einen Prozess in Mittelostmedien forciert, in dem der Islamismus als Machtpolitik delegitimiert wird. Aber noch herrschen Stämme und Machtkämpfe von Tripolis bis Benghazi vor. Doch auch damit sind Berlin, die Ukraine und Israel zutiefst verknüpft. Alles betrifft heute jeden in dieser Globalära.
<emphasize>Wolfgang G. Schwanitz</emphasize>
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