Rathaus Lemberg, Foto: explizit.net

Aus der Ukraine sollte neues Leben in die EU fließen

Europa stagniert. Es verheddert sich in seiner Bürokratie. Der Brexit zieht nur Energien ab. Der EU könnte dasselbe Ende bevorstehen wie dem ehemals sowjetischen Wirtschaftsraum. Alles war miteinander verflochten und ist dann auch alles zusammen implodiert. Die EU braucht neue Lebenskräfte. Wir, gerade Deutschland, müssten sie nur hereinlassen.

Neues wird nur entstehen, wenn wir die westliche Position des "Bei uns ist alles besser" verlassen. Dann wird der Osten sehr viel interessanter. Es ist wie in mit einem der jungen Sternensysteme: Neue Gebilde entstehen, Menschen ringen um den richtigen Weg in die Zukunft. Völker müssen ihre alten Konflikte überwinden und die Altlasten ihrer Geschichte auflösen. Der Westen sollte dabei sein, um nicht wie das Sowjetsystem auch über kurz oder lang zu erstarren

Es wurde 1991 nicht einfach besser
Das Ende der Sowjetunion wurde nicht durch einen Krieg herbeigeführt, sondern von den Bürgern selbst. Das unterscheidet den Osten von der Arabellion. Jedoch kaum jemand in diesen Ländern konnte voraussehen, dass der Aufbau eines demokratischen Systems und die Überwindung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten so langwierig sein würden und mit so vielen Rückschlägen zu rechnen war. Inzwischen ist deutlich geworden, auch wenn anfangs noch postkommunistischen Parteien Wahlen gewannen: Eine Rückkehr zum Sowjetsystem ist ausgeschlossen. Der westliche Lebensstil ist der gängige. Alle Länder sind bereits in die digitale Zivilisation integriert, Smartphone und ein oft besseres Internet sind selbstverständlich, Englisch hat das Deutsche, das in der Vorkriegszeit meist die Verständigungsbasis abgab, abgelöst. Werbung, Unterhaltungsmusik, die Attitüden des Showbusiness prägen das Lebensgefühl der jüngeren Jahrgänge. Die Konsumgesellschaft mit ihrem Gesundheits- und Rentensystem, die Bedeutung von Bildung, die digitale Durchdringung uva. bestimmen die Entwicklung. Aber von selbst setzen sich diese Entwicklungsmuster nicht durch. Vor allem entsteht ein europäisches Wertesystem nicht nur einfach dann, wenn es einigermaßen freie Wahlen gibt. Die Wahlbeteiligung bleibt immer noch gering. Es ist die Jugend, z.B. in der Ukraine, die das europäische Wertesystem will. Wir sollten ein brennendes Interesse daran haben, dass dieses Wertesystem im Osten mehr Anhänger findet, sonst erscheint den Menschen das russische System, auch wenn es nicht die Energien für den Aufbau einer Bürgergesellschaft freisetzt, das sichere. Moldawien tendiert bereits weg von der EU in Richtung Russland.

Erbschaften des Sowjetsystems

Die Staaten aus dem Reich der kommunistischen Zaren sind in einer spannenden Übergangsphase. Jedoch braucht der Wille zur Selbständigkeit mehr Aufwind. Denn die kommunistische Konzeption der Gesellschaft lief auf eine umfassende Versorgung und zugleich Steuerung der Gesellschaft und jedes ihrer Mitglieder hinaus. Entwicklungen sollten nicht aus dem Zusammenspiel der gesellschaftlichen Kräfte heraus entstehen, sondern durch die Fünfjahrespläne der Parteibürokratie herbeigeführt werden. Das hat zwei gravierend negative Folgen:

1.      Die Parteibürokratie nutzte ihre unangreifbare Stellung zur Selbstbereicherung und hat den jungen Staaten die fehlende Ächtung der Korruption hinterlassen. Die sog. Oligarchen haben dieses System nur perfektioniert.

2.      Der "homo sovieticus" erwartet auch von den neuen Staaten wie auch vom Westen die Übernahme der Daseinsrisiken und fühlt sich vor allem durch die Arbeitslosigkeit verunsichert. Für die Älteren waren das Motive, postkommunistische Parteien zu wählen.

Für die postkommunistischen jungen Staaten sind allerdings nicht nur Wirtschaftsfragen brennend. Das gilt vor allem für die Länder, die noch EU-Mitglieder werden wollen. Werden sie die Freiheitsspielräume für ihre Bürger ausweiten oder sie wie in Russland und der Türkei wieder einschränken. Weil die EU sich immer weniger als Wertegemeinschaft versteht, ist sie wenig hilfreich dafür, dass sich ihre Werte an ihrer Ostgrenze etablieren. Der Jugend in der Ukraine ist allerdings klar, dass sie mit Russland das Pilzgeflecht der Korruption nie ausreißen kann. Es geht in den osteuropäischen Staaten zuerst um diese Werte und dann erst um die Wirtschaft. Deshalb ist es für Europa entscheidend, wie sich vor allem die Ukraine entwickelt. Diese Staaten brauchen auch die EU als Markt, denn sie werden von Moskau wirtschaftlich unter Druck gesetzt, indem kein georgischer Wein und keine Lebensmittel aus Moldawien ins Land gelassen werden. Zudem besinnt sich Russland wieder auf seine Machtmittel.

Russland: Großmacht, nicht Partner der ehemaligen Sowjetrepubliken

Die jetzige Machtelite hat das Land aus den Wirren der neunziger Jahre hinausgeführt, die Willkür der Polizei abgestellt und die Oligarchen gezähmt. Geblieben ist der Virus "Korruption". Die USA haben kein Interesse daran, dass ihnen in Russland wieder eine gleichrangige Militärmacht erwächst. Aus amerikanischer Sicht war die Abwendung zuerst der baltischen Staaten und dann der Ukraine willkommen, um den früheren Gegenspieler zu schwächen. Russland hat die Konsequenzen gezogen, indem es sein Militär kampfbereiter machte und seinen Reichtum an Rohstoffen ausspielte. Als Georgien sich auf die NATO und die EU zu bewegte, griff Moskau militärisch ein. Moldawien ist für seine landwirtschaftlichen Erzeugnisse der Zugang zum großen russischen Markt versperrt. Die junge Generation der Ukraine hat in dem wieder erstarkten und repressiver gewordenen Russland keinen Partner für die Zukunft gesehen. Georgien wie auch Armenien bleibt im Umfeld islamischer Staaten nichts anderes übrig, als sich an Russland anzulehnen. Russland war und bleibt der primäre Absatzmarkt dieser Länder. Das Ende des Kommunismus führte natürlich nicht dazu, dass die Länder, die zwischen Westeuropa und Russland liegen, weiter in das sowjetische Wirtschaftssystem eingebunden blieben. Mit der Umorientierung nach Westen hat Russland der Ukraine und Moldawien den Zugang zu ihrem Hauptabsatzmarkt gesperrt. Das führte zu einem weiteren Verarmungsschub, nachdem bereits in den neunziger Jahren viele Industriebetriebe aufgeben mussten.
Aus der Sicht Russlands ist die Unabhängigkeit seiner westlichen Nachbarn Gebietsverlust. Zudem hatte der Westen mit Gorbatschow nicht vereinbart, dass diese Länder in die NATO und in die EU aufgenommen würden. Aus Moskauer Sicht ist verständlich, dass man dem weiteren Vordringen des Westens mit dem Kleinkrieg im Donbas einen Riegel vorgeschoben hat.

Ukraine und Moldawien im Spannungsfeld USA - Russland

Die Ukraine, zuerst der Westteil und inzwischen der Osten, hat sich für die Zukunft an der Seite der EU entschieden. Die Reaktionen Russlands mit der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbas haben das Land geeint. Mit der Abwendung von Russland hat die Ukraine nicht den wirtschaftlichen Vorteil gewählt, sondern die Freiheit. Dafür zahlt das Land den Preis gestiegener Arbeitslosigkeit und einer empfindlichen Inflation bei gestiegenen Kosten für Wasser und Strom. Während die USA das Land massiv unterstützen, scheint Europa sich auf eine Beobachterposition zurückgezogen zu haben. Gerade den Deutschen, die ihren Krieg mit der Sowjetunion hauptsächlich auf dem Boden der heutigen Ukraine ausgetragen und die ganze jüdische Bevölkerung vernichtetet haben, wissen nicht, worum es in diesen Monaten geht, nämlich ob die Werte Europas, zu denen Deutschland erst nach dem Nationalsozialismus gefunden hat, in der Ukraine, in Rumänien, Moldawien, Bulgarien zum Tragen kommen. Trotz des Brexit bleibt England diesen Werten verbunden, im Osten müssen sie noch Raum und die Gefühle der Menschen gewinnen. Dort laufen ähnliche Prozesse ab wie in Deutschland nach der Inthronisation eines deutschen Kaisers in Versailles 1871 mit allen Wirrungen, als Nation eine Identität zu gewinnen.

Deutsche Geistesgeschichte im Osten

Deutsch war die gemeinsame Sprache des Ostens. Zudem hat Deutschland im Westen der heutigen Ukraine einen Teil seiner kulturellen Wurzeln. In Cernowitz wurde deutsche Literatur geschrieben, Paul Celan und Rose Ausländer sind dort geboren, Martin Buber in Lemberg. Es gab eine von Österreich gegründete deutschsprachige Universität.
Während die Ukraine sich von Russland nichts mehr erhofft, sich aber auch von der EU zu wenig unterstützt sieht, tendiert die rumänischsprachige ehemalige Sowjetrepublik Moldawien zurück zu Russland. Grund ist der fehlende Zugang zu dem Absatzmarkt. Anstatt Moldawien den Markt zu öffnen, drückt die EU drückt Teile ihrer Überschüsse in die Handelsmärkte Moldawiens, so dass die Bauern dort auf ihrer Ernte sitzen bleiben. Transnistrien, eine Landstreifen auf der anderen Seite des Grenzflusses Dnistr hat sich abgespalten und Moskau zugewandt. Bewegt sich Moldawien weiter auf Moskau zu, hat die Ukraine auch an ihrer Westgrenze mit russischen Truppen zu rechnen.

Die Zukunft Europas entscheidet sich in der Ukraine und Moldawien

Im Spannungsfeld USA - Russland suchen Staaten ihren Weg. Bleibt Europa weiter Zuschauer, werden diese Länder sich nicht nur wirtschaftlich von Europa abwenden. Die Zukunft der EU entscheidet sich weniger in London als im Osten. Deutschland und die anderen müssen realisieren, dass Europa sich da entwickelt, wo Neues entsteht. Der Brexit ist eine Rückwärtsgeschichte. Er nimmt Europa Energien. Soll neuer Schwung in die europäische Geschichte kommen, muss sich Europa den Menschen zuwenden, die ihr Land aufbauen wollen.

Reiseziel Ukraine

Man sollte, wenn man an der Zukunft Europas etwas tun will, dort hinfahren, Kooperationen eingehen, jungen Ukrainern und  Ukrainerinnen, Moldawiern und Moldawierinnen einen Sprachaufenthalt und eine Ausbildung vor allem für einen industriellen Arbeitsplatz ermöglichen. Man wird deutsche und österreichische Kultur entdecken und kann den Beitrag der Juden für die deutsche Geistesgeschichte deutlicher erkennen und der Vergessenheit entreißen. Es ist erfrischend, dort hinzufahren, wo noch nicht alles so fertig und daher oft auch nicht so müde ist wie in den Ländern, die in die Jahre gekommen sind.

Der Beitrag entstand auf einer Studienreise des Hauses am Maiberg im August 2017 in das frühere Galizien und die Bukowina


Kategorie: Politik

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